Proteste in Tunesien und Algerien
Tunesien wird seit Wochen von heftigen Unruhen erschüttert, in denen bereits Menschen ums Leben kamen. Auch im ungleich größeren Nachbarland Algerien und im weiter westlich gelegenen Marokko ist die Situation angespannt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch im äußersten Norden Afrikas, die Lebenshaltungskosten steigen, die politischen Führungen scheinen sich für die alltäglichen Probleme der Menschen nicht zu interessieren.
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Seit sich am 17. Dezember ein 26 Jahre alter Tunesier in seiner Heimatstadt Sidi Bouzid im Zentrum des Landes selbst anzündete, breiten sich die Proteste in dem Land immer weiter aus. Der Hochschulabsolvent hatte keine Arbeit und verdiente sich seinen Lebensunterhalt wie viele Altersgenossen als fliegender Händler mit dem Verkauf von Obst und Gemüse, bis seine Waren wegen fehlender Lizenzen konfisziert wurden.
Nach dem Vorfall kam es in weiten Teilen des Landes zu Kundgebungen. Zu Wochenbeginn lieferten sich in der im Westen gelegenen Stadt Thala Hunderte Jugendliche Kämpfe mit der Polizei, bei denen auch Tränengas zum Einsatz kam. Mittlerweile griff der Aufruhr auf Algerien über.
„Vergessene“ Akademiker
Experten sind sich einig, dass die Gründe für die Proteste in beiden Staaten ähnlich sind und dass auch Marokko erfasst werden könnte. „Während es in den Ausbildungssystemen der drei Länder große Fortschritte gab, wurde vergessen, junge Akademiker in die Gesellschaft und insbesondere in den Arbeitsmarkt zu integrieren“, sagte der Ökonom Driss Benali von der Universität „Mohammed V.“ in der marokkanischen Hauptstadt Rabat.
Junge Menschen hätten in den Ländern keinerlei berufliche Perspektiven. Das werde sich ohne einen grundlegenden Umbau der Wirtschaftssysteme auch nicht ändern, fügte sein Kollege Pierre Vermeren von der Hochschule „Paris I“ in der französischen Hauptstadt hinzu.
Politik „im Wartezustand und perspektivenlos“
„Zudem hat die Weltwirtschaftskrise die Auswanderung gestoppt“, sagte Vermeren. Der Weggang junger Menschen habe die Arbeitsmärkte der Länder in der Vergangenheit stets entlastet, führte er aus. Nun sei eigentlich die Politik gefordert, die sich jedoch ebenso wie die Wirtschaft „in der Krise“ befinde.
Da die Präsidenten Algeriens und Tunesiens, Abdelaziz Bouteflika und Zine El Abidine Ben Ali, vor dem Ende ihrer Karrieren stünden, sei die Politik „im Wartezustand und perspektivlos“, sagte Vermeren. Tatsächlich reagierte Algerien auf die auflodernden Proteste nur mit der Ankündigung, Grundnahrungsmittel weiterhin subventionieren zu wollen.
Mangelnde Meinungsfreiheit
Trotz ähnlicher Probleme sind die politischen Systeme der drei Länder jedoch sehr unterschiedlich. Vor allem Tunesien wird immer wieder wegen mangelnder Meinungsfreiheit gerügt. „In Tunesien demonstrieren die Menschen auch, um nicht zu ersticken“, sagte der Wissenschaftler Antoine Basbous von der Pariser Organisation OPA zur Beobachtung der arabischen Welt. Die neuerlichen Proteste hätten nicht nur soziale Ursachen, sondern wendeten sich auch gegen die Regierung von Ben Ali, der das Land mit eiserner Hand führe und auch nicht um seine Macht fürchte.
In Marokko sei die Situation politisch entspannter, weil es eine organisierte Opposition gebe, sagte Karim Pakzad vom Institut für Internationale Beziehungen (IRIS) in Paris. Gleiches gelte für Algerien, wo die Regierungspartei FLN für die „nationale Befreiung“ stehe und die Oppositionsparteien „Stellung beziehen“ dürften. Mit Blick auf die weitere Entwicklung der Proteste weist Vermeren indes auf die flächendeckende Verbreitung elektronischer Medien in den Ländern hin. „Die Menschen sind den ganzen Tag im Internet, und die Algerier sehen sofort, was in Tunesien passiert“, warnte er.
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