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„Wir beginnen eine neue Ära“

Der ägyptische Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei hat sich als Hoffnungsträger der Opposition den Tausenden Demonstranten gegen das Regime von Präsident Husni Mubarak angeschlossen. Mit seinem Erscheinen ignorierte ElBaradei den von den Behörden in der Vorwoche verhängten Hausarrest.

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ElBaradei wendete sich auf dem zentralen Tahrir-Platz mittels einem Megaphon an seine nähere Umgebung. Er bezeichnet die Proteste gegen Mubarak als „historische Tage“. „Was wir angefangen haben, lässt sich nicht zurückdrehen“ zitierte ihn der arabische Sender Al-Dschasira. "Wir beginnen in Ägypten eine neue Ära. "Nur wenige umstehende Demonstranten könnten ihn hören. Die Lage auf dem Platz war unübersichtlich.

„Ägypten steht in Flammen“

Unter Tausenden Regimegegnern auf dem Platz waren Mitglieder der Muslimbruderschaft, der linken Tagammu-Partei, der liberalen al-Ghad-Partei sowie mehrerer anderer kleiner Parteien. Auch Mitglieder der Kifaja-Bewegung („Genug“) demonstrierten. Die Mitglieder dieser außerparlamentarischen Oppositionsbewegung waren die ersten, die schon vor Jahren offen gegen Mubarak protestiert und seinen Rücktritt gefordert hatten.

ElBaradei hatte kurz zuvor - wie auch die ägyptischen Muslimbrüder - die sofortige Bildung einer Regierung der nationalen Einheit gefordert. „Ägypten steht in Flammen. Das Land fällt auseinander. Überall wird geplündert“, sagte er in einem Interview des Senders CNN. Die Armee sei nicht in der Lage, alles unter Kontrolle zu bringen.

Opposition stellt sich hinter elBaradei

Nach dem Willen der größten ägyptischen Oppositionsgruppe, der Muslimbruderschaft, soll ElBaradei mit der politischen Führung unter Staatschef Mubarak verhandeln. Auch andere Oppositionsvertreter hätten sich mit dem früheren Chef der IAEA als Verhandlungsführer einverstanden erklärt, teilte ein Führungsmitglied der Bruderschaft am Sonntag mit.

Die Muslimbruderschaft sowie vier weitere Oppositionsbewegungen in Ägypten ernannten ElBaradei zum Verhandler für eine temporäre „nationale Regierung der Erlösung“. Osama Ghaslai Harb von der National Democratic Front sagte gegenüber BBC Arabic, dass es sich dabei um eine vorübergehende Regierung handle, die die Aufhebung des Ausnahmezustands und die Freilassung aller politischen Gefangenen in Ägypten beaufsichtigen werde.

Gleichzeitig lehnten die Muslimbrüder die von Mubarak am Samstag neu eingesetzten Politiker auf Schlüsselpositionen des Landes ab. Die Ernennungen des Geheimdienstchefs Omar Suleiman zum Vizepräsidenten und des bisherigen Luftverkehrsministers Ahmed Schafik zum Regierungschef seien ein „Versuch, die Forderungen des Volks zu umgehen und die Revolution zum Scheitern zu bringen“, erklärte die Bruderschaft in einer Mitteilung.

Geeintes Auftreten „sensationelle“ Entwicklung

Die Muslimbrüder hatten sich bei den bisherigen Protesten eher im Hintergrund gehalten. Sie gelten als stärkste Oppositionskraft in Ägypten. Die Oppositionskräfte waren bei den Protesten bisher nicht geeint aufgetreten. Dass nun erstmals eine Art Zusammenschluss gegen Mubarak stattfindet, kommentiert der britische „Guardian“ als „sensationelle politische Entwicklung“. Dennoch scheine es zu diesem Zeitpunkt noch unwahrscheinlich, dass Mubarak Verhandlungen mit ElBaradei zustimme, so der Nah-Ost-Kommentator Ian Black.

Friedensnobelpreisträger ElBaradei

AP/Ronald Zak

Für seine klare Haltung vor dem Irak-Krieg 2003 und seine Unabhängigkeit bekamen die IAEA und ElBaradei 2005 den Friedensnobelpreis.

ElBaradei will an die Staatsspitze

Der Spitzendiplomat, der als einer der schärfsten Kritiker Mubaraks gilt, hatte sich bereits vor seinem Abflug nach Ägypten als Alternative zu Präsident Mubarak ins Gespräch gebracht. „Wenn die Menschen, vor allem die jungen Menschen, möchten, dass ich den Übergang anführe, werde ich sie nicht hängen lassen“, hatte er zu Journalisten gesagt.

Der frühere Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) hegt seit längerem die Ambition, Staatschef in Kairo zu werden. Bisher hatte er dafür aber eine neue Verfassung und die Zusicherung freier Wahlen verlangt. Präsident Mubarak hatte die Bestrebungen des 68-jährigen Friedensnobelpreisträgers dennoch scharf abgekanzelt: „Wir brauchen keinen nationalen Helden, weder im Inland noch im Ausland.“

Kritiker werfen ihm vor, nicht genügend Zeit in seiner alten Heimat zu verbringen, um aus einer zersplitterten und durch die autoritäre Regierung gebeutelten Opposition eine schlagkräftige Bewegung zu formen. „Er hat nichts getan, um die Basis zu organisieren“, sagte Aktivist und Blogger Hossam Hamalawi. ElBaradei, der in Wien lebt, wurde von der Regierung am Freitag unter Hausarrest gestellt, als er an den Demonstrationen teilnahm.

Scharfe Worte für USA

ElBaradei äußerte am Sonntag heftige Kritik an den USA: Er warf den Vereinigten Staaten vor, im Umgang mit Ägyptens Mubarak „täglich an Glaubwürdigkeit“ zu verlieren. Washington rede „einerseits über Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte“ und unterstütze „andererseits einen Diktator, der sein Volk unterdrückt“, sagte er dem US-Fernsehsender CBS. Die US-Regierung dürfe „nicht glauben“, dass Mubarak „der richtige Mann zur Durchsetzung der Demokratie“ sei.

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