„Artmann hat mich ja sofort verscheucht“
Das Grundhandwerk des Schreibens könne man lernen wie das Grundhandwerk des Malens und Komponierens, sagt Robert Schindel, Leiter des Instituts für Sprachkunst, im Gespräch mit ORF.at. Dass es immer noch einiges Unverständnis gegenüber so einer Institution gebe, liegt für Schindel an einem romantischen Geniebegriff, den man hierzulande vom Autor immer noch habe.
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ORF.at: Was kann ein herannahender Autor an einer Institution wie dem Institut für Sprachkunst lernen, was er nicht im Cafe Altwien kennenlernen könnte, um einmal einen alten Beobachtungsort von Ihnen aufzugreifen?
Robert Schindel: Dazu müsste man die Gegenfrage stellen, was ein Maler auf der Akademie lernen kann, wenn er nicht auch im Kaffeehaus Beobachtungen anstellen kann? Die technischen Voraussetzungen des literarischen Schreibens sind ebenso erlernbar wie die technischen Voraussetzungen des Malens. Bauplan für einen Roman, Perspektivenwechsel, lakonisches Schreiben, pathetisches Schreiben, das ist ebenso erlernbar wie Strichführung oder Zeichnung. Hier kann wie in einem Laboratorium geübt werden, und auf das setzt sich dann das schriftstellerische Talent drauf. So wie sie in einer Kompositionsschule die Voraussetzungen des Komponierens erlernen.
Im deutschsprachigen Raum gibt es im Bezug auf das Schreiben keine Tradition für diese Herangehensweise, weil man irgendwie immer noch dem Geniebegriff aus der Romantik huldigt, also diese Haltung: Wen’s drängt und wen’s zwickt, der kann schreiben. Tatsächlich müssen aber die Schriftsteller auch ihr Handwerk lernen. Früher hat man sich vorgelesen, in Schriftstellerrunden versammelt und die Texte aneinander probiert. Und manche haben sich eben auch alleine durchgeschlagen.
ORF.at: Ist der Einstieg in das Fach des Schreibens dann einer, wo man zuerst einmal das Funktionieren von Texten unter die Lupe nimmt?
Schindel: Hier melden sich Leute für die Prüfung an, die schon eine Schreiberfahrung und teilweise schon kleine Veröffentlichungen gemacht haben. Und dann gehen wir gleich in medias res. Dann gibt es Übungstexte, vorgegebene Texte - und dann wird das in der Gruppe diskutiert. Und dann gibt es eine Menge Lehrbeauftragte, die verschiedene Zugänge zu Texten erproben. Da hat uns die Hochschule für Angewandte Kunst, an der wir das Institut etablieren konnten, sehr unterstützt. Was wir durch die Vielfalt bei den Zugängen vermeiden wollen, ist eine Art Institutston.
ORF.at: Wollen Sie trotzdem so etwas wie einen eigenen „Sound“ hier in Wien etablieren, etwa im Unterschied zu den Instituten in Leipzig und Hildesheim?
Schindel: Wir schreiben hier natürlich „Österreichisch“. Das heißt, die Austriazismen, die sind für uns die Regel. In Wien macht halt niemand einen „Schrank“ auf, sondern einen „Kasten“. Denn ein Wiener hat in der Wohnung keinen Schrank. Allerdings weisen wir die Studenten darauf hin, dass die Austriazismen in den deutschen Verlagen natürlich Probleme machen. Eine eigene österreichische Tradition werden wir nicht begründen, aber wir schreiben in der Tradition einer österreichischen Literatursprache. Bei einem Hofmannsthal sieht man ja auch sofort, dass das ein Österreicher war.
ORF.at: Geht es Ihnen mehr um das Akademieprinzip als um die Meisterklassenstruktur? Oder wenn Meisterklasse, dann mit der Idee, dass die Leute untereinander diskutieren, auch wenn da eine gewisse Konkurrenzsituation vorliegt?
