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Berühmt, berüchtigt und brutal

Seit 42 Jahren herrscht Muammar al-Gaddafi in Libyen. Ohne selbst ein offizielles Amt zu bekleiden, hat er viele wichtige Posten im Land mit einem Familienmitglied besetzt. Nach außen hin wirkt der Gaddafi-Clan gut organisiert und äußerst machtbewusst. Doch hinter den Kulissen haben sich zwischen seinen acht Kindern tiefe Gräben gebildet.

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US-Botschaftsdepeschen, die auf WikiLeaks veröffentlicht wurden, zeichnen das Bild einer reichen, mächtigen Familie, in der sich in den letzten Jahren brutale Machtkämpfe abgespielt haben. Zentrale Figur ist der 68-jährige Muammar, der sich im Ausland gerne als bunte Figur inszenierte, innenpolitisch aber mit besonderer Brutalität gegen Kritiker vorging.

„Phobiker mit Liebe zum Flamenco“

Vom US-Botschafter in Libyen, Gene Cretz, wird Al-Gaddafi als „exzentrische Figur“ beschrieben, die an schweren Phobien leide, Flamenco und Pferderennen liebe und „mit seinen Marotten Freunde und Familie gleichermaßen irritiert“, zitierte der „Guardian“ aus den US-Depeschen. Problematisch sei vor allem seine Angst, sich in oberen Stockwerken aufzuhalten und über Wasser zu fliegen.

Der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi mit zwei von seinen Kindern, Al-Saadi (links) und Aischa (rechts), 1986

AP/Jennifer Parmelee

Al-Gaddafi mit seinen Kindern Al-Saadi und Aischa 1986.

Seine zweite Ehefrau Safia und Mutter von sieben seiner acht Kinder findet nur wenig Erwähnung, außer wenn sie im Privatjet zu ausgiebigen Shoppingtouren fliegt. Über Al-Gaddafis ältesten Sohn Mohammed schweigt sich WikiLeaks aus. Was vor allem dahingehend verwunderlich ist, da Mohammed neben der Leitung des Olympischen Komitees des Landes die gesamte Telekommunikation in Libyen kontrolliert.

Mit Tiger im Gepäck nach Wien

Interessanter sind hier schon die Berichte über den zweitältesten Sohn Saif al-Islam - vor allem aus österreichischer Sicht. Denn als Saif al-Islam 1997 zu seinem Wirtschaftsstudium nach Wien kam, hatte er auch zwei bengalische Tiger im Gepäck, die im Tiergarten Schönbrunn untergebracht werden mussten. Damals freundete sich der als „Lebemensch und Frauenheld“ beschriebene Diktatorensohn mit dem damaligen Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider an. Die Freundschaft hielt bis zu Haiders Tod 2008.

Immer wieder wurde von wilden Partys in der Döblinger Villa des heute 39-Jährigen berichtet. 2007 verletzte sich eine 22-jährige Frau bei einem mysteriösen Fenstersturz schwer. Die Ermittlungen gegen Saif al-Islam wurden jedoch rasch wieder eingestellt. Saif al-Islam präsentierte sich im Ausland gerne als Reformer, in der Nacht auf Montag lag es jedoch an ihm, die Bevölkerung vor einem Bürgerkrieg zu warnen. Im eigenen Land hat Saif al-Islam schon länger alle Sympathie verspielt und auch innerhalb der Familie ist er mit mehreren seiner Geschwister zerstritten.

Hannibal al-Gaddafi, einer der Söhne des libyschen Staatsführers Muammar al-Gaddafi

Reuters

Hannibal legte sich mit den Schweizer Behörden an.

