„Schritt für Schritt“ Richtung Tripolis
In mehreren libyschen Küstenstädten haben sich Aufständische erneut heftige Kämpfe mit den Truppen des Regimes geliefert. Es gibt wieder zahlreiche Tote. Zur Lage gibt es widersprüchliche Angaben. Ein Vertreter der Aufständischen erklärte am Samstag, diese versuchten derzeit, vom Osten her in westliche Richtung vorzurücken.
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„Der Plan ist es, Schritt für Schritt in ihre Richtung vorzurücken, um sie zum Rückzug zu drängen. Wir wollen nicht kämpfen, sondern nur psychologischen Druck ausüben“, sagte Oberst Baschir Abdelkadir. Eigenen Angaben zufolge nahmen die Aufständischen unterdessen die heftig umkämpfte Hafenstadt Ras Lanuf ein. Vizeaußenminister Chaled Kaim dementierte jedoch und sagte, die Stadt sei weiter unter Kontrolle der Regierungstruppen.
Nach Angaben eines Arztes in einem Krankenhaus in der östlich von Ras Lanuf gelegenen Stadt Brega, wohin einige der Opfer gebracht worden waren, wurden bei den Kämpfen zehn Menschen getötet. Den Aufständischen zufolge ist Brega seit Mittwoch unter ihrer Kontrolle. Vertreter der Regierung machten allerdings auch zur dortigen Lage widersprüchliche Angaben.
Kampfflugzeug abgeschossen
Nach eigener Darstellung haben die Aufständischen in der Nähe von Ras Lanuf ein Kampfflugzeug der Luftwaffe des Landes abgeschossen. Einem Reuters-Reporter wurde ein abgeschossenes Flugzeug gezeigt, den Piloten sei der Kopf zum Teil abgerissen worden.

Graphi-Ogre/ORF.at (Montage)
Ras Lanuf und Brega liegen an der Küstenstraße zwischen Tripolis und Bengasi.
Zahlreiche Tote und Verletzte
Bei einer Explosion eines Waffendepots am Freitagabend in der Nähe von Bengasi wurden nach Krankenhausangaben 27 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt. Ob die Explosion durch einen Unfall, Sabotage oder einen Luftangriff ausgelöst wurde, war noch unklar.
Auch die 60 Kilometer westlich der Hauptstadt Tripolis gelegene Stadt al-Sawija war weiter umkämpft. Augenzeugen berichteten, die Stadt sei in der Hand der Rebellen, werde jedoch von loyalen Truppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi belagert. Diese hätten am Samstag vergeblich versucht, sie einzunehmen. Nach Angaben eines Arztes wurden bei Kämpfen mindestens 30 Menschen getötet, die meisten von ihnen Zivilisten.
Bewohner warfen den Truppen Gaddafis vor, Wohnhäuser gestürmt und Zivilisten getötet zu haben. Panzer hätten Häuser und eine Moschee mit Hunderten Menschen beschossen. „Wegen des starken Beschusses können wir niemanden retten“, sagte ein Anwohner. Auf der Suche nach Positionen für Scharfschützen seien Bewohner getötet worden. „Wir haben uns geweigert, sie reinzulassen, da haben sie meinen Bruder und meinen Cousin umgebracht“, sagte ein Anwohner, der seinen Namen mit Waleed angab. Ein anderer Bewohner sagte: „Sie haben Menschen abgeschlachtet.“
Gegenregierung forderte Flugverbotszone
Der von Aufständischen gebildete „Nationalrat“ forderte am Samstag die internationale Gemeinschaft auf, eine Flugverbotszone über dem Land einzurichten. Al-Gaddafi solle auf diese Weise daran gehindert werden, „sein eigenes Volk zu bombardieren“, verlautete aus Kreisen der Aufständischen in der östlichen Metropole Bengasi.
Ein Eingreifen ausländischer Truppen auf libyschem Boden werde hingegen strikt abgelehnt. Dem „Nationalrat“ gehören 31 Komitees aus „befreiten“ Städten an. Das Gremium tagte am Samstag erstmals an einem geheimen Ort in Bengasi.
Initiiert wurde der Rat von dem ehemaligen Justizminister Mustafa Abdel Dschalil, der nach Ausbruch der Revolte dem libyschen Diktator seine Gefolgschaft aufgekündigt hatte. Auf der Sitzung am Samstag ernannte das Gremium den Spitzendiplomaten Abdulrahman Schalgam zum „legitimen Repräsentanten Libyens bei den Vereinten Nationen“. Schalgam war bis Ende Februar offizieller Botschafter Libyens bei den UN, ehe er den Posten aus Protest gegen Gaddafis blutige Unterdrückungspolitik niederlegte und sich den Rebellen anschloss.
Regierung fordert Aufhebung der Sanktionen
In einem Brief an die Vereinten Nationen forderte die libysche Regierung die Aufhebung der verhängten Sanktionen. Dazu gehören ein Waffenembargo, Reiseverbote und Kontosperren. Es habe nur ein „Minimum“ an Gewalt gegen „Gesetzesbrecher“ gegeben, hieß es in dem Schreiben.
Nach Angaben aus Regierungskreisen in Tripolis wurde der ehemalige Außenminister Ali Abdessalam Triki zum neuen Chefdelegierten Libyens bei den Vereinten Nationen ernannt. Er löse den bisherigen Amtsinhaber ab, der sich von Al-Gaddafi losgesagt hatte. Der 72-jährige Triki war Außenminister Libyens von 1976 bis 1982 und von 1984 bis 1986 und mehrmals UNO-Botschafter. Außerdem fungierte er mehrfach als Sonderberater Al-Gaddafis, insbesondere für afrikanische Angelegenheiten.
Hilfe für Flüchtlinge auf Hochtouren
Unterdessen laufen in Tunesien die Hilfsmaßnahmen für Libyen-Flüchtlinge auf Hochtouren. Mehrere europäische Staaten haben Flugzeuge und Schiffe bereitgestellt, um geflohene Gastarbeiter in ihre Heimatländer zurückzubringen. Die österreichische Bundesregierung kündigte jüngst an, wegen der angespannten Flüchtlingssituation ein humanitäres Hilfspaket für Nordafrika zusammenzustellen.
Allein zwischen dem 21. Februar und dem 3. März haben nach jüngsten Informationen der EU-Kommission knapp 97.000 Menschen die libysch-tunesische Grenze überquert. Rund 47.000 davon waren Ägypter. Sechs EU-Länder stellten nach offiziellen Angaben vom Freitagabend zuletzt vier Schiffe und 15 Flugzeuge für Evakuierungsaktionen zur Verfügung. Insgesamt zwölf europäische Staaten kümmerten sich um Hilfsgüter wie Decken und Nahrungsmittel für die Flüchtlingscamps oder gaben Geld.
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