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Auch in anderen Ländern gärt es

Noch ist in Tunesien die Lage instabil und die Zukunft unklar. Dennoch kommt aus dem Land ein Signal an andere arabische Staaten: Es ist möglich, sich von einem autoritären Regime zu befreien. Der Sturz von Präsident Zine el Abidine Ben Ali weckt die Hoffnung für Oppositionsgruppen in der arabischen Welt. Viele glauben, dass der Funke auch auf ihr Land überspringen kann.

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Die „Jasmin-Revolution“, wie der Umsturz von tunesischen Internetnutzern genannt wird, sei der erste Volksaufstand, der den Staatschef eines arabischen Landes zu Fall bringe, sagte Amr Hamzawi vom Carnegie-Zentrum im libanesischen Beirut. Und das könne den Rest der arabischen Welt „inspirieren“. Denn auch in vielen anderen Staaten der Region trieben die Menschen ähnliche Probleme wie in Tunesien um: Steigende Preise für Lebensmittel, Arbeitslosigkeit, willkürliche Polizeigewalt und Verletzung der Menschenrechte beschäftigten auch die Menschen in Marokko, Algerien, Ägypten und Jordanien.

Zudem habe Tunesien gezeigt, dass die Bevölkerung selbst den Wandel herbeiführen könne und kein Einmarsch einer westlichen Macht wie im Irak nötig sei.

„Tickende Zeitbombe“

Gerade in Ägypten brodelt es: Die Parlamentswahl im November und Dezember war von Gewalt und Manipulationsvorwürfen überschattet. Regierungskritische Parteien verzichteten auf eine Kandidatur. Zudem schockierten zuletzt brutale Polizeiübergriffe auf Unschuldige das Land.

Die Unruhen in Tunesien „sind nur ein Symptom“, meint etwa der frühere Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohamed ElBaradei, der eigentlich das Regime von Präsident Hosni Mubarak herausfordern wollte, die Wahl dann aber boykottierte: „Jede Gesellschaft, in der es Unterdrückung gibt, wo die soziale Gerechtigkeit nicht gewährleistet ist und es keine Aussicht auf einen friedlichen Wandel gibt, ist eine tickende Zeitbombe“, sagte ElBaradei wohl auch mit Verweis auf Ägypten.

Spannungen in Jordanien und Algerien

Auch in Jordanien ist die Situation angespannt: Schon am Freitag demonstrierten mehrere tausend Menschen gegen die Regierung, obwohl die Regierung in dieser Woche nach einer ersten Protestwelle ein Maßnahmenpaket beschlossen hatte, durch das die Preissteigerungen der vergangenen Monate abgemildert werden. Gewerkschafter skandierten dennoch: „Tunesien hat uns eine Lehre erteilt.“

In Algerien kommt es seit Wochen immer wieder zu Demonstrationen. Erst am Samstag setzte sich ein Mann aus Protest gegen die Stadtverwaltung selbst in Brand. Der 37-jährige Arbeitslose wurde mit schweren Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert und erlag dort seinen Verletzungen. Seit Freitag versuchten in Algerien drei weitere Menschen, sich selbst zu verbrennen. In Tunesien war die Selbstverbrennung eines 26-Jährigen im Dezember der Auslöser der wochenlangen Proteste.

Demonstranten im Jemen rufen zu Revolution auf

In der jemenitischen Hauptstadt Sanaa riefen rund tausend Studenten am Sonntag zum Sturz der Regierung nach dem Vorbild von Tunesien auf. Die Demonstranten, darunter auch Menschenrechtsaktivisten, zogen zur tunesischen Botschaft. Sie riefen auch andere arabische Völker zur „Revolution gegen ihre lügenden und verängstigten Anführer“ auf.

„Geht, bevor Ihr abgesetzt werdet“, stand auf einem der Plakate der Protestierenden, die sich damit an die jemenitische Regierung wandten. Präsident Ali Abdallah Saleh steht seit 32 Jahren an der Spitze des Landes. Derzeit wird im Parlament über eine Verfassungsänderung diskutiert, die ihm den Weg für eine Präsidentschaft auf Lebenszeit ebnen könnte.

Zweifel an Kettenreaktion

Die Führer der arabischen Welt verhielten sich jedenfalls nach den Ereignissen in Tunesien auffallend still. Neben den Saudis, die Präsident Ben Ali und seine Familie bei sich aufnahmen, stellte sich nur der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi auf die Seite des gestürzten Präsidenten: „Tunesien hat sich jetzt in ein Land verwandelt, das von Banden regiert wird“, schimpft er. „Ich bin schmerzhaft berührt von dem, was in Tunesien geschieht“, sagte er am Samstagabend im libyschen Fernsehen.

Doch bei aller Nervosität der Herrschenden und trotz der Euphorie der Oppositionellen - die meisten Staatschefs sitzen doch recht sicher im Sattel. Viele arabische Länder haben einen effektiveren Sicherheitsapparat als Tunesien oder mehr Geld, um die Bevölkerung - etwa über einen gut ausgebauten Wohlfahrtsstaat wie in den meisten Golfstaaten - ruhig zu halten. Insofern zweifeln Experten an einer politischen Kettenreaktion wie nach dem Ende des Kalten Krieges in Osteuropa.

Ausnahmefall Tunesien?

Nach Einschätzung des Analysten Muin Rabbani unterscheidet sich der Aufstand in Tunesien grundlegend von der üblichen Protestkultur in der Region. Während in Ägypten die islamistische Muslimbruderschaft und im Libanon die Schiitenmiliz Hisbollah die stärksten Oppositionskräfte sind, formierte sich der Widerstand in Tunesien spontan auf der Straße. Zudem hatte Ben Ali beispielsweise keine Opposition oder Zivilgesellschaft zugelassen, die ägyptische Führung etwa ist hingegen weniger restriktiv. Dort gibt es Foren, in denen die Bevölkerung zumindest in Ansätzen Kritik äußern kann. Der Druck ist damit weniger hoch.

Selbst wenn vor allem durch die Kommunikation via Internet und Soziale Netzwerke der Widerstand der Opposition in den arabischen Ländern unterstützt und angefacht wird: Ob Tunesien einen Dominoeffekt auslöst, bleibt ungewiss: „Man muss nur in den Iran schauen, um die Schwierigkeiten für all jene zu sehen, die glauben, sie könnten einfach auf die Straße gehen und so einen Wechsel auslösen“, sagt der Direktor des Zentrums für Strategische Studien in Kuwait, Sami al-Faradsch.

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