„Flucht“ von Abgeordneten
Bis zu 30.000 Teilnehmer an täglichen Demonstrationen, ein besetztes Kapitol in der Hauptstadt Madison und Abgeordnete, die in einen Nachbarbundesstaat „fliehen“: Der US-Bundestaat Wisconsin erlebt derzeit mehr als turbulente Tage. Beamte machen gegen das Sparpaket von Gouverneur Scott Walker mobil. Doch gleichzeitig ist der Arbeitskampf der erste große Showdown zwischen Republikanern und Gewerkschaften.
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Walker, der als Republikaner erst Anfang des Jahres von seinem demokratischen Vorgänger Jim Doyle das Amt übernommen hat, will durchsetzen, dass die rund 175.000 Beamten des Landes einen Teil ihrer Pensions- und Gesundheitsversicherungsbeiträge selbst bezahlen. Lohneinbußen von rund sieben Prozent wären die Folge.
Republikaner gegen Gewerkschaften
Walker spricht von einem Defizit von 137 Millionen Dollar, das er bekämpfen muss. Kritiker werfen ihm hingegen vor, dass er gleichzeitig 140 Millionen in neue umstrittene Initiativen wie die Förderung von privater Gesundheitsvorsorge steckt.

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Der 44-jährige Walker wurde mit Hilfe der „Tea-Party“ zum Gouverneur gewählt.
Doch gleichzeitig hat der Gouverneur noch einen ganz anderen Plan: Seit Monaten schießen sich die Republikaner in den ganzen USA auf Gewerkschaften ein, die sie für den nur langsamen Aufschwung nach der Krise verantwortlich machen. Von Gewerkschaftsverboten für öffentlich Bedienstete ist etwa die Rede, und etliche Bundesstaaten mit republikanischen Gouverneuren planen bereits Maßnahmen.
Walker ist nun der Erste, der sie in Gesetzesform gießen ließ: Sein Entwurf sieht vor, das Recht der Beamten auf Lohnverhandlungen abzuschaffen – mit Ausnahme von Polizei und Feuerwehr, die er bewusst nicht gegen sich aufbringen wollte.
Immer größere Demonstrationen
Doch mit den Reaktionen der Beamten hatte er offenbar nicht gerechnet. Seit Beginn der Woche wuchsen die täglichen Demonstrationen stetig an. Dienstag waren es 10.000, Mittwoch und Donnerstag bereits zwischen 25.000 und 30.000 Menschen, die vor dem und sogar im Kapitol in Madison protestierten – mit Sprechchören, Schildern und Ägypten-Fahnen.

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Lehrer als Speerspitze der Proteste
Schüler und Studenten erklärten sich solidarisch, einige Schulen mussten am Freitag geschlossen werden, weil sich der Großteil der Lehrer krankmeldete, um zu demonstrieren. Vom größten Gewerkschaftsaufstand seit Jahrzehnten sprechen Kommentatoren.
„Mubarak von Wisconsin“
Auch Präsident Barack Obama meldete sich zu Wort. Er sei besorgt, er verstehe die Notwendigkeit von Ausgabenkürzungen, die Maßnahmen in Wisconsin schienen aber eher einem „Anschlag auf Gewerkschaften“ zu gleichen. Und tatsächlich scheint Walker nun in der Defensive: Nachdem er gedroht hatte, die Nationalgarde gegen die Proteste einzusetzen, verspielte er selbst bei Unterstützern viele Sympathien. Schnell wurde er als „Mubarak von Wisconsin“ verspottet. Sowohl den Gewerkschaftern als auch den Demokraten, die sich gegen das Gesetz stemmten, verweigerte er Gespräche.
Polizei sollte Abgeordnete suchen
Die Rechnung bekam Walker am Donnerstag präsentiert, als er das Gesetz im Senat beschließen wollte: Im Kapitol fanden sich neben seinen 19 republikanischen Abgeordneten zwar Hunderte Demonstranten ein, die das Haus besetzten, von den 14 Demokraten fehlte aber jede Spur. Doch zumindest einen weiteren Abgeordneten braucht Walker, erst ab 20 ist der Senat beschlussfähig.

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Demonstranten übernachteten sogar im Kapitol.
Die Polizei wurde beauftragt, die demokratischen Senatoren zu suchen: Diese vermeldeten jedoch gegenüber der Presse, sie hätten Wisconsin verlassen und seien nicht bereit zurückzukehren, bis der Gesetzesentwurf vom Tisch ist. Die Senatorin Lena Taylor postete lapidar die Buchstaben „BRB“ auf ihrem Facebook-Account - "Be right back („Komme gleich zurück“) – oder in der anderen Variante „bathroom break“, also „Klopause“. Medien spürten die 14 Politiker schließlich in einem Hotel im Nachbarstaat Illinois auf. Von einer Entspannung kann keine Rede sein: Nun gibt es erste Demonstrationen von Gewerkschaften auch in Ohio.
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