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Erhöhte radioaktive Strahlung

Nach der Erdbebenkatastrophe bekommt Japan die Situation in seinen Atomkraftwerken nicht unter Kontrolle. Während rund um das AKW Onagawa der nukleare Notstand ausgerufen wurde, dürften nun auch im AKW Tokai die Kühlsysteme ausgefallen sein. Zuvor kam es bereits im AKW Fukushima I zu Problemen: Dort fiel auch im dritten Reaktor die Kühlung aus.

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Nach dem schwer von der Flutwelle beschädigten AKW Fukushima I dürfte nun in einem weiteren Atomkraftwerk in Japan am Sonntag das Kühlsystem ausgefallen sein, wie die Nachrichtenagentur Kyodo unter Berufung auf die Feuerwehr berichtet. Es handelt sich um das AKW Tokai an der Ostküste südlich von Fukushima.

Im Reaktor des Atomkraftwerks Tokai in der Präfektur Ibaraki hat demnach eine Pumpe des Kühlsystems die Arbeit eingestellt. Die AKW-Betreiber Japan Atomic Power versicherte jedoch, der Reaktor werde trotz des Ausfalls von zwei Dieselgeneratoren durch den funktionierenden dritten Generator ausreichend gekühlt. In dem Atomkraftwerk, das etwa 120 Kilometer nördlich von Tokio liegt, hatte es bereits 1999 einen nuklearen Unfall gegeben.

Karte von Japan zeigt Standorte der gefährlichen AKWs

Graphi-Ogre (Montage)

Die drei betroffenen Atomkraftwerke an der japanischen Ostküste.

„Erlaubtes Niveau überschritten“

Unterdessen wächst in der Präfektur Miyagi die Sorge vor radioaktiver Strahlung. Wegen überhöhter Werte sei die niedrigste Notstandsstufe erklärt worden, teilte die internationale Atomenergiebehörde (IAEA) am Sonntag in Wien mit. Bei Messungen rund um den Atommeiler sei „das erlaubte Niveau überschritten“ worden. Nach Angaben der japanischen Behörden sei die Situation in den drei Reaktoren in Onagawa aber „unter Kontrolle“, erklärte die IAEA.

Wie die Nachrichtenagentur Kyodo unter Berufung auf den Kraftwerksbetreiber Tohoku meldete, wurde in der nordöstlichen Provinz Miyagi 400-mal höhere Radioaktivität als normal gemessen. Ein Sprecher des Unternehmens sagte, die Reaktoren in der Region seien stabil. Um das AKW Onagawa sei eine erhöhte Strahlung festgestellt worden. Man gehe aber davon aus, dass das nicht von dem Reaktor stamme. Experten vermuten, dass der Wind Radioaktivität vom gut 150 Kilometer entfernten Unglücksort in Fukushima dorthin geweht habe.

Experten bezweifeln allerdings, ob die Behörden alles unter Kontrolle haben. „Ich habe meine Zweifel“, sagt der Direktor eines Atomunternehmens, der nicht namentlich genannt werden möchte. Die Explosion in Fukushima sei von den Behörden erst nach zwei Stunden bestätigt und erklärt worden, und auch das nur indirekt. „Die Kommunikation ist sehr unvollständig.“

Widersprüchliche Angaben zu Kernschmelze

Die Nachrichtenlage zum AKW Fukushima I ist hingegen widersprüchlich. Ein Regierungssprecher dementierte am Sonntag seine Angaben, wonach es auch im Reaktor 3 des Atomkraftwerks eine „teilweise“ Kernschmelze gegeben habe. Wie bereits am Reaktor 1 sei im Reaktor 3 die Kühlfunktion ausgefallen, erklärte Regierungssprecher Yukio Edano. Dadurch sei das Kühlwasser zurückgegangen. Zuvor hatte er erklärt, es sei zu einer „teilweisen“ Kernschmelze gekommen.

