Kühlung auch in Reaktor 2 defekt
Die Katastrophe in Japan nimmt immer dramatischere Dimensionen an: Nach einem heftigen Nachbeben mit anschließender neuer Tsunami-Warnung erschütterte am Montag eine zweite Explosion in einem Atomreaktor das Unglückskraftwerk in Fukushima. Nach Angaben der Regierung soll die Stahlhülle des Reaktorblocks 3 aber standgehalten haben.
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Das Nachbeben der Stärke 6,2 erschütterte kurz nach 10.00 Uhr Ortszeit auch die japanische Hauptstadt Tokio. Unabhängig von der Explosion im AKW kam es - vermutlich vo dem Nachbeben ausgelöst - auch zur Explosion eines Öltanks in einem Wärmekraftwerk in Fukushima.
Wasserstoffexplosion in Reaktor 3
Von den Unglücksmeilern in Fukushima meldete der Sender NHK wenig später Explosionsgeräusche in der Nähe des Reaktors 3. Wie die Nachrichtenagentur Kyodo berichtete, handelte es sich um eine Wasserstoffexplosion. Eine solche Detonation hatte es bereits am Samstag in Reaktorblock 1 gegeben. Ob es bereits zu Kernschmelzen gekommen ist, ist nach widersprüchlichen Angaben auch am Montag weiter unklar.
TV-Sender zeigten Rauch über beschädigten Reaktorgebäuden. Laut der Betreiberfirma TEPCO gab es elf Verletzte. Techniker in Fukushima arbeiteten seit Freitag daran, Druck abzulassen und eine Kernschmelze zu verhindern. Nach dem Ausfall der Kühlsysteme war die Temperatur der Brennstäbe außer Kontrolle geraten.

APA/EPA
Regierung: Stahlmantel unbeschädigt
Die Stahlhülle von Reaktor 3 sei bei der Explosion unbeschädigt geblieben, berichtete ein Regierungssprecher unter Berufung auf Angaben der Betreiberfirma. Nach Regierungsangaben wurden nach der zweiten Explosion etwa 500 noch verbliebene Bewohner aus dem 20 Kilometer großen Sicherheitsradius gebracht. Nach Angaben der Regierung ist das Risiko einer weiteren Explosion in Reaktor 3 gering. Der zentrale Kontrollraum des Reaktors sei unbeschädigt, sagte Regierungssprecher Yukio Edano am Montag. Die Gefahr, dass massenweise radioaktive Substanzen verbreitet würden, sei gering.
Die Lage verschärfte sich am Montag aber zusätzlich, da auch in Reaktor 2 das Kühlsystem ausfiel. Regierungssprecher Yukio Edano bestätigte mittlerweile Medienberichte, wonach der Wasserpegel in Reaktor 2 sinkt. Laut Betreiber TEPCO ist es mit der Einleitung von Meerwasser mittlerweile aber gelungen, eine Überhitzung zu verhindern. Trotz der zahlreichen Defekte schloss die japanische Atomaufsicht am Montag dezidiert eine Katastrophe wie in Tschernobyl aus. Das sagte der Minister für Nationale Strategie, Koichiro Genba, am Montag nach Angaben der Nachrichtenagentur Jiji.
Widersprüchliche Angaben
Für zusätzliche Verunsicherung sorgen unterschiedliche, einander widersprechende Angaben von offizieller Seite. So betonte etwa Regierungssprecher Edano, beim Reaktor 3 sei Druck abgelassen worden. Laut IAEA - die sich ihrerseits auf die japanische Regierung beruft - wurde diese Maßnahme aber in keinem einzigen Reaktor gesetzt.
Probleme in drei AKWs
Nach offiziellen Angaben gab es am Montag in drei Reaktoren nördlich von Tokio die Gefahr einer Überhitzung. Ingenieure arbeiteten verzweifelt daran, die Brennstäbe in den beschädigten Anlagen zu kühlen. Sollte das nicht gelingen, könnten die Reaktorbehälter schmelzen oder explodieren. Radioaktivität könnte dann auch in die Atmosphäre gelangen. Neben dem AKW Fukushima gibt es Probleme auch in den AKWs Onagawa und Tokai.
Bemühungen der Atomtechniker konzentrierten sich auf die Anlage Fukushima I etwa 240 Kilometer nördlich von Tokio. Dort wird mit Meerwasser versucht, mehrere der ingesamt sechs Leichtwasserreaktoren abzukühlen. Nach Angaben der Regierung könnte es in einem der Reaktoren eine Teilkernschmelze gegeben haben. In Reaktor 3 ließ TEPCO laut Regierungsangaben radioaktiven Dampf entweichen, um den Druck zu vermindern.

Graphi-Ogre (Montage)
Die drei betroffenen Atomkraftwerke an der japanischen Ostküste
Reaktor 3 mit MOX-Brennstäben
Experten hatten bereits am Wochenende vor den möglichen Folgen starker Nachbeben gerade für Reaktor 3 in Fukushima gewarnt. Vertreter der Umweltorganisation Greenpeace wiesen darauf hin, dass dieser Reaktor mit MOX-Brennelementen (Mischoxidbrennelemente) betrieben werde, die Plutonium enthielten. Plutonium sei aber nicht nur hochgradig radioaktiv, sondern auch hochgiftig.
Auch Fachleute anderer Organisationen zeigten sich nach einem Bericht des „Spiegel“ (Onlineausgabe) besorgt über das seit Herbst 2010 verwendete Plutonium, das bei der Explosion eines Reaktors in die Umwelt gelangen würde. Eine größere Freisetzung von Plutonium wäre „äußerst bedenklich“, sagte Joachim Knebel, Reaktorexperte am Karlsruher Institut für Technologie. Plutonium ist durch seine enorme Giftigkeit für den Menschen wesentlich gefährlicher als Uran. Winzigste Partikel können tödlich sein.
„Schlimmer als Tschernobyl“
Nach Ansicht des Strahlenbiologen Edmund Lengfelder vom Otto-Hug-Strahleninstitut in München könnten die atomaren Folgen noch schlimmer werden als vor 25 Jahren in Tschernobyl. Zwar sei der Ablauf der Katastrophe unterschiedlich, aber Japan sei 20- bis 30-mal so dicht besiedelt wie die Umgebung des ukrainischen Unglücksreaktors: „Ich gehe davon aus, dass es schlimmer wird als in Tschernobyl.“ Nach offiziellen Angaben erlitten bisher 22 Menschen eine Strahlenvergiftung. Bis zu 190 kamen demnach mit Radioaktivität in Berührung.
Unterdessen stellten die japanischen Behörden nach Angaben der IAEA für das Atomkraftwerk Onagawa wieder eine Normalisierung der Radioaktivität fest. „Die japanischen Behörden gehen nun davon aus, dass der Anstieg auf radioaktives Material aus dem Atomkraftwerk Fukushima zurückzuführen sein könnte“, teilte die IAEA am Sonntag in Wien mit.
Schwerste Krise seit 1945
Nach Einschätzung der Regierung handelt es sich um die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Bei dem Erbeben und dem anschließenden Tsunami kamen vermutlich mehr als 10.000 Menschen ums Leben. Nach Medienberichten wurden allein in der Präfektur Miyagi 2.000 Leichen an der Küste gefunden. Millionen Menschen sind ohne Strom und Wasser. Heftige Nachbeben erschütterten am Montag das Land.
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