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Schwarm statt verletzlicher Zentrale

Die ägyptische Regierung konnte bei den jüngsten Unruhen ihr Land deshalb so schnell vom Internet trennen, weil sie die Kontrolle über die zentrale Anbindung des Landes ans Netz hatte. Auch klassische Soziale Netze wie Facebook sind leicht angreifbar und auszuschalten. Bürgerrechtler und Programmierer arbeiten nun an Tools, die dezentral funktionieren und nicht so einfach anzugreifen sind.

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Ägypten war nur wenige Tage vom Internet getrennt. Dieser Versuch des wankenden Regimes von Präsident Hosni Mubarak, der Protestbewegung die Kommunikationsplattform zu entziehen, schlug zwar fehl, versetzte aber die internationale Netzgemeinde in Alarmbereitschaft.

Alle ägyptischen Provider nämlich sind über einen einzigen zentralen Knotenpunkt der staatlichen Telefongesellschaft ans Netz der Netze angebunden. Es war daher für die Regierung einfach, den Stecker zu ziehen und den Demonstranten den Zugriff auf Plattformen wie Facebook und Twitter unmöglich zu machen.

Problem Zentralisierung

Aber auch Facebook und Twitter selbst haben ein Problem. „Sie sind zu stark zentralisiert“, so der US-Topjurist Eben Moglen, anlässlich einer Rede auf der Entwicklerkonferenz FOSDEM Anfang Februar, „daher sind sie ein einfaches Ziel für staatliche Kontrollversuche und Vergeltungsaktionen.“

Ohne Moglen würden die Softwareszene und das Internet heute anders aussehen, beide wären ohne seinen Einsatz weniger frei. Er ist seit 1994 Anwalt der Free Software Foundation (FSF) und hat die wichtigste freie Softwarelizenz, die GNU Public License (GPL), entscheidend geprägt. Ohne die GPL, die dafür sorgt, dass freie Software auch frei bleibt und von keinem Konzern wieder weggesperrt werden kann, wäre die Entwicklung unzähliger zentraler Softwarewerkzeuge des Internet und freier Betriebssysteme wie Linux, auf dem unter anderem Googles Mobil-OS Android basiert, wesentlich weniger dynamisch verlaufen - oder völlig unterblieben.

Zensur als Fehler

Es wundert daher wenig, wenn sich Moglen nun des Problems des „Single Point of Failure“ annimmt, des Problems der zentralisierten Dienste, die es Machthabern zu einfach machen, auch ein recht robustes Kommunikationssystem wie das Internet anzugreifen und temporär sogar auszuschalten. „Das Netz interpretiert Zensur als Fehler und umgeht sie einfach“, so ein berühmter Spruch des Netzpioniers John Gilmore aus dem Jahr 1993. Nur: Was ist, wenn der Fehler so groß ist wie ganz Ägypten? Wenn das Netz dann fehlt, wenn es am dringendsten gebraucht wird?

Die Zensoren in Ländern wie China und dem Iran haben seit den 1990er Jahren viel dazugelernt, sie zentralisieren die Übergabestellen von ihren nationalen ans internationale Netz und entscheiden mit ausgefeilten Werkzeugen, welche Inhalte passieren dürfen und welche nicht.

Paradoxe Politik

Auch demokratische Gesellschaften sind vor der Versuchung nicht gefeit, Probleme mit Netzsperren lösen zu wollen. So musste die spanische Regierung am Dienstag ein Gesetz verabschieden, mit dem sich Websites wie The Pirate Bay sperren lassen, die mutmaßlich Urheberrechtsverletzungen begünstigen. Das geschah auf massiven Druck der US-Regierung und der US-Medienindustrie, wie die Zeitung „El Pais“ mit Unterstützung durch WikiLeaks enthüllte.

Gleichzeitig setzt sich US-Außenministerin Hillary Clinton dafür ein, dass Software entwickelt wird, mit denen chinesische Bürger die heimischen Sperren leichter umgehen können - 25 Millionen US-Dollar will das State Department in diesem Jahr dafür ausgeben, wie Clinton kürzlich verkündete.

Die Umstände, unter denen Staaten Internetsperren einführen, mögen sehr verschieden sein, das Ergebnis ist jedoch immer dasselbe: Ein zentraler Mechanismus zum Eingriff in den Datenverkehr wird geschaffen, der umgehend zum Missbrauch einlädt.

