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Schwere Schicksale, Bürokratieschikanen

Susanne Scholl, ihres Zeichens ehemalige Russland-Korrespondentin des ORF, hat im Rahmen ihrer Tätigkeit viel an Leid miterlebt - vor allem in Tschetschenien. Zurückgekehrt nach Österreich sieht sie, was Flüchtlinge aus Krisengebieten hierzulande erwartet: die Asylmisere. Über diesen Kulturschock schrieb sie das Buch „Allein zu Hause“.

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Scholl ist keine, die ihren Promistatus dazu ausnutzt, auf die Schnelle Geld zu machen. Sie hätte auch ein Kochbuch mit russischen Rezepten schreiben können oder Stereotype bedienen, indem sie den ausschweifenden Urlaube von Russen-Mafiosi in heimischen Hotels ein Sachbuch widmet. Aber erstens entdeckt Scholl das Schreiben nicht erst jetzt - sie hat bereits vier Sachbücher und drei Romane geschrieben. Und zweitens entstammt Scholl einer jüdischen Familie, die von der Flucht vor den Nazis geprägt wurde.

Die Familiengeschichte, die Erfahrungen in Tschetschenien, wo sie selbst verhaftet wurde - durch all das hat Scholl eine Fähigkeit erhalten, die heute selten zu finden ist: sich zu empören. Wann auch immer sie seit ihrer Rückkehr einen Artikel über eine Abschiebung in der Zeitung gelesen hat, ging sie der Sache nach. Reiste an den Ort des Geschehens. Sprach mit Beteiligten. Nun hat sie die Geschichten, die sich daraus ergeben haben, in einem Buch zusammengefasst.

Vom neun Monate alten Sohn getrennt

Jedem der Fälle, die sie verfolgte, ist ein Kapitel gewidmet. So etwa jenem einer jungen Familie mit kosovarischen Wurzeln, deren Abschiebung von der ortsansässigen Bevölkerung - unter Mithilfe des Bürgermeisters - verhindert worden war. Oder die Geschichte von Tahira, die drei Kinder hat und aus Aserbaidschan kommt. Fahim wiederum ist Afghane, dessen neun Monate alter Sohn von ihm getrennt und gemeinsam mit der Mutter in die Mongolei abgeschoben wurde - obwohl der Säugling eigentlich Österreicher sein hätte müssen. Schwere Schicksale werden durch lächerliche und zugleich unmenschliche bürokratische Schikanen verschlimmert, die nur dazu dienen, diese Menschen loszuwerden - das führt Scholl dem Leser vor Augen.

Buchhinweis:

Susanne Scholl: Allein zu Hause. Ecowin, 171 Seiten, 21,90 Euro.

Dabei beschränkt sich die Journalistin aber nicht auf das Verfolgen von Medienberichten. So veröffentlicht sie ihre Korrespondenz mit dem Innenministerium - samt erhellender Antworten von ebendiesem. Auch „gewöhnliche“ Migrationsgeschichten werden erzählt, also solche, wo es nicht um eine akute Bedrohung vor der Abschiebung geht. Sie traf sich etwa mit der jungen österreichischen Autorin Julya Rabinowich, die als Siebenjährige aus der damaligen Sowjetunion nach Österreich kam und ihre Erfahrungen im viel beachteten Roman „Spaltkopf“ (2008) verarbeitet hat.

Scholl bedient sich bei alledem einer leicht verständlichen Sprache und vermeidet es, zu polemisieren - auch wenn sie selbst ihr Vorwort zum Buch als „polemisch“ übertitelt. Ihr Kommentar zum Asylwesen hat Gewicht. Sie war lange genug dort, wo „die“ herkommen.

Simon Hadler, ORF.at

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