Schindel: Ja, das ist ein ganz wichtiges Prinzip, dieser Austausch, und die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Konkurrenz, wenn, erst am Ende der Ausbildung ein Thema wird. Das Feedback ist ein ganz entscheidendes Kriterium, auch die Frage, wie gehe ich mit einem Text eines anderen um: respektvoll, aber kritisch. Und beim Be-Feedbacken lernt man enorm.
ORF.at: Hätten Sie sich für Ihr eigenes Schreiben so eine Institution gewünscht, der Sie heute vorstehen?
Schindel: Ich habe selbst sehr lange gebraucht, um meine Sprache zu finden. Ich hatte meine erste Veröffentlichung erst mit 42, das ist ungewöhnlich spät. Ich habe große Umwege gemacht. Ich hätte mir viel erspart, andererseits weiß ich nicht, ob ein schwieriger Typ wie ich so eine Klasse ausgehalten hätte. Wenn ich an mich als 20-Jährigen vorstelle, ich weiß nicht, ob ich da nicht eher ausgebüchst wäre.
Aber es haben sich die Zeiten geändert. Mittlerweile weiß man, dass es solche Institutionen, wo man das Schreiben erproben kann, gibt, man kennt aus den USA das Creative Writing. Zu meiner Zeit hat man ja kaum Schriftsteller gekannt. Als ich mich dem H. C. Artmann angenähert hab, hat der mich ja sofort verscheucht.
ORF.at: Wie beurteilt ein Schriftsteller, der seine Werke vor allem als gedruckten Text kennt, die Explosionen des Schreibens, sei es die permanente Schriftkommunikation via Mails, sei es der Drang, sich auf Seiten wie Facebook permanent zu verschriftlichen?
Schindel: Das ist eine gewaltige zweite Alphabetisierung. Das ständige Schreiben und sich zugleich über Medien auszudrücken, das ist enorm, bei allen Verflachungen und Verfälschungen, die das mit sich bringt. Streng genommen sind das Phänomene, die wir auch schon aus der Zeit Schillers kennen, auch, dass immer mehr Menschen Gedichte schreiben als Gedichte lesen. Schiller hat ja vom „tinkenklecksenden Säkulum“ gesprochen und sich beschwert, dass vor allem so viele Frauen geschrieben haben. Das hat sich eher verstärkt. Ich finde, das ist eine gute Entwicklung. Auch wenn es für die Künste schwieriger wird, Bezugs- und Bedeutungsrahmen zu finden. Wir schöpfen jetzt eher aus der Fülle als aus dem Mangel, und das kann ich nur für gut empfinden.
ORF.at: Wie ist Ihr Verhältnis zur Schule für Dichtung, die in diesem Bereich hierzulande ja Pionierarbeit geleistet hat? Wie positionieren sich beide Institutionen zueinander?
Schindel: Wir sind aus der Schule für Dichtung hervorgegangen. Die Gründungsgruppe war in der Schule für Dichtung, das war mit Christian Ide Hintze, mit Marianne Gruber, mit Renee Gadsden, mit der Sabine Scholl, mit Gert Jonke, der Orhan Kipcak und meiner Wenigkeit. Wir haben dort jahrelang getagt. Die Schule für Dichtung hat das auch unterstützt, dass es eine universitäre Ausbildung für kreatives Schreiben gibt. Und als das Institut dann hier an der Hochschule für Angewandte Kunst gegründet wurde, haben sich unsere Wege getrennt, aber nicht im Sinn einer Trennung, sondern als Ergänzung.
In die Schule für Dichtung kann jeder kommen. Bei uns muss man eine Prüfung machen. Aber man merkt schon, dass wir aus der Schule für Dichtung hervorgegangen sind, und der Kontakt ist auch heute noch fließend, viele Mitglieder der Schule für Dichtung unterrichten ja auch wieder hier. Insofern verstehen wir uns als zusätzliche Institution im Sinne der Literatur.
Das Gespräch führte Gerald Heidegger, ORF.at