Vernetzte Minicomputer

Liberale Internetcitoyens wie Moglen wollen sich nicht auf staatliche Initiativen verlassen, wenn es um die Freiheit des Individuums geht, ebenso wenig auf das Wohlwollen erfolgreicher Unternehmer wie Facebooks Mark Zuckerberg.

Moglen ruft mit seiner Initiative FreedomBox Foundation zur radikalen Dezentralisierung des Netzes auf. Unter einer FreedomBox versteht der Rechtsprofessor einen Internetcomputer von der kompakten Bauweise eines Netzgeräts, der sich mit einfach zu bedienender Software mit Seinesgleichen vernetzen lässt, ohne den Umweg über eine Zentrale nehmen zu müssen.

Freie Funknetze in Österreich

In Österreich kümmert sich die Initiative Funkfeuer um die Einrichtung freier Bürgernetze.

Zu diesem Zweck soll die Software zum Mesh Networking, mit dem sich Computer untereinander schnell und einfach vernetzen lassen, weiterentwickelt werden. Bei massenhafter Verbreitung könne der Preis einer FreedomBox auf 29 US-Dollar (21 Euro) gedrückt werden, das System wäre auch für Aktivisten in Schwellenländern erschwinglich. Sperren nach dem ägyptischen Vorbild könnten damit unmittelbar zwar nicht überwunden werden, aber zumindest lokale Netze wären damit im Krisenfall schnell geknüpft.

Diaspora und Facebook

Auch was Soziale Netzwerke angeht, ist Dezentralisierung das Gebot der Stunde. Seit vergangenem Sommer arbeitet eine wachsende Entwicklergemeinde an dem Projekt Diaspora, bei dem die User - anders als bei Facebook - die Kontrolle über ihre Daten behalten. Die Profile werden hier zwar noch auf Servern, sogenannten Pods, gespeichert, sollen aber in Zukunft bei Bedarf von einem Pod zum anderen verschoben werden können.

Die Pods ihrerseits funktionieren als Schwarm, es gibt keine Zentrale, aber alle Teilnehmer auf allen Pods können Verbindung miteinander aufnehmen, wenn sie wollen. Auch zu Twitter und Facebook unterhält Diaspora offene Schnittstellen - Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat den Entwicklern des Systems eine Spende zukommen lassen. Derzeit befindet sich Diaspora noch im geschlossenen Alphastadium, macht aber schnell Fortschritte. Laut Auskunft gegenüber ORF.at arbeiten die Entwickler derzeit hart daran, das System noch in diesem Jahr fertigzustellen.

Kontrolle über die Netzpersönlichkeit

An der Dezentralisierung Sozialer Netzwerke arbeitet auch das Team der jungen US-Firma Singly. Im Fachblog des O’Reilly-Verlags beschrieb Singly-Gründer Jeremie Miller das wichtigste Produkt seiner Firma, das quellenfreie Locker Project, als „Abbild der digitalen Persönlichkeit“. Mit dem Locker Project und dem ebenfalls freien Protokoll TeleHash soll die Kontrolle über den „Social Graph“ - das Netzwerk aus Beziehungen und Aktionen von Menschen im Web - wieder auf den Nutzer übergehen.

TeleHash ist ein Peer-to-Peer-Protokoll und soll es Anwendungen und Geräten ermöglichen, ohne zentrale Instanz miteinander Kontakt aufzunehmen. Im „Locker“ sind die Nutzerdaten auf eine Art gespeichert, die es einfach machen, sie zu visualisieren und mit ihnen zu spielen.

All diese Ansätze stecken derzeit noch in den Kinderschuhen, auch bei Projekten wie Diaspora sind Aspekte wie Verschlüsselung und Datensicherheit kritische Faktoren. Doch ihr Potenzial ist enorm - freie Software wächst schnell und die Produkte lassen sich ergänzen, anpassen und rekombinieren. Der Druck auf das Internet seitens totalitärer Regimes und der Medienindustrielobby wird in nächster Zeit sicher nicht geringer werden. „Wir müssen handeln“, so Moglens Fazit, „und zwar schnell.“

Günter Hack, ORF.at

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