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„Viele Tote und Verletzte“

Libysche Truppen, die loyal Staatschef Muammar al-Gaddafi stehen, sollen am Donnerstag die Stadt al-Sawija westlich der Hauptstadt Tripolis angegriffen haben. Das meldete der Nachrichtensender al-Arabija unter Berufung auf Augenzeugen. Ein ehemaliger libyscher Offizier aus al-Sawija sagte dem Sender: „Es ist schwer, jetzt die vielen Toten und Verletzten in der Stadt zu zählen.“

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Al-Sawija gleiche einem „Schlachthaus“, so ein weiterer Augenzeuge. Die Attacken sollen passiert sein, als Tausende Menschen gegen Al-Gaddafi demonstrierten, berichtete al-Jazeera. Ein Augenzeuge sagte dem Sender am Telefon, dass mindestens 50 Menschen verletzt wurden. Sie wurden in Spitäler gebracht. Die „Al-Gaddafi-Brigade“ soll bei ihren Angriffen auch Flugabwehrrakten eingesetzt haben. Mehrere Menschen seien getötet worden, so al-Jazeera weiter.

Die Soldaten zerstörten laut der Nachrichtenagentur AP das Minarett einer Moschee, wo sich Demonstranten aufhielten, mit Raketen. Ob es sich dabei um reguläre Truppen Al-Gaddafis oder angeheuerte Söldner handelt, ist nicht bekannt. Al-Jazeera zeigte Aufnahmen einer brennenden Polizeiwache sowie von 20 gefesselten Leichen. Die Getöteten sollen sich dem Sender zufolge geweigert haben, auf Demonstranten zu schießen.

Misrata: Mehrere Menschen getötet

Schwerbewaffnete Sicherheitskräfte griffen am Mittwoch in der drittgrößten Stadt Misrata nach Angaben von Augenzeugen Demonstranten an und töteten mehrere Menschen. „Anhänger des Regimes haben unbewaffnete Demonstranten mit Maschinengewehren und Panzerfäusten attackiert“, sagte ein Augenzeuge. Es habe „mehrere Märtyrer“ gegeben. Zuvor zählte die Stadt zu jenen, die als „befreit“ galten.

Am Donnerstag gingen die Kämpfe in Misrata offenbar weiter. Dabei seien mehrere Menschen getötet worden, sagte ein Zeuge per Telefon der Nachrichtenagentur Reuters in Algier. Die Kämpfe fänden in der Nähe des Flughafens der Stadt statt. „Die (Al-Gaddafi)-Brigade hat dort die Kontrolle erlangt, aber wir bemühen uns, sie zurückzuschlagen“, berichtete der Zeuge. Das etwa drei Kilometer entfernte Stadtzentrum sei weiter in der Hand der Al-Gaddafi-Gegner.

Chaos bei Grenzübergang

Unterdessen hat sich laut al-Jazeera die Situation am Grenzübergang Sallum zu Ägypten dramatisch verschlechtert. Es herrsche Chaos, so der Sender. Rund 20.000 Menschen hätten in den letzten zwei Tagen die Grenze überquert. Es habe Verletzte gegeben. Es seien auch Menschen bei dem Versuch, die Grenze zu überqueren, getötet worden.

Al-Gaddafi-Pilot soll nach Wien geflohen sein

Ein Pilot von Al-Gaddafis Privatmaschine, der Norweger Odd Birger Johansen, soll unterdessen mit seiner Frau und seiner Tochter nach Wien geflohen sein, wie die BBC online berichtete. Sie hätten um ihr Leben gefürchtet. Johansen ist einer von vier persönlichen Piloten Al-Gaddafis.

Hohe Belohnung für Denunzianten

Das Regime forderte seine Gegner unterdessen zur Abgabe ihrer Waffen auf. Zugleich rief das Volkskomitee für die Allgemeine Sicherheit in einer am Donnerstag im Staatsfernsehen verlesenen Erklärung zur Denunziation von Anführern der Proteste auf. Wer seine Waffen abgebe und Reue zeige, werde straffrei bleiben, hieß es in der in Kairo mitgeschnittenen Erklärung. Diejenigen, die Informationen über Anführer der Proteste, deren Geldgeber oder Unterstützer lieferten, würden großzügig mit Geld belohnt.

Der seit 41 Jahren herrschende „Revolutionsführer“ hat nach den blutigen Protesten der vergangenen Tage die Kontrolle über den Osten des Landes verloren. Al-Gaddafi hatte sich in einer Fernsehansprache vor zwei Tagen allerdings unbeugsam gezeigt und mit weiterer Gewalt gegen Demonstranten gedroht. Das brutale Vorgehen gegen die Protestbewegung wurde weltweit verurteilt.

Aufständische planen Attacke auf Tripolis

Gegner Al-Gaddafis sind Augenzeugen zufolge nach ihren Erfolgen im Osten des Landes, wo die Proteste ihren Anfang nahmen, nun im Westen auf dem Vormarsch. Milizen würden die Ortschaft Suwara etwa 120 Kilometer westlich von Tripolis kontrollieren, sagten nach Tunesien geflohene ägyptische Gastarbeiter am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters.

Von Polizei oder Militär fehle seit Tagen jede Spur. Polizeiwachen seien niedergebrannt worden. Die Ägypter waren nach eigenen Angaben auf einer Baustelle in Suwara tätig, bevor sie sich auf den Weg nach Tunesien machten. Laut den Aufständischen ist ein Angriff auf Tripolis geplant. Die Stadt soll am Freitag in ihre Hände fallen, wie es heißt.

EU zieht Militäraktion in Betracht

Die EU-Staaten ziehen Diplomaten zufolge für den Fall einer Katastrophe für die Menschen in Libyen Militäraktionen in Betracht. „Wir machen Notfallpläne mit verschiedenen Szenarien, das ist eine Möglichkeit, an der wir arbeiten“, sagte ein EU-Diplomat am Donnertag in Brüssel. Es gehe darum, sowohl Ausländer als auch Libyer aus dem Land in Sicherheit zu bringen.

Eine Militäraktion von europäischen „Battle-Group"s könnte es nur dann geben, wenn die libysche Regierung darum ersuche oder wenn es ein UNO-Mandat gebe. Die EU arbeite dabei eng mit den Vereinten Nationen zusammen. Diese hätten bisher aber noch keine Informationen über eine katastrophale Situation für die Menschen. "Jede Art von militärischer Operation erfordert eine rechtliche Basis, wir planen derzeit nur“, sagte der Diplomat

„Schwer zu verstehendes Regime“

Die EU selbst hat keine eigene diplomatische Vertretung in Tripolis. Deswegen sei es auch schwierig, die Lage wirklich zu beurteilen. Da Libyen außerdem mit Machthaber Muammar al-Gaddafi ein „höchst personalisiertes und schwer zu verstehendes“ Regime habe, gebe es praktisch keinen Kontakt mit den verbliebenen Regierungsmitgliedern. Wichtig sei, mit allen 27 EU-Staaten Kontakt zu halten und gegenseitig Informationen auszutauschen, auch mit den USA, Australien, Japan und Kanada sowie der UNO.

Auch die NATO lehnt ein militärisches Eingreifen in dem nordafrikanischen Land ab. Das Verteidigungsbündnis habe nicht die Absicht, in Libyen einzugreifen, sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Donnerstag bei einem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Die NATO habe auch keine derartige Anfrage erhalten. „In jedem Fall sollte so eine Aktion auf einem klaren Mandat der Vereinten Nationen beruhen“, sagte Rasmussen.

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