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Die Liebe vor dem Terror

Bevor Gudrun Ensslin und Andreas Baader in den terroristischen Untergrund gehen und den harten Kern der Roten Armee Fraktion bilden, ist Ensslin Anfang der 60er Jahre mit dem Sohn eines Nazi-Dichters zusammen. Andres Veiels Film „Wer wenn nicht wir“, der im Wettbewerb der Berlinale zu sehen war, arbeitet diese leidenschaftliche und zerstörerische Beziehung auf.

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Lange Schatten der Väter

„Katzen sind die Juden unter den Tieren. Sie gehören nicht in unseren Garten.“ Mit solchen Sätzen, in salbungsvollem Ton an den Sohn gerichtet, wächst Bernward Vesper auf. Der Vater, Will Vesper, ist ein Ewiggestriger, ein Nazi-Dichter, der auch nach dem Krieg nichts dazugelernt hat. Er erschießt die Katze.

Mit diesen Bildern beginnt Andres Veiels erster Spielfilm „Wer wenn nicht wir“, der die Geschichte einer Amour fou schildert: die zwischen Bernward Vesper, Student an der Tübinger Uni, und einer Kommilitonin, der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsenen Pfarrerstochter Gudrun Ensslin. Ihr Vater war kein Ewiggestriger, sondern ein Geistlicher, der ein mörderisches System als solches erkannte, ohne dagegen vorzugehen. Das sollte der Tochter nicht passieren.

„Ursachendickicht für den Terror“

Bernward Vesper und seine Verlobte gründen einen kleinen Verlag - in dem revolutionäre Texte veröffentlicht werden, wie die Werke Will Vespers. Ist es dieser unmögliche Spagat, der Gudrun schließlich in die Arme des radikalen Rabauken Andreas Baader treibt? Und Vesper in den Wahnsinn und 1971 in den Selbstmord?

Andres Veiel wolle mit seinem Film „vordringen in das Ursachendickicht, das in den Terrorismus führte, wo das Private neben dem Politischen einen Platz findet und in einer Wechselbeziehung damit steht“, wie er im Gespräch mit ORF.at sagt.

Grenze zwischen Spielfilm und Doku

Veiel, Jahrgang 1959, gilt mittlerweile als der wichtigste Dokumentarfilmer in Deutschland. „Wer wenn nicht wir“ ist sein erster Spielfilm.

Doch Veiel lotete immer schon die Grenzen zwischen Spiel- und Dokumentarfilm aus, und oft verschwimme diese Grenze, sagt Veiel: „Zwei Personen sind bei demselben Ereignis anwesend und erinnern sich dennoch diametral anders. Das macht deutlich: Wir sind mitten in einer Rekonstruktion, immer! Selbst wenn jetzt Gudrun Ensslin hier sitzen würde, 71 Jahre alt, und wir würden mit ihr ein Interview machen, wären wir der Wahrheit keinen Schritt näher. Auch dann würde manches nach vorne geholt, anderes verdrängt oder Gehörtes, Gesagtes eingefügt mit dem Interesse, sich zu rechtfertigen.“

Masochistische Ensslin

Mehrere Jahre hat Veiel für seinen Film recherchiert, dennoch ist er sicher, dass es in fünf Jahren wieder eine andere Deutung dieses symptomatischen Kapitels der bundesdeutschen Geschichte geben wird. „Wer wenn nicht wir“ zeigt Gudrun Ensslin jedenfalls als sensible, mitunter masochistische junge Frau, die für ihren zartfühlenden Verlobten - aber auch für den Nebenbuhler Baader, der sie mit Machosprüchen und Schlägen eindeckt - alles tun würde.

Genau wie sie handelt auch Bernward Vesper wie ein Verzweifelter, um als Mensch aus dem übermächtigen Schatten der eigenen fatalen Familiengeschichte zu treten. Und das mit tödlicher Konsequenz: mit blutigen Terroranschlägen für eine bessere Welt. „Die Rote Armee Fraktion hat gerade in ihrem letztendlichen Scheitern der Bundesrepublik ihre Bewährungsprobe geliefert“, sagt Regisseur Andres Veiel.

"Auch ich hatte in den 70er Jahren große Zweifel, ob diese Demokratie noch eine Demokratie ist. 1977 aber, nach dem Tod von Ennslin, Baader und Meinhof, wurden die „taz" gegründet und die Grünen. Es ist so, als ob Menschen sterben mussten, um diese Republik ein Stück weit zu sich selbst zu bringen.“

Hunger nach Erkenntnis

„Wer wenn nicht wir“ verzichtet auf handelsübliche Action-Dramaturgie. Brandanschläge und das Attentat auf Rudi Dutschke werden nicht gezeigt, nur ihr Ergebnis. Nicht umsonst hat Andres Veiel Regiekurse bei dem großen polnischen Regisseur Krzysztof Kieslowski
besucht. Veiel interessiert Erkenntnis, in seinen Dokumentarfilmen und nun in seinem Spielfilm. Der Hunger nach Erkenntnis wird in der eigenen Familie genährt.

Veiel stammt aus einer Soldatenfamilie, wie er sagt. Der Großvater war General, der Vater Offizier: „Er war ein Beschädigter im wörtlichen Sinne“, erzählt der Regisseur, „er hatte Splitter, die durch seinen Kopf wanderten, weshalb er oft Kopfschmerzen hatte, jähzornig war und wir Rücksicht nehmen mussten. Ich habe ihn gefragt: In welcher Zone hast Du dich im Krieg bewegt? Wo bist Du mit den Panzern langgefahren und hast das Feld bereitet, wo dann die SS nachgerückt ist und ihre Säuberungen durchgeführt hat?“

Andres Veiel, Jahrgang 1959, gibt gerne zu, dass er früher in der Jungen Union war - bis ihn ein CDU-Funktionär davor gewarnt hat, sich weiter für die Ideen Ensslins, Baaders und Meinhofs zu interessieren: Wenn er in diesem Land etwas werden wolle, habe der CDU-Mann gesagt, dann solle er die Finger davon lassen. „Und da war mir klar: Ich will in diesem Land nichts mehr werden!“ Veiels Karriere nahm dann, ganz ohne Parteibuch, seinen künstlerischen Lauf.

Alexander Musik, ORF.at aus Berlin

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