Hohe Nachfrage, Spekulation und Angst
Die politische Instabilität in Nordafrika und dem Nahen Osten hat den Rohölpreis zuletzt auf den höchsten Stand seit fast drei Jahren getrieben. Welchen Anteil an der Preisentwicklung fundamentale Gründe (Knappheit), Spekulation und Psychologie (die Angst vor einer dritten Ölkrise) haben, lässt sich nur schwer einschätzen.
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Klar ist allerdings, dass die Preisentwicklung mögliche Zukunftsszenarien vorwegnimmt – und die sind derzeit in der Tat nicht rosig. Schließlich kriselt es quer durch den Nahen Osten, und der hatte, hieß es vor kurzem im britischen „Economist“, schon mehrfach den „Funken“ geliefert, der den Ölpreis explodieren ließ und die Weltwirtschaft ins Wanken brachte. Grund genug, sich vor einer dritten Ölkrise zu fürchten?
Starke Preisausschläge aufgrund geopolitischer Ursachen gab es schon mehrfach, wirkliche Ölkrisen bisher zwei: eine 1973 wegen des Jom-Kippur-Krieges zwischen Israel, Ägypten und Syrien und 1979/1980 nach der Revolution im Iran und dem darauf folgenden ersten Golfkrieg zwischen dem Irak und dem Iran. Während der ersten Krise war es ein Ölembargo mehrerer OPEC-Staaten, der den Preis in die Höhe schießen ließ, während der zweiten waren es Förderausfälle, aber auch eine starke Unsicherheit über die weiteren Entwicklungen im Nahen Osten.
„Immanent wichtige“ Region
In diesem Punkt gibt es durchaus Parallelen zu heute. Die Situation in Nordafrika und dem Nahen Osten werde sich nicht so schnell beruhigen, so die Einschätzung von Ronald-Peter Stöferle, Rohstoffanalyst bei der Erste Bank, anlässlich einer Pressekonferenz vor rund zwei Wochen in Wien. Dass diese Perspektive nun für Unsicherheit sorgt, verwundert nicht, handle es sich beim MENA-Raum (Naher Osten und Nordafrika, Anm.) um eine Region, die für die Ölpreisentwicklung „immanent wichtig“ sei.
Risiko Iran und Saudi-Arabien
Während nach den ersten politischen Umbrüchen in Tunesien und Ägypten noch niemand das Wort „Ölkrise“ in den Mund nahm, hat sich das mittlerweile geändert. Zwar sind die Ausfälle in Libyen (das Land verfügt über 4,4 Prozent der gesamten OPEC-Reserven) nicht ganz leicht, aber zu verkraften. Das Risiko eines dritten großen Ölpreisschocks würde aber steigen, sollte es in der Region zu einem Dominoeffekt kommen und sich die Unruhen etwa auf Länder wie den Iran und Saudi-Arabien ausbreiten.
In den beiden autoritär regierten Ländern gärt es - und sie sitzen gemeinsam auf 401,6 Mio. Barrel (je 159 Liter) bzw. 37,8 Prozent der gesamten OPEC-Reserven, die wiederum fast 80 Prozent (Stand 2009) der bisher bekannten globalen Vorkommen ausmachen.
Konsequenzen „kaum vorstellbar“
Insbesondere die Lage im Iran, wo sich Widerstand gegen den Umgang mit Oppositionellen regt, werde, so Stöferle, unterschätzt. Käme es etwa zu einer Blockade der Straße von Hormus, einer der wichtigsten Schifffahrtsrouten für den Erdölhandel, hätte das wahrscheinlich „Konsequenzen, die man sich kaum vorstellen kann“.
Ähnlich wären wohl die Folgen, wenn das Herrscherhaus im autoritär geführten Wahhabiten-Königreich Saudi-Arabien in den Sog der Unruhen gerät. Noch versucht der 86-jährige Monarch Abdullah, sein Volk mit Geldgeschenken zu beschwichtigen. Ende Februar machte er dafür 36 Mrd. Dollar (über 25 Mrd. Euro) locker. Doch die weitere Entwicklung lässt sich kaum einschätzen.
