Kampfflugzeuge im Tiefflug
Bisher sind mindestens 150 Menschen bei den Unruhen in Ägypten ums Leben gekommen. Die ägyptische Armee zeigte am Sonntag vor mehr als zehntausend Demonstranten im Zentrum von Kairo Stärke. Kampfflugzeuge und Helikopter überflogen den zentralen Tahrir-Platz im Tiefflug. Die Polizei kehrte auf die Straßen zurück.
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Soldaten rückten mit mindestens 16 Fahrzeugen auf den Platz vor, berichteten Augenzeugen - wenige Minuten bevor um 16.00 Uhr wieder eine Ausgangssperre formal in Kraft trat. Nichtsdestotrotz setzten die Ägypter ihre Demonstration gegen das Regime von Präsident Hosni Mubarak bis in die späten Nachtstunden fort. Der ägyptische Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei schloss sich ungeachtet seines Hausarrests ebenfalls der Demonstration an.

APA/EPA/Hannibal Hanschke
Militärhubschrauber über dem Tahrir-Platz
Angesichts von Plünderungen zeigte die Polizei am Sonntagabend nach Informationen des Staatsfernsehens wieder Präsenz in den Straßen. Der scheidende Innenminister Habib al-Adli habe die Polizeikräfte im ganzen Land angewiesen, wieder für Ordnung zu sorgen. Die Sicherheitsbeamten wurden von den Menschen auf den Straßen mit Buh-Rufen empfangen. Sie gerieten in die Kritik, weil sie zunächst äußerst brutal gegen Demonstranten vorgegangen waren und danach beschuldigt wurden, als Provokateure die Plünderungen angeführt zu haben.
Mubarak im Hauptquartier der Streitkräfte
Im Gegensatz zur Polizei hatte sich das Militär im Hintergrund gehalten. Am Samstag jedoch setzte Mubarak erstmals einen Stellvertreter für sich ein - seinen Vertrauten, den Chef des mächtigen Auslandsgeheimdienstes, Omar Suleiman. Und Suleiman hat Militärhintergrund, was als entscheidend dafür gilt, dass er von der Armee akzeptiert wird. Zugleich ernannte Mubarak nur Stunden nach der Entlassung der gesamten Regierung mit dem Luftfahrtminister Ahmed Schafik einen neuen Ministerpräsidenten. So wie Suleiman hat auch Schafik einen Militärhintergrund: Bevor er Minister wurde, war er Chef der Luftwaffe.
Am Sonntag ernannte Mubarak zudem für einige Regionen neue Gouverneure und besuchte Armeeeinheiten. Schließlich traf er in einem Hauptquartier der Streitkräfte mit führenden Militärs zusammen. Das staatliche Fernsehen zeigte ihn bei der Leitung einer Beratung mit Suleiman, dem Verteidigungsminister Mohamed Hussein Tantaui, Generalstabschef Sami al-Anan und weiteren Kommandeuren.
Laut Beobachtern könnte sich Mubarak dadurch seinen zuvor schwindenden Einfluss auf die Armee doch noch gesichert haben. Erstmals seit Beginn der Proteste rückte die Armee mit Eliteeinheiten und neuen Panzern aus. Zu vermehrter Gewalt gegen Demonstranten kam es allerdings nicht.
Wieder Tausende auf den Straßen
Tausende Demonstranten setzten jedenfalls ihre Proteste gegen Mubarak trotz der Ausgangssperre und trotz der vermehrten Militärpräsenz fort. Auf dem Tahrir-Platz in der Hauptstadt Kairo hielten sich eine Stunde nach Beginn der Ausgangssperre etwa 7.000 Demonstranten auf, berichteten Augenzeugen. An das Regime von Mubarak gerichtet skandierten sie: „Er geht, wir gehen nicht.“ Wie auf Livebildern des arabischen Nachrichtensenders al-Jazeera zu sehen war, verrichteten die Menschen auf dem Platz unbehelligt von den Soldaten gemeinsam ihr Gebet. Der Strom an Demonstranten versiegte bis in die späten Nachtstunden nicht.
Der Einfluss der Armee
Auf politischer Ebene ist unterdessen weiter unklar, ob Suleiman mit der Ernennung zum Mubarak-Vize auch offiziell dessen designierter Nachfolger ist und ob Mubarak sofort oder nach Ende seiner Amtszeit zurückzutreten gedenkt. Mubarak war selbst Vizepräsident, als sein Amtsvorgänger Anwar Saddat 1981 einem Attentat zum Opfer fiel. Ein Vertreter der Regierungspartei NDP erklärte in einem Interview mit dem TV-Sender al-Jazeera, dass die Verfassung bei den Vollmachten und Autoritäten nicht zwischen dem Präsidenten und seinem Vize unterscheidet.
Die Armee hat in Ägypten eine lange Tradition an der Staatsspitze: Mubarak ist seit dem Sturz der Monarchie durch die „Freien Offiziere“ 1952 der vierte Präsident aus den Reihen der Streitkräfte, nach Mohammed Nagib, Gamal Abdel Nasser und Anwar al-Sadat. Doch während diese Präsidenten allesamt Offiziere waren, ist Mubaraks als Nachfolger erkorener Sohn Gamal Mubarak militärisch unerfahren.
„Bis zum letzten Atemzug“ an der Macht?
Dokumente, die das Enthüllungsportal WikiLeaks veröffentlicht hat, zeigen, wie wenig die Armee von Gamal Mubarak hält. Dieser habe offenbar nicht einmal seinen Wehrdienst beendet, schrieb der damalige US-Botschafter in Kairo, Francis Ricciardone, im Jahr 2007. „Der Militärapparat könnte ein entscheidendes Hindernis“ bei der Kür von Gamal Mubarak sein. Auch in der Bevölkerung sei Gamal Mubarak unbeliebt.
In der Vergangenheit hatte Hosni Mubarak angekündigt, „bis zum letzten Atemzug“ an der Macht zu bleiben. Ob ihm das gelingt, wird davon abhängen, ob ihm die Armee trotz der Massenproteste den nötigen Rückhalt gibt.
Kairoer Elite auf der Flucht
Viele prominente und einflussreiche Staatsbürger scheinen sich nicht sicher zu sein, ob Mubarak die Oberhand behält. Am Sonntag seien bis zum Beginn der Ausgangssperre erneut 45 Privatflugzeuge vom Flughafen Kairo gestartet, mit denen Unternehmer, Diplomaten und Künstler sowie ihre Familien ausflogen, verlautete aus der Flughafenverwaltung. Am Vortag waren 19 private Flüge gestartet. In einem Sonderterminal für nicht kommerzielle Flüge warteten am Sonntag weitere Gäste. In dem Terminal werden Passagiere abgefertigt, die mit Privatflugzeugen oder kleinen, privat gemieteten Chartermaschine starten.
Plünderungen und Brandstiftungen
Auch abseits der politischen Revolte droht Ägypten in Anarchie zu versinken: Plünderer, Brandstifter und Räuber terrorisieren die Bevölkerung in vielen Landesteilen. Aus Gefängnissen brachen - mit Hilfe von außen - Tausende Insassen aus, darunter Schwerverbrecher und islamistische Extremisten. Hinter den kriminellen Machenschaften vermuten Beobachter einen Plan Mubaraks.
Augenzeugen hätten Angehörige der Polizei erkannt, die in Zivil als Provokateure die marodierenden Banden angeführt hätten. Vermutet wird, dass Mubarak mit der Hilfe des Militärs nun als „Beschützer“ des Volkes auftritt und für Ordnung sorgt - wodurch er sich die Unterstützung der Ägypter zurückerobern könnte.
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