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EZB muss handeln

Seit Jahresbeginn klettert der Goldpreis - auch in andere „sichere Häfen“ wie Silber und Platin flüchten Anleger derzeit wie schon lange nicht mehr. Der Grund ist immer derselbe: die Angst vor einem Inflationssprung angesichts der stark steigenden Preise bei Erdöl, zahlreichen anderen Rohstoffen und Lebensmitteln.

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Erstmals seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise geht wieder die Angst vor einer Teuerungswelle in Europa um. Diese ist umso größer, als die Folgen der Krise noch lange nicht ausgestanden sind. Europas Regierungen kämpfen mit - durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Finanzkrise - exorbitant gestiegenen Schuldenbergen, die Arbeitslosigkeit ist weiter deutlich über dem Vorkrisenniveau, und dazu kommt auch die Unsicherheit über die Folgen der Revolutionen in Europas unmittelbarer südlicher Nachbarschaft und die künftige Entwicklung der Mittelmeer-Anrainerstaaten, die für Europa nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich von großer Bedeutung sind.

Noch liegen die aktuellen Zahlen für die Februar-Inflation nicht vor. Doch klar ist, dass die EZB wegen der teils drastischen Preissteigerungen - allen voran bei Erdöl - immer mehr in die Zwickmühle gerät: Die Zielvorgabe der EZB, wonach nur bei einer Teuerungsrate bis maximal zwei Prozent mittelfristig stabile Preise gesichert sind, gerät immer mehr unter die Räder. Im Jänner lag die Inflation etwa mit 2,4 Prozent bereits deutlich darüber.

Deutlich höhere Prognosen

Laut einer Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim erwarten 227 befragte Finanzfachleute für das laufende Jahr eine Inflationsrate von zwei Prozent - nach 1,6 Prozent im Vorjahr. Im kommenden Jahr werden die Preise um 2,4 Prozent anziehen. Auch das Institut für höhere Studien (IHS) hat die Prognose für Österreich deutlich angehoben.

Damit steigt der Druck auf die EZB, erstmals seit Ausbruch der Finanzkrise den historisch niedrigen Leitzins (seit Mai 2009 unverändert bei einem Prozent) anzuheben. Laut ZEW-Umfrage erwarten die Finanzexperten im Oktober den ersten Zinsschritt. Auf Sicht von einem Jahr gehen die Experten von einem Schlüsselzins zwischen 1,0 und 1,5 Prozent aus, auf Sicht von zwei Jahren von einem Wert zwischen 1,5 und 2,5 Prozent. Rund ein Drittel der befragten Fachleute plädieren für höhere Zinsen, der Rest hält das aktuelle Rekordtief „für die nahe Zukunft“ für angemessen.

Immer mehr warnende Stimmen

Spitzenvertreter der EZB haben zuletzt ihre Wortwahl wegen der anziehenden Inflation verschärft und damit Spekulationen über eine schneller als erwartete Zinserhöhung geschürt. Nach EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, den beiden Direktoriumsmitgliedern Jürgen Stark und Lorenzo Bini Smaghi sowie der deutschen Bundesbank machten am Dienstag auch die Zentralbankgouverneure Luxemburgs und der Niederlande aus ihrem Herzen keine Mördergrube mehr. Ihre Aussagen sorgten für einen Anstieg des Euro-Kurses auf dem Devisenmarkt.

Der Chef der niederländischen Zentralbank, Nout Wellink, sagte dem „Wall Street Journal“, er sei besorgt über die kurzfristige Inflationsentwicklung. Das gegenwärtig sehr niedrige Zinsniveau beginne die Prozesse in der Wirtschaft und im Finanzsystem durcheinanderzubringen. „Das Gesamtbild gefällt mir nicht“, sagte Wellink.

Angst vor Lohn-Preis-Spirale

Unter Zweitrundeneffekten versteht man weitere Preiserhöhungen als Folge vorangegangener Kostensteigerungen. Solche Wirkungen treten auf, wenn Arbeitgeber und Gewerkschaften auf die gestiegene Inflation reagieren und deswegen höhere Löhne vereinbaren. Das birgt die Gefahr, dass die Unternehmen die steigenden Lohnkosten via höhere Preise an die Konsumenten weitergeben. Damit kann es zu einer regelrechten Lohn-Preis-Spirale kommen.

EZB warnt vor höheren Löhnen

Gegen die Preisanstiege, die nicht zuletzt durch Naturkatastrophen (etwa die Flut in Australien) und die ungewisse Entwicklung in wichtigen Erdölländern wie Libyen ausgelöst wurden, ist die EZB machtlos. Sie fürchtet vor allem Zweitrundenffekte durch Lohnerhöhungen. Trichet warnte genau davor am Wochenende in drastischen Worten: Lohnerhöhungen wären „das Dümmste, was man machen könnte“, so der EZB-Chef. In Deutschland etwa hatte sich erst kürzlich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für kräftigere Gehaltserhöhungen 2011 nach den bescheidenen Zuwächsen in den vergangenen Jahren während der Rezession ausgesprochen.

Im Jänner hatte Trichet erstmals vor einer zunehmenden Inflation gewarnt. Seitdem hat sich der Preisdruck aber stark erhöht, was wiederum die Spekulationen über eine vorgezogene Zinserhöhung anheizt. Der EZB-Rat entscheidet kommende Woche wieder über den Leitzins. Fachleute hoffen auf Signale, wohin die Reise gehen wird. Die Zentralbank befindet sich aber in der Zwickmühle: Europas Wirtschaft hat die Weltwirtschaftskrise noch längst nicht verdaut. Vor allem EU-Länder wie Griechenland und Irland stöhnen unter der Schuldenlast. Für sie wäre eine Leitzinserhöhung eine zusätzliche Belastung, da damit auch die Bedienung der Staatsschulden empfindlich teurer werden würde.

„Schlimmstenfalls eine Rezession“

Die EZB muss auch auf die von ihr abhängig gewordenen Banken Rücksicht nehmen. Vor allem in den PIIGS-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) sind die Banken massiv auf die von der EZB unbegrenzt zur Verfügung gestellte Liquidität angewiesen. Ein Teilaustrocknen des Geldmarktes könnte auch die Konjunktur treffen und die derzeit oberflächlich beruhigte Euro-Krise wieder entfachen.

Auch IHS-Chef Bernhard Felderer sieht Trichet vor einer schwierigen Entscheidung. Einerseits brauchten Länder wie Deutschland, wo sich die Konjunktur deutlich erholt habe, ein „erstes Zinssignal“, andererseits benötigten „südeuropäische Länder“ weiter eine lockere Zinspolitik. Felderer erwartet, dass die Euro-Hüter die Kredite an die Banken abbauen und die Zinsen anheben und „schlimmstenfalls eine Rezession in Kauf nehmen“ werden.

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