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Erst nach zehn Monaten reagiert

Mit Dioxin verseuchte Industriefette sind in Deutschland offenbar über einen längeren Zeitraum zu Tierfutter verarbeitet worden als bisher bekannt. Bereits am 19. März 2010 habe ein privates Labor eine Probe des Futtermittellieferanten Harles und Jentzsch positiv auf zu viel Dioxin getestet, berichtete die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“.

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Entsprechende Informationen habe das Agrarministerium in Kiel bestätigt. Der Fall hätte sofort gemeldet werden müssen, so der Sprecher des Ministeriums. Die zulässige Höchstmenge von 0,75 Nanogramm Dioxin pro Kilogramm Fett wurde um mehr als das Doppelte überschritten. Demnach gelangte schon vor zehn Monaten verseuchtes Tierfutter in den Handel. Man habe aber erst am 27. Dezember von der Grenzwertüberschreitung erfahren, sagte ein Sprecher von Schleswig-Holsteins Agrarministerin Juliane Rumpf (CDU).

Bis zu 78-mal höher

Wie Laboruntersuchungen von weiteren Proben zeigen, wurde der Grenzwert für das Gift in manchen Fällen der in den Skandal verwickelten Firma Harles und Jentzsch noch weitaus mehr überschritten als bisher bekannt war. Es war bis zu knapp 78-mal mehr Dioxin enthalten als erlaubt, teilte das Kieler Agrarministerium am Freitag mit. In neun von zehn Fällen war die Belastung zu hoch.

Eigenkontrolle wurde nicht weitergereicht

Das positive Ergebnis stamme aus einer Eigenkontrolle des Unternehmens und wurde den Behörden nicht mitgeteilt. Die Probe wurde am 29. Dezember von der schleswig-holsteinischen Futtermittelüberwachung in Uetersen (Kreis Pinneberg) beschlagnahmt und der Staatsanwaltschaft übergeben.

Auch nach dem März 2010 habe es bei Eigenkontrolluntersuchungen des Unternehmens Auffälligkeiten gegeben, die ebenfalls unterschlagen wurden, sagte der Ministeriumssprecher weiter.

Slowakei: Verkaufsverbot verhängt

Die Slowakei hat wegen des Dioxinskandals ein vorübergehendes Verkaufsverbot für Eier und Geflügelfleisch aus Deutschland verhängt. Zudem wurden umfangreiche Tests auf mögliche Belastungen der importierten Lebensmittel mit Dioxin angeordnet. Fielen diese negativ aus, könne der Verkauf wieder aufgenommen werden, teilte das Landwirtschaftsministerium am Freitag in Bratislava mit.

Zuvor war bekanntgeworden, dass möglicherweise belastete Eier auch ins Ausland gelangt waren. So hatten etwa die Niederlande von einem der inzwischen geschlossenen Bauernhöfe in Deutschland Eier bezogen. Sie wurden in der Nahrungsmittelindustrie verarbeitet. Die Produkte sollen dann auch nach Großbritannien exportiert worden sein.

Kein Importstopp für Österreich

In Österreich dürfen Eier und andere Geflügelprodukte aus Deutschland weiterhin verkauft werden. „Ein Importverbot ist aufgrund der derzeitigen Nichtbetroffenheit nicht geplant“, sagte Fabian Fußeis, Sprecher des Gesundheitsministeriums, am Freitag zur APA.

Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) wache „mit Argus-Augen“ über dem europäischen Schnellwarnsystem. Bisher gebe es keine einzige Meldung, dass Österreich betroffen wäre.

Herstellung erfolgte illegal

Unterdessen erhärtete sich offenbar der Verdacht einer Straftat. Das berichtet das Bielefelder „Westfalen-Blatt“ unter Berufung auf das niedersächsische Agrarministerium. Danach habe die Spedition Lübbe in Bösel im niedersächsischen Landkreis Cloppenburg keine Genehmigung gehabt, auf ihrem Gelände Fette für die Futtermittelherstellung zu lagern und zu mischen, sagte Ministeriumssprecher Gert Hahne der Zeitung.

Die Herstellung von Futtermittelfett sei illegal erfolgt. Da bei den Behörden lediglich ein Transportunternehmen gemeldet war, habe es auch keine Kontrollen der produzierten Ware gegeben. Es bestehe der Verdacht, dass der Futtermittelhersteller Harles und Jentzsch in Uetersen die Spedition genutzt habe, um sich der Überwachung der Behörden zu entziehen, sagte Hahne dem Blatt. Von Bösel aus war mit Dioxin belastetes Futterfett deutschlandweit an Futtermittelhersteller geliefert worden.

Arzt klagt wegen versuchten Mordes

Im deutschen Dioxinskandal gibt es nun auch eine Strafanzeige eines Verbrauchers. Ein Arzt aus Havixbeck bei Münster habe die Firma Harles und Jentzsch aus Uetersen (Schleswig-Holstein) angezeigt, sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Schweer und bestätigte Angaben der „Westfälischen Nachrichten“ (Freitag-Ausgabe). Die Vorwürfe des Allgemeinmediziners: schwere Körperverletzung und versuchter Mord aus Habgier.

Umfrage: Kein Einfluss auf Kaufverhalten

Die Berichte über Dioxin in Eiern und Fleisch haben derweil kaum Einfluss auf das Ess- und Kaufverhalten der Deutschen. Im aktuellen ARD-„DeutschlandTrend“ geben nur 14 Prozent an, nun weniger Eier essen zu wollen, lediglich vier Prozent wollen gar keine Eier mehr essen. 13 Prozent geben an, nun woanders einkaufen zu wollen.

Zwei Drittel der Deutschen (66 Prozent) sagen, dass der aktuelle Dioxin-Lebensmittelskandal keinen Einfluss auf ihre Ess- und Kaufgewohnheiten hat. Für diese Umfrage im Auftrag der ARD-„Tagesthemen“ hat das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap am Mittwoch 727 Wahlberechtigte bundesweit telefonisch befragt.

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