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„Neue Gefahr für Frankreich“

Nach rund 40 Jahren an der Spitze der rechtsextremen Front National (FN) tritt am Wochenende Jean-Marie Le Pen, ein Urgestein der französischen Politik, vom Parteivorsitz zurück. Die von ihm gegründete Partei dürfte mit Tochter Marine Le Pen nicht nur weiter in Familienhand bleiben. Trotz deren Bemühungen zur „Entdämonisierung“ der FN warnen Kritiker auch, dass Marine gleich gefährlich sei wie ihr mehr als umstrittener Vater.

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Wie die Nachrichtenagentur AFP in der Nacht auf Samstag aus Regierungskreisen erfuhr, habe sich die stellvertretende Parteivorsitzende in der schriftlichen Mitgliederbefragung gegen ihren Herausforderer Bruno Gollnisch durchgesetzt, der ebenfalls Parteivize ist. Nach einem Bericht der Website der französischen Tageszeitung „Le Monde“ sollen sich etwa zwei Drittel der rund 23.000 Mitglieder für Marine Le Pen ausgesprochen haben.

Der Front National will das Ergebnis der Abstimmung am Sonntag bei einem Parteitag in Tours offiziell bekanntgeben. Bis Donnerstag konnten die Parteimitglieder per Briefwahl ihre Stimme abgeben. Am Freitag wurden die Briefe unter notarieller Aufsicht geöffnet. Das Ergebnis soll schließlich am Sonntag bei einem Parteikongress verkündet werden.

31.000 Parteimitglieder

Die rechtsextreme Front National hat nach Angaben ihres Gründers Jean-Marie Le Pen mehr als 31.000 Mitglieder. Der Parteichef nannte im Dezember erstmals offiziell Zahlen zur Mitgliedschaft, die in den vergangenen Jahren nie bekanntgegeben worden waren.

Unterstützt wird Marine Le Pen nicht zuletzt von ihrem 82-jährigen Vater, der die fremdenfeindliche Partei 1972 gegründet und 2002 weltweit für Schlagzeilen gesorgt hatte, als er es in die Stichwahl der Präsidentschaftswahl schaffte.

Gegen Globalisierung und Euro

Die neue Führungsfigur wird die Partei auch in die Präsidentschaftswahl 2012 führen. Meinungsforscher räumen der Europaabgeordneten Le Pen steigende Sympathien unter den Franzosen ein. In den vergangenen Jahren bemühte sich die 42-Jährige, die Partei zu „entdämonisieren“ und so zu einer Volkspartei zu machen.

Jean-Marie Le Pen und Tochter Marine Le Pen

Reuters/Benoit Tessier

Das Führungsduo der Front National, Jean-Marie und Marine Le Pen

Dabei setzt sie vor allem auf Wirtschafts- und Sozialthemen, die in der Krise gut ankommen. So kämpft sie gegen die Globalisierung und wirbt für einen Austritt Frankreichs aus dem Euro-Raum. Auch zu ihrem Vater geht die Tochter teilweise auf Distanz. Was die Einordnung der NS-Zeit angehe, unterscheidet sie sich laut eigenen Angaben deutlich von dem Parteigründer.

Marine Le Pens Ansichten unterscheiden sich teilweise auch deutlich von Herausforderer Gollnisch, der von katholischen Traditionalisten unterstützt wird. So setzt sich die 42-Jährige für Abtreibung und Partnerschaften ohne Trauschein ein. Auch im Privatleben gibt sich die zweimal Geschiedene modern: Sie zieht ihre drei Kinder ohne Vater groß und lebt mit dem FN-Vordenker Louis Aliot zusammen.

Staatsanwalt ermittelt

Beim Thema Einwanderung haut Marine Le Pen allerdings in dieselbe Kerbe: Die französische Staatsbürgerschaft soll nicht mehr automatisch Geburtsrecht sein. Außerdem sollen ausländische Langzeitarbeitslose das Land verlassen, auch wenn sie rechtmäßig in Frankreich sind. Die Europaabgeordnete warnt auch vor einer „Islamisierung“ Frankreichs, wo mit gut fünf Millionen die größte muslimische Gemeinde Europas lebt.

Einen Aufschrei der Empörung löste Jean-Marie Le Pens jüngste Tochter Mitte Dezember aus, als sie die Straßengebete der Muslime mit der Nazi-Besatzung verglich. Die Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb wegen Anstiftung zum Rassenhass. Spätestens seit diesem Eklat ist die französische Gesellschaft alarmiert. Neben wegen einer Klage der Anti-Rassismus-Initiative MRAP eingeleiteten Ermittlungen schrieb zuletzt auch die bisher zurückhaltende Presse wie die Wochenzeitung „Express“ von einer „neuen Gefahr für Frankreich“, die ihre Radikalität nur mit Zucker überstreue. Viele befürchten, die Tochter könnte noch mächtiger werden als ihr Vater.

Regierung und Opposition alarmiert

Auch Frankreichs Politik zeigt sich alarmiert. „Marine Le Pen ist heute genauso gefährlich wie Jean-Marie Le Pen“, sagte etwa der Sprecher der Sozialisten (PS), Benoit Hamon. Noch schärfer reagierte die Regierungspartei UMP, die bei der Präsidentschaftswahl 2012 den Verlust von Wählern befürchtet. „Man muss aufhören zu lügen: Sie hat genau dieselbe Persönlichkeit wie ihr Vater“, so Parteichef Jean-Francois Cope.

„Marine Le Pen ist ein Dorn im Fuß der Konservativen“, sagte der Politologe Jean-Yves Camus. Er verwies auf Umfragen, wonach der Kurs der neuen Galionsfigur der Rechtsextremen, die häufig in politischen Fernsehsendungen auftritt, auch bei konservativen Wählern gut ankomme. 32 Prozent der UMP-Wähler stimmen laut einer Umfrage mit den Ideen der Front National überein, 43 Prozent können sich eine Zusammenarbeit mit der FN vorstellen. Meinungsforscher sprechen bereits von einem „Marine-Effekt“. Bis zu 14 Prozent der Wählerstimmen werden ihr bei der Präsidentschaftswahl 2012 vorhergesagt. Jean-Marie Le Pen bekam 2007 nur gut zehn Prozent.

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