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Verschleppt und malträtiert

In Ägypten ist die Armee ins Visier der Kritik geraten. Nicht weil sie eine „neutrale“ Position zwischen demonstrierenden Regierungsgegnern und Pro-Mubarak-Schlägern einnahm, sondern weil sie Demonstranten gefoltert haben soll. Menschenrechtsgruppen warfen der Armee vor, heimlich Hunderte, wenn nicht gar Tausende Demonstranten festgehalten zu haben bzw. immer noch festzuhalten und einige gefoltert zu haben.

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Dass der mächtige und berüchtigte Geheimdienst und die Polizei in Ägypten Folterungen einsetzen, ist laut Menschenrechtsaktivisten nicht einmal ein offenes Geheimnis. Aber dass offenbar auch Folterungen durch das Militär durchgeführt wurden, ist eine neue Facette in den Versuchen der Regierung, die Proteste für einen Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak durch Einschüchterungen einzudämmen.

Elektroschocks und mit Vergewaltigung bedroht

Betroffen gewesen seien etwa Menschen, die an den Protesten gegen die Regierung beteiligt gewesen seien, und solche, die sich nicht an die Ausgangssperre gehalten hätten, sagte Hossam Baghat, Direktor der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte (EIPR) in Kairo, der britischen Tageszeitung „The Guardian“.

Der „Guardian“ zitierte auch die Aussage eines Ägypters, der von Soldaten gefasst, geschlagen und mit Vergewaltigung bedroht wurde. Teilweise wurden die Festgehaltenen dem Bericht zufolge mit Elektroschocks misshandelt. Die Zeitung sprach laut eigenen Angaben mit mehreren Personen, die gefoltert wurden. Auch Menschenrechtsgruppen sammelten die Aussagen von von der Armee Verhafteten und dokumentierten die Verwendung von Elektroschocks oder Tasern.

In Ägyptischem Museum gefoltert

Die wieder Freigelassenen berichteten plastisch von den Gewalttaten der Soldaten, die sie beschuldigten, für fremde Mächte, wie etwa die radikalislamische Hamas, Israel oder die USA zu arbeiten, um das Regime zu stürzen. Oft hätten die „Verschwundenen“ „Willkommensprügel“ von einer halben Stunde und mehr über sich ergehen lassen müssen.

Der „Guardian“ sieht in den Folterungen ein organisiertes Vorgehen, die Demonstranten gezielt einzuschüchtern. Laut ägyptischen Menschenrechtsgruppen suchen Familien nach bei den Protesten in Gewahrsam der Armee genommenen Verwandten, wie der „Guardian“ weiter schrieb. Einige Personen sollen auch im weltbekannten Ägyptischen Museum am Eck des für die Proteste auch symbolisch wichtigen Tahrir-Platzes in Kairo festgehalten worden seien.

Hohe Dunkelziffer vermutet

Unter den Hunderten wieder aus der Haft Freigelassenen fanden sich Menschenrechtsaktivisten, Anwälte und Journalisten. Baghat geht allerdings immer noch von Hunderten, möglicherweise Tausenden Demonstranten in Haft aus. Ganz gewöhnliche Menschen seien einfach in Gewahrsam genommen worden, weil sie einen politischen Flyer trugen, so Baghat im „Guardian“. Zahlreiche Menschen würden noch vermisst. Es sei sehr ungewöhnlich und nach bestem Wissen noch nie dagewesen, dass die Armee derartig vorgegangen sei.

Viele Familien würden bei ihnen anrufen und um Hilfe bitten, so Hebe Morayef von der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch. Oft seien die Söhne und Töchter vom Militär festgenommen worden. Die Organisation dokumentierte 119 Verhaftungen, hält die Dunkelziffer allerdings für weitaus höher. Es sei unmöglich, zu wissen, wie viele Verhaftungen es wirklich gebe, so Baghat, da die Armee keine bestätige. Er glaubt, dass das Vorgehen des Militärs im ganzen Land das gleiche ist.

Einschüchtern zur Abschreckung

Für Baghat ist das Muster klar. Die Demonstranten und damit die Proteste sollten damit gebrochen werden. „Einige Leute, insbesondere Aktivisten, sagen, dass sie über mögliche Verbindungen zu politischen Organisationen und fremde Mächte verhört worden sind“, so Baghat. „Normale“ Demonstranten hingegen seien einfach geschlagen und gefragt worden, was sie denn auf dem Tahrir-Platz machten. Das sei offenbar als Verhöroperation angelegt worden, um die Demonstranten einzuschüchtern und andere abzuschrecken. Für die Festgenommenen sei die Hilfe schwierig, denn niemand wüsste überhaupt, dass sie verhaftet sind. Weder die Armee würde das den Verwandten melden noch dürften die „Verschwundenen“ Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen.

Es sei offensichtlich, dass die Armee nicht an die Revolution glaube, das sei durch ihr Vorgehen auch bei den niederen Rängen sichtbar. Auch das Versprechen der Regierung, nicht mit Gewalt vorzugehen, sei eine Lüge gewesen.

Erste Proteste nach Tod von Chaled Said

Dass die Polizei und der berüchtigte Geheimdienst Gewalt einsetzen, ist nicht erst seit den Demonstrationen bekannt. Es war die willkürliche Polizeigewalt, die die Menschen zu ihren ersten Protesten gegen Mubarak auf die Straße trieb. Immer wieder gab es in der Vergangenheit spektakuläre Fälle, die für einen Aufschrei gesorgt hatten und die Wut über die Führung aufsteigen ließen: Im vergangenen Jahr machte der Tod des Bloggers Chaled Said Schlagzeilen. Er wurde vor einem Internetcafe in Alexandria zu Tode geprügelt. Doch seit 2006 wurden laut Regierungsangaben lediglich sieben Beamten wegen Folter oder schlechter Behandlung belangt.

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