Pilzboom als Wirtschaftsfaktor
Nur kurz im Frühjahr ist der Tibetische Raupenpilz im Hochgebirge des Himalayas zu „ernten“. Ganze Dörfer machen sich dann auf, um nach den wenige Zentimeter langen, von einem Pilz aufgefressenen Falterraupen zu suchen. Die Nachfrage nach dem angeblichen Wundermittel gegen alle möglichen Krankheiten stieg rasant an – und damit auch die Preise. Doch der Ansturm an Sammlern offenbart auch immer mehr Schattenseiten.
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Schon mit ein paar Pilzen verdienen die Sammler einen durchschnittlichen Tageslohn. Auch wenn die Suche schwierig ist, gilt sie als lukratives Geschäft. In einigen Regionen Tibets bekommen Kinder sogar Schulferien, um ihren Familien zu helfen. Mittlerweile kommt es immer öfter zu blutigen Konflikten zwischen angereisten Glücksrittern und Einheimischen – und auch die lokalen Behörden können dagegen wenig tun.
Sieben Sammler ermordet
In Tibet kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu tödlichen Auseinandersetzungen. Doch vor allem in Nepal schien die Lage zeitweise zu eskalieren. Im vergangenen Jahr verschwanden sieben Pilzsammler aus dem Flachland, die auf den Weiden im Hochgebirge offenbar in einen Hinterhalt von Einheimischen geraten waren. Zwei Leichen wurden in unwegsamem Gelände geborgen, von den fünf anderen fehlt bis heute jede Spur, berichtete die BBC.
36 Bewohner des Ortes Nar wurden festgenommen, in Ermangelung eines so großen Gefängnisses wurden sie in einem Behördengebäude festgehalten. Für das Dorf war das ein schwerer Schlag: Viele der Männer waren eingesperrt, die Feldarbeit und damit die Ernte fiel flach, so die BBC. 17 wurden mittlerweile auf Kaution freigelassen. Im Februar soll das Urteil gegen sie gefällt werden.
Die lokalen Behörden in Nepal heben indes wie auch in Tibet Gebühren für Sammler ein und versuchen auch damit den Zustrom aus anderen Regionen einzudämmen, indem Fremde höhere Preise zahlen müssen. In einigen Regionen ist die Suche überhaupt nur Einheimischen erlaubt. Doch auch die Gebühren sorgen eher für noch mehr Streit denn für eine Regulierung.
Pilz fällt Mottenraupe an
Yartsa Gunbu, wie die Einheimischen den Pilz nennen, kommt nur auf einer Meereshöhe zwischen 3.000 und 5.000 Metern vor. Der Pilz befällt die Larve einer bestimmten Mottenart, ernährt sich von ihr und sorgt dafür, dass sie nur wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche stirbt, statt tiefer im Erdreich zu überwintern. Der Pilz höhlt die Raupe gänzlich aus, im Frühjahr wächst schließlich ein keulenförmiger, einige Zentimeter langer Fruchtkörper aus dem Boden.

Reuters/Simon Zo
Fünf bis 15 Pilze ist die durchschnittliche tägliche Ausbeute eines Sammlers.
Schon seit Jahrhunderten gilt der Pilz in der chinesischen Medizin als Heilmittel. Er soll vor allem das Immunsystem stärken, gilt als heilend bei Krankheiten verschiedenster innerer Organe, sogar gegen Tumore und Aids soll er helfen - wobei entsprechende Studien noch Mangelware sind. Schließlich gilt Yartsa Gunbu auch als Aphrodisiakum und Potenzmittel, was ihm den Namen „Viagra des Himalayas“ einbrachte.
Preis explodierte
Vor allem mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in China ist die Nachfrage sprunghaft angestiegen, die Pilze wurden zum Lifestyle-Produkt von neureichen Chinesen: Von 1997 bis 2009 sei der Preis um rund 900 Prozent in die Höhe geschnellt, schreibt der Tibet- und Pilzexperte Daniel Winkler auf seiner Homepage. In Schanghai werden die Pilze in mehreren Qualitätsklassen verkauft, die teuersten kosten derzeit rund 220 Yuan (rund 25 Euro) pro Gramm.
In den „Ernteregionen“ sind die Preise freilich deutlich geringer, die Preisspanne für Händler ist enorm. Die Preise variieren zudem je nach Saison und Qualität stark, in den vergangenen Jahren, war der Preis auch krisenbedingt kurz gesunken, ehe er sich wieder erholte.
Wichtige Einkommensquelle
Für die gesamte Region ist der Pilz jedenfalls zu einem enormen Wirtschaftsfaktor geworden. Genaue Zahlen gibt es nicht. Winkler errechnete unter Berufung auf Regierungsdaten allein für Tibet eine Produktion von 100 bis 200 Tonnen pro Jahr. Andere Schätzungen sind weit konservativer.
Landesweit trägt demnach das Pilzsammeln zu 40 Prozent des Bareinkommens der ländlichen Bevölkerung bei, in einigen Regionen sind es sogar zwischen 70 und 90 Prozent. Erwirtschaftet werden damit Winkler zufolge bis zu zehn Prozent des tibetischen Bruttosozialprodukts.
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