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Kranker Monarch lähmt saudische Politik

Der saudi-arabische König Abdullah kann auf einen Polster von über 400 Milliarden Dollar aus dem Ölgeschäft zurückgreifen, um einen Volksaufstand wie in Ägypten und Tunesien zu verhindern. Doch der alternde Monarch wird nach Einschätzung von Analysten auch kaum um Reformen herumkommen, wenn er angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Probleme Dissidenten im Zaum halten will.

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So müsse das Königshaus etwa gegen die hohe Arbeitslosigkeit angehen und dem Wunsch junger Saudis nach Meinungsfreiheit nachkommen. Doch wegen der langen krankheitsbedingten Auslandsaufenthalte des etwa 87-jährigen Königs und auch seines kaum jüngeren Bruders Prinz Sultan hat sich das Reformtempo verlangsamt.

Beschwerden über korrupte Beamte

„Ich glaube, die Leute erwarten von der Regierung, dass sie nun wirklich Lösungen für ihre Probleme anbietet“, sagt der Saudi-Arabien-Experte Chaled al-Dachil. Neben der Schaffung von Arbeitsplätzen und einer verbesserten Wohnungssituation nennt der Analyst den Kampf gegen Korruption als eine der wichtigsten Herausforderungen für das saudische Königshaus.

Auf Internetplattformen wie Twitter nehmen Beschwerden über korrupte Beamte zu. Nach Überschwemmungen in der zweitgrößten Stadt Dschidda mit mindestens zehn Toten wurde in Zeitungsartikeln offen über die Bestechlichkeit von Beamten geklagt. Zudem gründeten Islamisten in der vergangenen Woche eine Oppositionspartei, ein Tabubruch in Saudi-Arabien.

Festhalten an absoluter Monarchie

Der Druck für politische Veränderungen nimmt also zu. Doch selbst kleinere Reformen wie die Eröffnung technischer Universitäten und die Einführung von Ausbildungskursen für Lehrer und Richter stießen zuletzt in Teilen der einflussreichen geistlichen Oberschicht auf Skepsis. Seit seinem Amtsantritt 2005 hat König Abdullah praktisch nichts am politischen System einer absoluten Monarchie verändert - von einer Lockerung der streng islamischen gesellschaftlichen Verhaltensvorschriften ganz zu schweigen.

„Der politische Entscheidungsfindungsprozess ist praktisch in allen Bereichen erlahmt“, sagt die Nahost-Expertin Jane Kinninmont vom britischen Wirtschaftsmagazin „Economist“. In einem politischen System, in dem Entscheidungen normalerweise von oben nach unten gefällt würden, bremse die Abwesenheit der Machthaber das Tempo der Politik erheblich.

„Zahlreiche Regierungsvorhaben stecken fest. Reformen, die die Zustimmung des Königs benötigen, scheinen auf Eis zu liegen“, erklärt auch ein Analyst mit Sitz in Saudi-Arabien, der namentlich nicht genannt werden will. „Ich denke, Abdullah muss so schnell wie möglich zurückkommen.“

Knapp 80-Jähriger als Nachfolgekandidat

Während die Saudi-Araber an ihren Fernsehbildschirmen verfolgten, wie in Tunesien Präsident Zine El Abidine Ben Ali und in Ägypten Staatschef Hosni Mubarak aus dem Amt gejagt wurden, weilte der kranke König Abdullah die vergangenen drei Monate im Ausland. Der designierte Thronfolger Prinz Sultan, der die meiste Zeit der vergangenen zwei Jahre ebenfalls zur ärztlichen Behandlung außer Landes war, übernahm die Amtsgeschäfte kommissarisch, packte aber keine Reformen an.

Auch die ungeklärte Frage, ob nicht bald ein deutlich jüngerer Vertreter des Königshauses die Macht übernehmen sollte, lähmt den politischen Entscheidungsprozess. Sollten sowohl Abdullah als auch Prinz Sultan wegen ihrer Gesundheitsprobleme die Regierungsgeschäfte nicht ausüben können, gilt ihr Bruder Prinz Najef zwar als aussichtsreichster Kandidat.

Doch der Innenminister ist mit seinen knapp 80 Jahren auch nicht gerade ein Vertreter der jungen Generation. Zudem gilt Najef als „Falke“, der gesellschaftspolitischen Reformen skeptisch gegenübersteht.

Familienrat ins Leben gerufen

König Abdullah hat einen Familienrat ins Leben gerufen, der über die Nachfolge entscheiden soll. Es blieb aber offen, wann und wie dieses Gremium seine Arbeit aufnehmen wird. Unterdessen werden die jungen Saudi-Araber immer ungeduldiger. „Nach einem Regimewechsel wird zwar niemand rufen, aber die Leute werden politische Reformen einfordern“, sagt der prominente saudi-arabische Journalist Dschemal Chaschugdschi. „Die Menschen haben ihre Forderungen, die Menschen haben ihre Nöte.“

Ulf Lässing, Reuters

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