Billiges Geld macht Rohstoffe teuer
Unter einem solchen Szenario wäre ein „dritter Ölpreisschock“ nicht auszuschließen, heißt es im „Spezial Report Öl“ der Erste Group, der am 9. März vorgestellt wurde. Das Worst-Case-Szenario wäre ein Preis von vorübergehend 200 Dollar pro Barrel. Das Königreich sei derzeit eines der „größten Risiken“ für einen starken Anstieg der Preise. Bisher liegt das historische Rekordniveau bei knapp unter 150 Dollar.
Dabei ist schon der bisherige Anstieg nicht mehr so „moderat“, wie es zuletzt im „Economist“ hieß. Rohöl und Treibstoffe sind derzeit so teuer wie seit Sommer 2008, der letzten Rohstoffhausse, nicht mehr. Nur wegen der unklaren Folgen der Atomkatastrophe in Japan ging der Preis in den letzten Tagen etwas zurück.
Zum konstant hohen Niveau trägt laut Stöferle derzeit auch die Politik der Notenbanken nicht unwesentlich bei. Billiges Geld ist reichlich vorhanden und fließt in Rohstoffspekulationen, was die Preisspirale zusätzlich beschleunigt. Dazu kommt eine steigende Nachfrage aus den aufstrebenden Schwellenländern.
Wie groß ist das Konjunkturrisiko?
Ein weiter steigender Ölpreis bringt derzeit ein mehrfaches Risiko mit sich: Eine längerfristig hohe Teuerungsrate, verursacht durch hohe Kosten für Energie, Treibstoffe etc., wirkt sich negativ auf den Privatkonsum aus. Schnallen die Konsumenten den Gürtel enger, leidet wiederum die Nachfrage und damit die Konjunktur. Diese steht gesamtwirtschaftlich gesehen nach der Krise immer noch auf tönernen Füßen.
Ein Ölpreisschock könnte den Aufschwung zumindest bremsen. Generell geht man davon aus, dass ein Preisanstieg von zehn Prozent beim Erdöl rund 0,25 Prozent Wirtschaftswachstum kostet. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass die Weltwirtschaft in diesem Jahr um 4,4 Prozent wachsen wird – das aber vor allem dank des hohen Tempos der Schwellenländer.
„Noch kein großes Problem“
In der Euro-Zone sieht die Prognose mit plus 1,5 Prozent schon deutlich magerer aus. Hier fällt jeder Prozentpunkt weniger Wachstum stärker ins Gewicht. Auf Entwicklungs- und Schwellenländer kämen durch einen gleichzeitigen Anstieg der Nahrungsmittelpreise eigene, spezifische Probleme zu.
Derzeit sei das Preisniveau „noch kein großes Problem“, meint Stöferle. Kurzfristig könne der Preis zwar ein neues Allzeithoch ansteuern, mit einer Beruhigung der Situation sollte er im Herbst wieder bis auf 70 oder 80 Dollar sinken. Panik sei unangebracht. Fundamental, also ohne einen „Aufschlag“ von Spekulation und Panik, sei der Preis derzeit bei rund 90 Dollar pro Barrel anzusetzen.
Strategische Papiertiger
Der „Economist“ hatte an einem möglichen Preisschock sogar eine „gute Seite“ entdeckt. Vielleicht würde dann das Projekt Diversifizierung der Energieversorgung ernster angepackt. Bleibt der Erdölpreis länger auf hohem Niveau, „würde sich da etwas tun“, meint auch Stöferle in Richtung alternativer Energie.
Strategiepapiere zu diesem Thema stapeln sich und wurden schon beschworen, als der Erdölpreis vor drei Jahren in den Himmel schoss, als die Ukraine Europa mehrfach die Erdgaszufuhr abdrehte und zuletzt, als die Bohrplattform „Deepwater Horizon“ die größte Ölpest der Geschichte verursachte. Allein, bisher sind Strategien zu einem großen Teil eben nur Papier.
Georg Krammer, ORF.at
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