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Abschied vom Geniebegriff

„Wir leben in Zeiten des textlichen Überflusses“, konstatiert der Wiener Schriftsteller Robert Schindel, seit kurzem Vorstand des Wiener Instituts für Sprachkunst. Auf einer Konferenz soll nun gezeigt werden, welche Strategien im Umgang mit Texten erlernbar sind und wie man in Zeiten von Facebook mit schriftlicher Arbeit Gehör findet.

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Seit dem Wintersemester 2009/10 bietet das Institut für Sprachkunst an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien erstmals in Österreich ein Bakkalaureatsstudium an, in dem künstlerisches Schreiben unterrichtet wird. Während Creative Writing auf Universitäten in den USA auf eine jahrzehntelange Tradition zurückblicken kann, kämpft man auf deutschsprachigem Boden noch mit der Anerkennung dieser Studienform.

Vorbild Leipzig

In Leipzig, wo der Österreicher Josef Haslinger Direktor des Instituts für literarische Ästhetik ist, wurde in diesem Bereich Pionierarbeit geleistet. Dort ist mittlerweile auch ein Masterstudium für literarisches Schreiben eingerichtet.

Symposion zur Schreibpraxis

Am Donnerstag, 20.1.2011, startet im Wiener Literaturhaus um 18.00 Uhr das dreitätige Symposion „Die Praxis des Schreibens“, in dem sich namhafte Autoren von Josef Haslinger bis Evelyn Schlag mit Funktionsformen von Texten beschäftigen werden.

Mit einem dreitätigen Symposion über „Die Praxis des Schreibens“ öffnet sich nun das Wiener Institut auch einer breiteren Öffentlichkeit und zeigt ab Donnerstag, begleitet von einer Lesung der Autorin Friederike Mayröcker, in welchen Bereichen literarisches Schreiben als Strategie und Praxis lehr- und erlernbar ist.

Für Schindel als Direktor des Instituts ist auch klar, dass man nicht aus allen Studenten Schriftsteller im klassischen Sinn machen wird. Allerdings, so versichert er im Gespräch mit ORF.at, könne man Absolventen hervorbringen, die auf professionellem Niveau ganz unterschiedliche Textstrategien einzusetzen vermögen. Dabei sieht er nicht nur das literarische und kulturelle Feld vor sich, sondern einen großen Bereich von Öffentlichkeits- und Medienarbeiten.

Der österreichische Autor Robert Schindel

picturedesk.com/Marko Lipus

Schindel: „Wir huldigen im Umgang mit dem Schreiben noch immer dem Geniebegriff.“

Schreiben als Handwerk

Schindel möchte vor allem mit einem Geniebegriff aufräumen: Im deutschsprachigen Raum gebe es im Bezug auf das Schreiben keine Ausbildungstradition, „weil man irgendwie immer noch dem Geniebegriff aus der Romantik huldigt, also diese Haltung: Wen’s drängt und wen’s zwickt, der kann schreiben.“

„Tatsächlich müssen aber die Schriftsteller auch ihr Handwerk lernen“, so Schindel. Früher habe man sich vorgelesen, sich in Schriftstellerrunden versammelt und die Texte aneinander probiert. Für die Gegenwart konstatiert er eine „gewaltige zweite Alphabetisierung“. Das ständige Schreiben und sich zugleich über Medien auszudrücken in Zeiten von Mails und Facebook sei „enorm, bei allen Verflachungen und Verfälschungen, die das mit sich bringt“.

Der österreichische Autor Robert Schindel

picturedesk.com/Marko Lipus

„Auch die Schreibwut rund um Facebook hat ihre Vorläufer.“

Vorbilder um 1800

Die große Textwut sieht Schindel aber auch schon um 1800 gegeben: „Streng genommen sind das Phänomene, die wir auch schon aus der Zeit Schillers kennen, auch, dass immer mehr Menschen Gedichte schreiben als Gedichte lesen. Schiller hat ja vom ‚tintenklecksenden Säkulum‘ gesprochen und sich beschwert, dass vor allem so viele Frauen geschrieben haben.“

Die Tendenzen zum Schreiben hätten sich verstärkt. Was einerseits eine gute Entwicklung sei, auf der anderen Seite, sagt Schindel, werde „es für die Künste schwieriger, Bezugs- und Bedeutungsrahmen zu finden“: „Wir schöpfen jetzt eher aus der Fülle als aus dem Mangel, und das kann ich nur für gut empfinden.“

Studierende treffen Autoren

Als Teil der Aufgabe seiner Institution sieht Schindel auch, Schreibwillige und etablierte Autoren näher zusammenzubringen: „Zu meiner Zeit hat man ja kaum Schriftsteller gekannt. Als ich mich dem H. C. Artmann angenähert hab, hat der mich ja sofort verscheucht.“ Vor Weihnachten brachte das Institut Wilhelm Genazino als Vortragenden ans Institut.

Ab Donnerstag können sich Studenten und die interessierte Öffentlichkeit in verschiedenen Strategieabteilungen mit dem Handwerk des Schreibens auseinandersetzen. Mit dabei sind Autoren wie Josef Haslinger, Sabine Scholl, Evelyn Schlag, Ferdinand Schmatz, Doron Rabinovici, Josef Winkler sowie der Autor und Musiker Michael Lentz.

Zwei „Schulen“, ein Ziel

Mit von der Partie beim Symposion ist auch Christian Ide Hintze, der mit seiner Schule für Dichtung das Creative Writing nach Österreich gebracht hat. „Wir sind aus der Schule für Dichtung hervorgegangen“, erinnert Schindel, der beide Institutionen als Ergänzungen verstanden wissen will: „Es war ja eine langjährige Forderung der Schule für Dichtung, kreatives Schreiben als universitäre Disziplin zu verankern.“

Veranstaltungshinweis

„SchreibSPUREN - literatur.gespräche II“, 25. Jänner, 19.00 Uhr, Werkstätte Kunstberufe, Liebhartstaler Bockkeller, Gallitzinstraße 1, 1160 Wien. Eintritt frei.

Ide Hintze ist nächste Woche auch zu Gast bei „schreibSPUREN“, einer Veranstaltung der Werkstätte Kunstberufe. Mittels filmischer Kurzsequenz zur Lehrtätigkeit H. C. Artmanns, Wolfgang Bauers, Blixa Bargelds, Nick Caves, Allen Ginsbergs und Falcos wird die Frage diskutiert, ob angehende Autoren durch die Auseinandersetzung mit etablierten Kollegen und deren Werk und Poetik für ihr eigenes Schreiben lernen.

Gerald Heidegger, ORF.at

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