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„Bin kein Mann der Unterdrückung“

Der Chef der tunesischen Übergangsregierung, Mohamed Ghannouchi, hat seinen Rücktritt erklärt. Er werde sein Amt niederlegen, sagte der Ministerpräsident am Sonntag auf einer Pressekonferenz in Tunis. Ghannouchi zog damit die Konsequenzen aus den anhaltenden Protesten gegen ihn. Beji Caid Essebsi wurde zu seinem Nachfolger ernannt.

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„Mein Rücktritt wird eine bessere Atmosphäre für die neue Ära schaffen“, sagte Ghannouchi im Staatsfernsehen. Er wolle verhindern, dass noch mehr Menschen sterben. Der Rücktritt erfolge im „Dienste des Landes“, so Ghannouchi. „Ich bin kein Mann der Unterdrückung“, wurde er vom arabischen TV-Sender al-Jazeera zitiert. „Ich laufe nicht meiner Verantwortung davon. Ich tue das um den Weg für einen neuen Premierminister frei zu machen.“

Seit Freitag hatten Tausende Menschen gegen die Übergangsregierung demonstriert, wobei es zu Straßenschlachten mit der Polizei kam. Zmeist junge Demonstranten warfen auch am Sonntag in der Hauptstadt Tunis mit Steinen Fensterscheiben von Gebäuden ein und errichteten Barrikaden, wie Korrespondenten berichteten.

Die Protestierenden skandierten Parolen gegen die Übergangsregierung von Ghannouchi, als sie sich am Sonntag in Richtung Innenministerium bewegten. Die Polizei versuchte demnach vergeblich, die Demonstranten mit Tränengas und Warnschüssen auseinanderzutreiben.

Mehrere Tote bei Straßenschlachten

Mindestens drei Menschen waren bei heftigen Straßenschlachten in Tunis nach Angaben von Beamten getötet worden, 200 Personen wurden verletzt. Das Ministerium machte dabei „eine Gruppe von Aufrührern“ für die Zusammenstöße verantwortlich. Angezettelt und zum Teil bezahlt von Beamten des gestürzten Regimes, hätten sie sich unter die friedlichen Demonstranten gemischt und die Gewalt provoziert. Bereits am Freitag hatte es heftige Auseinandersetzungen gegeben.

Ghannouchi hatte schon unter dem gestürzten langjährigen Staatschef Zine El Abidine Ben Ali als Regierungschef gedient und danach den Vorsitz der Übergangsregierung übernommen. Obwohl er als gemäßigt und als guter Vermittler gilt, belastete ihn nach Ansicht vieler Tunesier seine Nähe zur alten Regierung. Der 69-Jährige hatte während der Proteste gegen Ben Ali zudem das harte Vorgehen des Staates gegen die Demonstranten verteidigt. Ben Ali hatte sich am 14. Jänner nach wochenlangen Protesten ins Exil nach Saudi-Arabien abgesetzt.

Demonstranten fordern tiefgreifendere Reformen

Die Übergangsregierung kündigte Reformen und Wahlen an. Den Demonstranten geht das aber nicht weit genug. Sie fordern eine Verbesserung ihrer sozialen Lage, die von Armut, Arbeitslosigkeit und steigenden Lebenshaltungskosten geprägt ist. Der Aufstand gegen die autoritären Führungen in der arabischen Welt hatte im Dezember von Tunesien seinen Ausgang genommen.

Ansturm von Libyen-Flüchtlingen

Ob der Rücktritt Ghannouchis die Lage beruhigen kann, ist unklar. Die angespannte Lage im Land wird derzeit verschärft durch den Exodus aus Libyen. Das Rote Kreuz in Tunesien warnte bereits vor einer humanitären Katastrophe. Seit dem 20. Februar seien mindestens 40.000 Menschen vor den Kämpfen im Nachbarland geflohen.

Die libyschen Grenzbeamten am wichtigsten Übergang Ras Jedir hätten ihre Posten mittlerweile verlassen, hieß es. Allein am Samstag seien dort 10.000 Menschen - überwiegend Ägypter - nach Tunesien geflohen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) ging am Sonntag bereits von 50.000 Flüchtlingen in Tunesien aus.

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