Themenüberblick

„Ein Ausstieg kommt nicht in Frage“

Während die Lage in Japans Unglücksreaktoren eskaliert, stemmt sich Frankreichs Regierung vehement gegen die auch in Europas AKW-Land Nummer eins zunehmend an Fahrt gewinnende Atomkraftdebatte. Für Präsident Nicolas Sarkozy kommt ein Umdenken in Frankreichs Atompolitik jedenfalls nach wie vor „nicht infrage“.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

So wie Regierungs- und Parteimitglieder bereits zuvor verwies auch Sarkozy laut der Zeitung „Le Figaro“ (Dienstag-Ausgabe) auf die aus seiner Sicht beispiellosen Sicherheitsstandards der französischen AKWs. Dank einer doppelten Schutzhülle seien diese laut Sarkozy „zehnmal sicherer als andere“.

58 Reaktoren in 19 AKWs

Frankreich ist mit 58 Reaktoren in 19 AKW-Zentren nach den USA das Land mit den weltweit meisten Kernenergieanlagen. Derzeit erfolgen rund 80 Prozent der französischen Energieversorgung aus AKWs. Den bisherigen Plänen zufolge will Frankreich auch künftig auf Kernkraft setzen. Bereits in Bau befindet sich ein neues AKW in Flamanville an der Kanalküste.

UMP-Parteichef Jean-Francois Cope sprach zuvor gar von den besten Sicherheitsstandards der Welt. Zudem sei keine Energieversorgung ohne Risiko, so Cope, der ähnlich wie Energieminister Eric Besson gleichzeitig scharfe Kritik an den Ausstiegsforderungen der Grünen und Umweltschutzgruppen übte und diese als „unverantwortliche Stimmungsmache“ bezeichnete.

„Die japanischen Ereignisse“

So tragisch die Ereignisse in Japan auch seien, laut Cope könne eine strategische Entscheidung, wie es der Ausstieg von der Atomenergie für Frankreich wäre, nicht durch einen aktuellen Vorfall bestimmt werden. Laut Premier Francois Fillon wird aber auch Frankreich „nützliche Lehren“ aus den als „die japanische Ereignisse“ bezeichneten Vorgängen im AKW Fukushima I ziehen.

Geht es nach Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet, habe Frankreich ohnehin stets auf „größtmögliche Sicherheit“ gesetzt, weswegen die landeseigenen Atomkraftwerke auch gegen Erdbeben bzw. eine Überschwemmung gewappnet seien. Ungeachtet dessen, dass Ähnliches bis vor kurzem auch von japanischen Behörden verlautete, bezeichnete Kosciusko-Morizet Kernenergie nicht nur als sichere, sondern auch als „gute Energie“.

Zunehmend Sorge um Atomexporte

Dennoch mehren sich hinter den Kulissen offenbar auch in Paris die Sorgen vor den möglichen Folgen der Ereignisse in Japan. Diese könnten sich zu einem „Drama für Frankreich und seine Nuklearindustrie“ entwickeln, wird etwa ein Sarkozy-Berater zitiert. Grund dafür sei nicht nur, dass Frankreich derzeit rund 80 Prozent seines Strombedarfs aus Kernkraft bezieht.

Frankreich setzt auch in hohem Maße auf den Export von Atomstrom. Zudem soll den bisherigen Plänen zufolge mit Hilfe der Kernergiegiganten EDF, GDF Suez und Areva Frankreichs weltweit führende Position in Sachen Kernkraft weiter ausgebaut werden.

Volksabstimmung für Atomausstieg gefordert

Im Gegensatz dazu orten Frankreichs Umweltschützer nun ausreichend Argumente für eine umfangreiche Ausstiegsdebatte. Zu den prominentesten Unterstützern zählt der grüne Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit, der nun per Volksabstimmung die Weichen für einen Abschied von der Atomenergie stellen will. Auch der Umweltschützer und TV-Journalist Nicolas Hulot sieht die Zeit für eine „nationale Debatte“ auch in Frankreich gekommen.

Auch die mögliche Präsidentschaftskandidatin der Grünen, Eva Jolie (Europe Ecologie - Les Verts, EELV) forderte gegenüber dem Nachrichtensender i-Tele bereits offen den Ausstieg aus der Kernkraft. Laut Jolie kann nach Japan der „Mythos“ der risikofreien Atomenergie nicht mehr aufrechterhalten bleiben und sei nun endgültig „zerstört“.

„Panikmache“

Die Atombranche kann Forderungen wie diesen naturgemäß wenig abgewinnen. Von Panikmache spricht mit Anne Lauvergeon etwa die Chefin von Europas größtem Atomenergiekonzern Areva. Wie Lauvergeon gegenüber der Zeitung „Le Parisien“ (Dienstag-Ausgabe) betonte, verstehe sie zwar die durch die Ereignisse in Japan ausgelösten Emotionen. Diese dürften allerdings „nicht instrumentalisiert werden“.

Auch wenn Frankreichs Atomkurs bereits nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl vor 25 Jahren erstmals ernsthaft infrage gestellt wurde, zählt die Atomindustrie des Landes nach wie vor zu den Schlüsselbranchen. Dennoch blieb trotz zahlreicher Zwischenfälle auch in den eigenen AKWs und der anhaltenden Debatte über die umstrittene Wiederaufbereitungsanlage in La Hague Kritik an Kernkraft im offiziellen Diskurs bisher Mangelware.

Peter Prantner, ORF.at

Links: