„Wie im Bürgerkrieg“
Die Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften in Libyen werden immer gewalttätiger. Bei Protesten gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi kamen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge in den vergangenen Tagen 173 Menschen ums Leben, allein am Samstag sollen es 90 gewesen sein. Ärzte sprechen sogar von über 200 Toten.
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Am Sonntag versammelten sich in der Hafenstadt Bengasi erneut Zehntausende Menschen, um an Trauermärschen teilzunehmen. Erneut kam es zu Angriffen der Soldaten, bei denen laut Ärzten weitere 50 Menschen das Leben verloren. Einwohner sprachen von einem Massaker am Samstag. Weil Journalisten nicht nach Bengasi dürfen, ist die Lage unklar. Berichte von Einwohnern deuteten auf eine Gewaltspirale hin. „Es gab letzte Nacht ein Massaker hier“, sagte ein Einwohner der Nachrichtenagentur Reuters. Von bürgerkriegsähnlichen Zuständen ist die Rede.
Schwere Waffen gegen Demonstranten
Die Sicherheitskräfte hätten schwere Waffen wie Maschinengewehre und sogar Raketen eingesetzt, berichteten Augenzeugen. Sie hätten das Feuer bei den Trauerfeiern für getötete Demonstranten eröffnet. Einwohnern zufolge feuerten Scharfschützen von einer Einsatzzentrale aus. Zudem machten Gerüchte die Runde, dass die Armee vor allem ausländische Söldner unter anderen aus dem Sudan, dem Tschad, dem Senegal, aus Zentralafrika, Simbabwe und Sierra Leone eingesetzt hätte, um die Proteste zu bekämpfen.
Ein Zeuge berichtete, die Sicherheitskräfte hätten sich später in ihre Kasernen zurückgezogen und keine Gewalt mehr über die Stadt. Viele Soldaten und Polizisten hätten sich den Demonstranten angeschlossen.
Ärzte sprechen von über 200 Toten
Nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) kamen bei den viertägigen Protesten 173 Menschen allein bis Samstagabend ums Leben. Ein Arzt aus Bengasi berichtete gegenüber der BBC von 208 Toten in dem Spital, in dem er arbeitet, ein Dutzend Tote seien in einem weiteren Krankenhaus der Stadt gemeldet worden. 90 Prozent der Opfer hätten Schussverletzungen am Kopf und am Oberkörper erlitten. Er sprach von 900 Verletzten und bezeichnete die Unruhen ebenfalls als „Massaker“.
50 führende muslimische Geistliche aus Libyen forderten die Behörden in einem gemeinsamen Appell auf, das Blutvergießen zu beenden. „Bringt nicht Eure Brüder und Schwestern um. Stoppt das Massaker jetzt“, hieß es in einer an Reuters geschickten Erklärung.
Aufstände vor allem im Osten
Im Osten des Landes, wo die Stadt Bengasi liegt, ist die Unterstützung für den Machthaber von jeher geringer als in anderen Landesteilen. Aus Al-Baida und Dernah wurden ebenfalls Unruhen gemeldet. Über Twitter wurde gemeldet, in der Stadt Al-Sawija westlich von Tripolis hätte die Bevölkerung die Armee vertrieben. Am Abend kursierte dort ebenfalls die Meldung, Zehntausende hätten sich Richtung Hauptstadt Tripolis aufgemacht, die knapp 50 Kilometer entfernt liegt.
Tripolis selbst schien fest in der Hand der Anhänger Al-Gaddafis, dort demonstrierten Sonntagfrüh Tausende Menschen für den Revolutionsführer, der das Land seit Jahrzehnten im Griff hat.
Regierung will „Verschwörer“ festgenommen haben
Die Reaktionen aus dem Ausland waren zunächst zurückhaltend. Großbritannien rief Libyen am Sonntag zur Einhaltung von Menschenrechten auf. Die Reaktion der Behörden auf die Proteste sei entsetzlich, sagte Außenminister William Hage im Fernsehsender Sky News. Libyen ist ein wichtiger Energielieferant.
Die Regierung in Tripolis äußerte sich nicht zu den Unruhen. Die Behörden verkündeten aber am Samstagabend, man habe Dutzende Mitglieder eines arabischen „Netzwerks“ zur Destabilisierung des Landes festgenommen. Die in mehreren Städten des Landes festgenommenen Agenten seien ausgebildet gewesen, „die Stabilität Libyens, die Sicherheit der Bürger und die nationale Einheit“ zu beschädigen, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur JANA. Zu der Gruppe hätten Tunesier, Ägypter, Sudanesen, Palästinenser und Syrer sowie Türken gehört.
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