Bekenntnisse eines Erotomanen
Schon zum zweiten Mal ist Hollywood-Star John Malkovich in einer Wiener Theaterproduktion zu bewundern: Nachdem er 2009 in „The Infernal Comedy“ als Serienmörder Jack Unterweger zu sehen war, schlüpft er nun in die Rolle des Serienverführers Casanova. Am Mittwochabend feierte die Produktion „The Giacomo Variations“ ihre Welturaufführung im Wiener Ronacher.
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Malkovichs Casanova kennt kein schlechtes Gewissen, sein Credo: „Viva la liberta - es lebe die Freiheit“. Wiederholung tötet. Variationen - von Frauen, Sexualpraktiken und Aufenthaltsorten - halten jung und am Leben. Dementsprechend fast nostalgisch blickt Casanova in „The Giacomo Variations“ im Alter von 70 Jahren auf die Highlights seines Verführerlebens zurück.
Er erinnert sich an Frauen, die er doch noch in derselben Sekunde vergaß, in der er ihnen versprach, das nie zu tun. Er denkt an das 14-jährige Mädchen, das seinetwegen ins Kloster gesperrt wurde, an all die verheirateten Frauen und die gar nicht väterliche Liebe zu seiner Tochter. Doch er ist noch nicht bereit, auf eine letzte Liebe zu verzichten, und wenn er seine wertvollen Memoiren dafür eintauschen muss.

Reuters/Herwig Prammer
„Es gibt immer eine Frau des Augenblicks.“
Die Hits aus Mozarts Opernkiste
Als Basis für das Stück zog Regisseur und Autor Michael Sturminger die von Giacomo Casanova ab 1790 verfassten Lebenserinnerungen „Histoire de ma vie“ heran. Er stellt dem gealterten Verführer die deutsche Schriftstellerin Elisa von der Recke zur Seite, die ein reges Interesse an seinen Memoiren zeigt.
Über dieses dramaturgische Skelett spannte Martin Haselböck als musikalischer Leiter und Dirigent eine Hülle aus Opernarien der Werke von Wolfgang Amadeus Mozart und seinem Librettisten Lorenzo Da Ponte. „Don Giovanni“, „Cosi fan tutte“ und „Le nozze di figaro“ dienten dem Originalklangexperten Haselböck als herrliche Fundgrube von Musikstücken, die zu Casanovas Liebe und Leid passen.
Kein Wunder: Nicht nur sah sich Casanova (ein Zeitgenosse Mozarts und Da Pontes) verschiedener Überlieferungen zu Folge als Vorbild für „Don Giovanni“, auch in den anderen Opern findet sich passendes Material, wenn es um Liebesverwirrungen, -schwüre und -kummer geht.
Einsatzteam mit Opernstimme
Neben Malkovich schlüpft die aus Litauen stammende Schauspielerin Ingeborga Dapkunaite in alle Frauenrollen des Abends. Nachdem beiden Schauspielern die gesangliche Fertigkeit für anspruchsvolle Mozartarien fehlt, stehen sie durch den Bariton Florian Boesch und die Sopranistin Sophie Klußmann gedoppelt auf der Bühne: Kommt der Musikeinsatz, übernimmt das Profiteam.

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Malkovich hatte am Premierenabend mit einer starken Verkühlung zu kämpfen.
Schmusen statt Singen
Malkovich schleicht sich dann im passenden Augenblick an seinen Casanova-Schreibtisch, schmust sich am Hals einer Dame entlang oder singt (hinter seinem Gesangsdouble stehend) einfach mit. Erhebt er doch einmal die Stimme, klingt sein Italienisch mindestens genauso sympathisch-holprig wie sein Gesang. Dass der Schauspieler (wie auch sein Alter ego Boesch) unverkennbar mit einer starken Verkühlung zu kämpfen hatte, tat seiner Bühnenpräsenz keinen Abbruch.
Malkovich spielt sich nicht in den Vordergrund, sondern erweist sich als sehr guter Ensemblespieler und springt mit den Kollegen von Rolle zu Rolle, von Rock zu Rock. Nicht nur Malkovich und Dapkunaite dürfen dabei ihr komödiantisches Talent ausleben, auch Boesch und Kußmann beweisen sich als sehr gute Schauspieler.
Stolpern zwischen Spaß und Ernst
Trotzdem will das Potpourri aus Texten und Musikstücken in „The Giacomo Variations“ nicht zu einer homogenen Einheit verschmelzen. Häufige Rollen- und Kostümwechsel, speziell zwischen den beiden Damen, verwirren. Übergänge wirken holprig, dramaturgische Anschlussmängel lassen die einzelnen Szenen oft nur zäh ineinandergreifen.
Der sprachliche Witz in der englischen Spielfassung (in der deutschen Übertitelung durch die Vereinfachung gnadenlos ausradiert) sorgt für Erheiterung, kann aber die fehlende Stringenz nicht ersetzen. Alles in allem wirkt das Stück unfertig, man wünscht sich, dass Regisseur Sturminger den Bogen vor allem im zweiten Teil etwas straffer gespannt hätte.
„Feinsliebchen, komm ans Fenster“
Mit dem Ende des Stücks ist auch Casanova am Ende seines Lebens angekommen. Als Malkovich alleine zu einem letzten Minnesang („Deh vieni alla finestra“ aus „Don Giovanni“) anhebt, zeigt er, wie wenig es für den wohl stärksten Moment des Abends braucht, wenn ein Schauspieler seines Formats auf der Bühne steht.
Hinweis
„The Giacomo Variations“ ist noch bis 9. Jänner täglich um 19.30 Uhr zu sehen. Stehplatzkarten sind an der Abendkassa erhältlich.
Nach mehr als zweieinhalb Stunden erntet das Ensemble von „The Giacomo Variations“ tosenden Applaus. Jubel löste dabei hauptsächlich Malkovich aus, doch auch seine Kollegen, Orchester und Team konnten sich über die Begeisterung im Publikum freuen. Vier weitere, schon lange vor der Premiere restlos ausverkaufte Vorstellungen stehen in Wien auf dem Programm, dann geht Casanova mehr als 200 Jahre nach seinem Tod wieder auf Reisen.
Sophia Felbermair, ORF.at
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