Eklat in der Schweiz

Saif al-Islam ist jedoch nicht der einzige Sohn, der im Ausland mit dem Gesetz in Konflikt kam. Der prominenteste Fall ist die Verhaftung des fünftältesten Sohnes Hannibal wegen schwerer Körperverletzung in Genf. Der Fall zog ein jahrelanges diplomatisches Tauziehen nach sich, da Libyen aus Rache zwei Schweizer Geschäftsmänner festsetzte. Erst nach fast zwei Jahren, im Sommer 2010, konnte der Streit beigelegt werden. 2009 musste in London erneut die Polizei wegen Hannibals ausrücken. Damals schlug er seine Verlobte schwer. Weil sie die Aussage verweigerte, wurde nie Anklage erhoben.

Drogen, Alkohol und Profifußball

In der Disziplin „schlechtes Benehmen“ kann Hannibal nur noch sein älterer Bruder Al-Saadi den Rang ablaufen. In den Depeschen als „Problemkind“ bezeichnet, hatte Al-Saadi in der Vergangenheit immer wieder Probleme mit Alkohol und Drogen. Er spielte eine Saison als Profifußballer in Italiens Serie A, wo er wegen seiner wilden Partys immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt kam. Zurück in Libyen setzte er mehrfach militärischen Druck ein, um sich Geschäfte zu sichern. Seit Ausbruch der Proteste ist er im Osten des Landes im Einsatz, um die dortigen Aufstände niederzuschlagen.

Söhne kontrollierten militärische Macht

Dass Al-Gaddafi seiner Armee nie wirklich traute, ist bekannt. Schon früh beauftragte er seine Söhne Muatassim und Chamis mit dem Aufbau paralleler Militärstrukturen. Während Chamis in Russland als Kommandant der Spezialeinheiten ausgebildet wurde, galt Muatassim lange als große Nachwuchshoffnung. Doch in den letzten Jahren verlor er immer mehr an Boden. Seine Brüder booteten ihn bei Geschäften immer öfter aus. Vielleicht auch deshalb bezeichnete ihn der serbische Botschafter als „nicht so gescheit“. Er gilt als tief zerstritten mit seinem Bruder Saif al-Islam.

Aischa al-Gaddafi, Tochter des libyschen Staatsführer Muammar al-Gaddafi

APA/EPA/Jorge Ferrari

Al-Gaddafis Tochter Aischa leitet eine Wohltätigkeitsorganisation.

Überhaupt scheint sich die Familie über die Aufteilung des riesigen Geschäftsimperiums alles andere als einig zu sein. Die britische „Financial Times“ zitierte eine Stelle aus den US-Depeschen vom März 2009, in der von einem „mörderischen Krieg“ zwischen den Gaddafi-Sprösslingen die Rede ist. Vor allem die Brüder Al-Saadi, Mohammed und Muatassim gerieten über die Anteile eines Coca-Cola-Fanchise heftig aneinander.

Lionel Richie als Geburtstagsgeschenk

Von den acht Söhnen ist Saif al-Arab neben seinem Cousin und späteren Adoptivbruder Milad Abustaia der Öffentlichkeit am wenigsten bekannt. Saif al-Arab lebte und studierte eine Zeitlang in München. Mehrmals geriet er mit der Polizei aneinander. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelte unter anderem wegen Waffenschmuggels und Körperverletzung gegen ihn, es kam jedoch nie zu einer Anklage.

Neben den acht Söhnen hat Al-Gaddafi auch zwei Töchter. Seine Adoptivtochter Hanna kam 1986 als Kleinkind beim US-Bombardement von Tripolis ums Leben. Seine leibliche Tochter Aischa ist Anwältin und unterstützte das Verteidigerteam von Saddam Hussein. Heute ist Aischa vor allem damit beschäftigt, bei den Streitigkeiten innerhalb der Familie zu vermittelt. Außerdem betreibt sie eine Privatklinik in Tripolis, ist in mehreren Wohltätigkeitsorganisationen tätig und hat großen Einfluss auf die Sektoren Bau und Energie im Land. In den Depeschen ist weiter vermerkt, dass sie ein großer Fan von Sänger Lionel Richie ist. Vor einigen Jahren wurde er extra zu ihrer Geburtstagsparty eingeflogen.

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