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Armee gibt passive Haltung auf

Die ägyptische Armee hat am Donnerstag versucht, die seit Mittwochnachmittag andauernden Straßenschlachten zwischen Gegnern und Anhängern von Präsident Hosni Mubarak auf dem Tahrir-Platz in Kairo zu beenden. Soldaten schoben sich zwischen beide Gruppen und waren dabei, eine 80 Meter breite Pufferzone zu schaffen, berichtete ein Reuters-Journalist.

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Die Armee drängt einem Augenzeugen zufolge Mubarak-Anhänger von Demonstranten in Kairo ab. Sie setzt demnach auch einen Panzer ein. Damit gab die Armee erstmals seit dem Ausbruch der Gewalttätigkeiten ihre tendenziell passive Haltung auf. Erneut waren am Donnerstag bewaffnete Anhänger von Mubarak einem Augenzeugen zufolge Richtung Tahrir-Platz gezogen. Sie hätten Messer und Stöcke bei sich gehabt. Versammelt hätten sie sich im Stadtteil Giseh auf der anderen Seite des Nils und bewegten sich aufs Zentrum zu. Augenzeugen berichteten, Zivilisten hätten am Donnerstag auf dem Tahrir-Platz Ausweise kontrolliert und mehrere Ausländer abgeführt. Weitere Details wurden nicht bekannt.

Panzer bei Demonstration in Kairo

AP/Lefteris Pitarakis

Panzer zwischen den verfeindeten Gruppen

Säcke mit Steinen herangeschafft

Unterdessen kam es zu Gewaltausbrüchen in den Straßen rund um den Tahrir-Platz. Beide Seiten hätten einander mit Steinen beworfen, berichtete ein Reuters-Reporter. Die Mubarak-Anhänger hätten Säcke mit Steinen herangeschafft, um die Regierungsgegner damit zu attackieren.

Am Mittwoch und in der Nacht hatten offenbar gedungene Mubarak-Anhänger Regierungsgegner auf dem Tahrir-Platz mit Peitschen und Knüppeln angegriffen. Laut ORF-Korrespondent Karim El Gawhary sollen die Schläger teils von Mubarak nahestehenden Geschäftsleuten engagiert worden sein.

Panzer bei Demonstration in Kairo

Reuters/Yannis Behrakis

Unterstützer des Regimes suchen Schutz hinter einem Panzer.

Sieben Tote und Hunderte Verletzte

Bei stundenlangen Straßenschlachten wurden laut verschiedenen Berichten bis zu sieben Menschen getötet und Hunderte verletzt. Bis in die Morgenstunden waren in der Umgebung des Tahrir-Platzes immer wieder Schüsse zu hören. Ein Demonstrant sagte der Nachrichtenagentur dpa am Telefon: „Wir rannten hinter den Mubarak-Leuten her bis auf die Brücke des 6. Oktobers hinter dem Ägyptischen Museum. Plötzlich blieben sie stehen und schossen auf uns.“ Nach den Ausschreitungen nahm die Armee am Donnerstagvormittag mehrere Menschen fest, wie der Fernsehsender al-Arabija berichtete.

Zusammenstöße auf dem Sinai

Die Proteste gingen auch auf der Sinai-Halbinsel weiter. Hunderte Regierungsgegner demonstrierten am Donnerstag in der Stadt al-Arisch im nördlichen Sinai. Sie verlangten den Rücktritt Mubaraks. In der Nacht zuvor war es auch in mehreren Städten auf dem Sinai zu Zusammenstößen zwischen Gegnern und Anhängern Mubaraks gekommen. Über mögliche Opfer wurde zunächst nichts bekannt. Die Proteste haben sich bisher aber nicht auf die Urlaubsgebiete am Roten Meer, darunter der Badeort Scharm al-Scheich, ausgebreitet.

Der neue Regierungschef Ahmed Schafik entschuldigte sich am Donnerstag für die Gewalt gegen die Regimegegner. „Für Angriffe auf friedliche Demonstranten gibt es keine Ausreden, und deswegen entschuldige ich mich dafür“, sagte Schafik dem TV-Sender al-Hajat. Unterdessen bestritt die Regierung weiter, in die Angriffe von Anhängern Mubaraks auf Regimegegner verwickelt zu sein.

Staatsfernsehen bleibt auf Kurs

Das ägyptische Staatsfernsehen meldete am Donnerstag, zwölf Oppositionsparteien hätten ihre Bereitschaft „zu einem nationalen Dialog“ erklärt. Das Fernsehen meldete auch, überall in Kairo sei wieder die Polizei auf den Straßen. Augenzeugen berichteten jedoch, in mehreren Vierteln eines Bezirkes sei in der Früh kein einziger Polizist zu sehen gewesen.

Vizepräsident Omar Suleiman habe einen Dialog mit der Opposition begonnen, so das Staatsfernsehen weiter. Nach Angaben von Regierungsgegnern handelt es sich bei diesen Oppositionellen um Vertreter von sechs kleineren Parteien: al-Takaful, al-Dusturi, Jugend Ägyptens, Die Generation, Der Frieden und ein Flügel der Al-Ghad-Partei, der sich schon vor längerer Zeit von Parteiführer und Ex-Präsidentschaftskandidat Aiman Nur losgesagt hatte.

Die meisten Oppositionellen, die sich mit den Anti-Regierungsdemonstranten solidarisiert haben, hatten jedoch erklärt, sie wollten erst nach einem Rücktritt von Mubarak mit Suleiman über demokratische Reformen sprechen.

Angriffe auf Journalisten

Bei den Straßenschlachten im Zentrum Kairos griffen Mubarak-Anhänger am Mittwoch laut Berichten auch ausländische Journalisten an. Eine ORF-Mitarbeiterin wurde angegriffen, weil sie ein Stativ in der Hand gehalten hatte. Acht Journalisten seien angegriffen worden, vier würden vermisst, meldete El Gawhary in der ZIB24. Aufgrund der jüngsten Attacken auf Journalisten räumten weitere Medien ihre Büros in der Innenstadt von Kairo.

Internationale Aufrufe zu Ende der Gewalt

Angesichts der blutigen Ausschreitungen rief die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton die ägyptische Regierung auf, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. „Die Regierung ist verantwortlich für das Wohlergehen und die Sicherheit der Bevölkerung“, so Ashton in Brüssel. Sie rief die Führung in Kairo erneut auf, rasch den Weg zu demokratischen Reformen und einem politischen Wechsel mittels freier Wahlen zu beschreiten.

Auch die fünf großen EU-Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien äußerten sich in einer gemeinsamen Erklärung dahingehend. Sie bezeichneten auch die Angriffe auf Journalisten als „nicht hinnehmbar“. Die Unterzeichner forderten einen „schnellen und geordneten Übergang“ hin zu einer Regierung, die die Bevölkerung stärker vertritt. Dieser Prozess müsse sofort beginnen.

US-Außenministerin Hillary Clinton forderte Suleiman auf, Ermittlungen zu den Straßenschlachten aufzunehmen.

Österreicher aus Luxor ausgeflogen

Das österreichische Bundesheer flog unterdessen wieder Touristen aus Ägypten aus. Eine Transportmaschine vom Typ C-130-Hercules aus Luxor kommend landete um 23.05 am Mittwochabend auf dem Wiener Flughafen, wie Peter Barthou, Presseverantwortlicher des Verteidigungsministeriums, der APA auf Anfrage mitteilte - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

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