E.on bestätigt Isar-I-Abschaltung
Als Reaktion auf die Ereignisse in Japan werden in Deutschland alle bis Ende 1980 in Betrieb genommenen AKWs - zunächst vorübergehend - vom Netz genommen. Wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag sagte, betrifft die Maßnahme insgesamt sieben AKWs, darunter die grenznahe bayrische Anlage Isar I. Am Vortag wurde über die Abschaltung von lediglich zwei, drei AKWs spekuliert.
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Bereits am Vortag hatte Merkel ein Aussetzen der erst im Herbst beschlossenen Laufzeitverlängerung für AKWs für drei Monate angekündigt. Bis 15. Juni sollen nun alle Sicherheitsfragen beantwortet werden, so Merkel nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten jener deutschen Bundesländer, in denen sich die insgesamt 17 deutschen AKWs befinden.

Graphi-Ogre (Montage)
Die Standorte der betroffenen AKWs
Die vorübergehende Abschaltung betrifft die AKWs Neckarwestheim I, Philippsburg I (Baden-Württemberg), Biblis A und B (Hessen), Isar I (München), Unterweser (Niedersachsen) und das ohnehin stillstehende AKW Brunsbüttel (Schleswig-Holstein). Zudem bleibt das 1983 ans Netz gegangene und nach Pannen abgeschaltete AKW Krümmel in Schleswig-Holstein vom Netz getrennt. Damit werden in Deutschland in den nächsten drei Monaten nur noch neun von 17 vorhandenen Atomkraftwerken Strom liefern.
„Staatliche Anordnung“
Laut Merkel werde die vorübergehende Abschaltung der sieben Atomkraftwerke rechtlich als „staatliche Anordnung aus Sicherheitsgründen“ umgesetzt. Wegen des Umfangs seien die Überprüfungen zudem am besten in einer Nichtbetriebsphase der Kraftwerke zu gewährleisten.
Zudem sagte die Kanzlerin, dass es sich bei den Vorgängen in Japan um „eine Zäsur in der Geschichte der technisierten Welt“ handle. Der Austritt von Radioaktivität infolge des Erdbebens und des Tsunamis habe gezeigt, dass die „Auslegung des Kraftwerks auf die Naturgewalten nicht ausreichend war“. Das sei der Grund für die aktuellen Entscheidungen. Diese seien zudem „unabhängig von bevorstehenden Wahlen“ getroffen worden. Vielmehr geht es laut Merkel hier um Verantwortung in einer Situation, die es so noch nie gegeben habe.
Energieversorgung weiter gewährleistet
An dem Treffen nahmen auch die Bundesminister für Umwelt und Wirtschaft, Norbert Röttgen (CDU) und Rainer Brüderle (FDP), teil. Auch Röttgen verwies auf das geltende Atomgesetz, durch das die vorübergehende Abschaltung der Meiler möglich sei. Wie lange die AKWs abgeschaltet werden, blieb offen. Röttgen betonte im Vorfeld allerdings, er gehe davon aus, dass ein während des dreimonatigen Moratoriums abgeschalteter Atommeiler gar nicht wieder ans Netz gehe.
Gleichzeitig wurde betont, dass es auch ohne die sieben betroffenen Anlagen eine hinreichende Versorgungssicherheit in Deutschland gebe. Laut Brüderle werden die Abschaltungen allerdings Auswirkungen auf die Energiepreise haben.
„Merkel täuscht die Bürger“
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel betrachtet unterdessen die rechtliche Absicherung für das Aussetzen der Atomlaufzeitverlängerung als höchst fragwürdig an. Der als Rechtsgrundlage Paragraf 19, Absatz 3 sei laut Gabriel „der Paragraf, der für die staatliche Atomaufsicht das sofortige Eingreifen bei einer unmittelbar drohenden Gefahr ermöglicht“, erläuterte der frühere deutsche Umweltminister.
Aus diesem Grund vermutet Gabriel „einen zweiten Deal mit der Atomwirtschaft“. Da keine unmittelbaren Gefahren drohten, hätten die Atomkonzerne wegen des Missbrauchs des Paragrafen einen Schadenersatzanspruch für jeden Tag des Stillstands.
Auch die Umweltorganisation Greenpeace hält die vorübergehende Abschaltung weiterhin für ein Täuschungsmanöver. „Das ist eine vertane Chance“, so Atomexperte Tobias Münchmeyer. Merkel hätte laut Münchmeyer die Meiler ganz vom Netz nehmen sollen, um Vertrauen zurückzugewinnen.
„Beitrag zur Versachlichung der Diskussion“
Unterdessen bestätigte der Energiekonzern E.on, dass er im Rahmen der Regierungsanordnung nun sein Atomkraftwerk Isar I vorläufig abschalten werde. „E.on wird den Leistungsbetrieb seines ältesten Kernkraftwerks Isar I für die Dauer des Moratoriums der Bundesregierung unterbrechen“, teilte der Konzern am Dienstag mit. Damit wolle der Versorger einen „Beitrag zur Versachlichung der aktuellen Diskussion um die Kernenergie“ leisten.
Bereits am Vortag hieß es von RWE, man wolle sich den Entscheidungen der deutschen Regierung beugen. RWE kündigte die Abschaltung von Biblis A an. „Wir nehmen diese Entscheidung zur Kenntnis. Es gilt der Primat der Politik“, so RWE-Sprecher Martin Pack.
RWE-Chef warnt vor Atomausstieg
RWE-Chef Jürgen Großmann warnte unterdessen davor, dass ein Ausstieg aus der Atomenergie Deutschland teuer zu stehen kommen könne. Die Gesellschaft müsse anerkennen, dass in einem Industrieland nicht einfach so auf Kohle und Atomenergie verzichtet werden könne, wenn Wohlstand und Versorgungssicherheit erhalten bleiben sollten, sagte Großmann der Wochenzeitung „Zeit“ nach einer Vorabmeldung vom Dienstag.
Es sei zwar richtig, auf erneuerbare Energien zu setzen und diese auszubauen, „aber man muss wissen, welchen Preis man dafür bezahlen will“. Billige Energie und zugleich ein kompletter Umbau der Stromversorgung seien „eine Illusion“. RWE werde sich jedenfalls trotz der Katastrophe in Japan nicht von sich aus aus der Atomenergie zurückziehen, so Grossmann.
Kehrtwende in Atompolitik
Vor elf Jahren wurden von der damaligen rot-grünen Koalition zusammen mit der Energiewirtschaft die ersten Weichen für einen Ausstieg aus der Atomenergie gestellt. Das 2002 in Kraft getretenen Atomgesetz legte für jedes der damals 19 deutschen AKWs fest, wie viel Atomstrom es noch produzieren darf.
Die Dauer wurde auf Basis einer Regellaufzeit von 32 Kalenderjahren seit Beginn des kommerziellen Betriebs festgelegt. Sobald diese Menge verbraucht ist, sollte die Betriebsgenehmigung enden. Um ältere Meiler schneller abzuschalten, konnten Strommengen älterer Kraftwerke auf neuere übertragen werden. Nach dem damaligen Stand sollte der letzte Meiler etwa 2021 vom Netz gehen. Der Bau neuer Reaktoren wurde ausgeschlossen.
Die heutige Koalition aus Union und FDP einigte sich 2009 im Koalitionsvertrag auf eine Verlängerung der Reaktorlaufzeiten. Im vergangenen Herbst beschloss sie, dass die sieben bis 1980 ans Netz gegangenen Meiler acht Jahre länger laufen sollen, die jüngeren 14 Jahre länger.
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