Dass es im Reaktor 1 schon zu einer Kernschmelze kam, hält die Atomsicherheitsbehörde für sehr wahrscheinlich. Der Evakuierungsradius wurde auf 20 Kilometer ausgeweitet, 180.000 weitere Menschen waren gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Durch Salzwasserzufuhr seien die Brennstoffstäbe in Fukushima inzwischen wieder im Wasser, sagte der Sprecher. Es könne sein, dass sich dadurch Wasserstoff unter dem Dach angesammelt habe. Doch selbst wenn es wie beim Block Nummer 1 zur Explosion komme, könne der Reaktor 3 dem widerstehen.

Hochgiftiges Plutonium

Bei Reaktor 3 kommt laut Greenpeace jedoch hinzu, dass es sich bei diesem Block - im Gegensatz zu Reaktor 1 - um spezielle Brennstäbe mit hochgiftigem Plutonium handelt. Diese Plutonium-Uran-Mischung habe einen niedrigeren Schmelzpunkt. Demzufolge könne eine Kernschmelze schon bei niedrigeren Temperaturen verursacht werden.

Am Sonntag räumte die Betreibergesellschaft Tokyo Electric Power CO (TEPCO) dann ein, dass auch im Reaktor 2 die Kühlung ausgefallen ist. Man würde Meerwasser und Bor in den Reaktor leiten, um eine Überhitzung zu vermeiden, heiß es vonseiten der Betreiber.

Schematische Darstellung Kernschmelze, beschädigter Reaktor, Factbox zum AKW

APA/Walter Longauer

Zwei Jahre Kühlung

Schon am Samstag war es im AKW Fukushima I im Reaktor 1 zu einer Explosion gekommen. Die japanische Atomaufsicht stufte den „Unfall“ auf der Stufe vier auf einer Skala von null bis sieben ein. Angeblich wurde der von einem 15 Zentimeter dicken Stahlmantel umhüllte Kern nicht beschädigt. Sollte der Reaktorbehälter aus Stahl der Hitze der schmelzenden Brennelemente standhalten, müsste nach Ansicht des Experten Rauch die Kühlung noch über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren gewährleistet werden.

Japanische Experten betonen, die Reaktoren in Fukushima würden selbst einer Kernschmelze standhalten. Westliche Experten zeigten sich teils deutlich skeptischer. Ein Greenpeace-Sprecher sagte, dass aufgrund der Verkettung unterschiedlicher Ereignisse die Lage möglicherweise außer Kontrolle sei.

Wind dreht in Richtung Tokio

Durch das Ablassen von Dampf, um den Druck zu reduzieren, wurde Radioaktivität freigesetzt, die auch den gesetzlich festgelegten Höchstwert bereits überschritt. Ein Mitarbeiter einer Umweltschutzorganisation berichtete aber auch von erhöhten Werten außerhalb der Evakuierungszone, berichtete der ORF-Korrespondent Jörg Winter. 160 Personen sollen wegen überhöhter Strahlendosis in Krankenhäusern behandelt worden sein.

Sollte noch mehr Radioaktivität austreten, ist die Wettersituation entscheidend, aus welcher Richtung der Wind kommt, welche Regionen besonders betroffen sein könnten. Nach Ansicht der finnischen Strahlenschutzbehörde (STUK) könnte die Windrichtung bereits Montagabend in Richtung Tokio drehen. Derzeit weht der Wind auf den Pazifik.

Menschen werden auf radioaktive Strahlung untersucht

AP/Gregory Bull

Menschen aus der Umgebung des AKWs werden auf Radioaktivität untersucht.

Jodtabletten verteilt

Tausende evakuierte Menschen werden von Arbeitern mit weißen Masken und Schutzkleidung auf Radioaktivität gescannt. Möglicherweise verstrahlte Personen werden abgesondert. Die Behörden bereiten sich bereits auf die Ausgabe von Jodtabletten an die Bevölkerung vor, um im Fall einer atomaren Katastrophe zumindest das Schilddrüsenkrebsrisiko zu reduzieren - Video dazu in iptv.ORF.at.

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