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Grüne profitieren von Regierungsschwäche

Der Seismograf der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat 2010 mehrmals versagt. Weder hatten Union und FDP geahnt, dass sich ihr Traum von Schwarz-Gelb phasenweise in einen Alptraum verwandeln könnte. Noch haben sie die Konsequenzen für ihre Entscheidungsscheu vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai abgesehen, die für die CDU dann dramatisch verloren ging.

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Die größte Erschütterung ohne Vorwarnung war aber der plötzliche und beispiellose Rücktritt von Horst Köhler als Bundespräsident. Das hatte Merkel, die Köhler einst auf den Schild gehoben hatte, erst kurz vorher erfahren. Ihr erstes christlich-liberales Regierungsjahr dürfte vielen als turbulent, die erste Hälfte davon gar als chaotisch in Erinnerung bleiben. Die Wunschpartner CDU, CSU und FDP verstanden sich einfach nicht.

„Wildsau“ und „Gurkentruppe“

Die FDP hielt an ihren Steuersenkungsversprechen noch fest, als Merkel diese schon einkassiert hatte. FDP-Chef Guido Westerwelle erzürnte weite Teile der Bevölkerung mit seiner Bemerkung zur Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze: „Wer anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ Hartz-IV-Empfängern mag so manches vorgehalten werden - Dekadenz sicher nicht. Merkel distanzierte sich offen davon.

Die FDP nannte die CSU eine „Wildsau“ und die CSU die FDP eine „Gurkentruppe“. Der neue deutsche Bundespräsident Christian Wulff wurde erst im dritten Wahlgang von Schwarz-Gelb ins Amt gebracht.

„Herbst der Entscheidungen“

Merkels kurzer Sommerurlaub wirkte wie eine Zäsur. Nach ihrer Rückkehr in Berlin schlug sie erst einmal auf den Tisch. Zankereien zwischen CSU und FDP ließ sie nicht mehr laufen. Themen wurden straff abgearbeitet. In ihrem „Herbst der Entscheidungen“ wurden zur Empörung eines Großteils der Bevölkerung die Atomlaufzeiten verlängert, ein Haushalt mit Milliarden-Einsparungen vornehmlich im Sozialbereich verabschiedet, die Wehrpflicht zum nächsten Jahr ausgesetzt, das Steuerrecht vereinfacht, die Sicherungsverwahrung besonders gefährlicher Täter geregelt und die Hartz-IV-Reform auf den Weg gebracht.

Im Ringen um die Stabilität des Euro sowie bei der Überwindung der Finanz- und Bankenkrise verfolgte Merkel im In- und Ausland einen harten Kurs der Haushaltssanierung. „Madame No“ und „Eiserne Lady“ wurde sie genannt.

Grüne bis zu 20 Prozent

Die Regierung fasste wieder Tritt, auch wenn sie wichtige Beschlüsse etwa zur Reform der Mehrwertsteuer und zum erleichterten Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland auf 2011 verschob und die FDP in Umfragen unter fünf Prozent rutschte. Hauptprofiteure wurden die Grünen, die sogar die 20-Prozent-Marke übersprangen und damit von der CDU schon fast als Hauptgegner empfunden wurden.

Die SPD war nach ihrem Absturz bei der Bundestagswahl 2009 um Stabilisierung und Profilierung bemüht. Die Linke konnte ihren Aufstieg vom Vorjahr nicht fortsetzen. Sie büßte aber auch nicht viel Rückhalt ein, obwohl die neue Parteispitze mit Gesine Lötzsch und Klaus Ernst nach dem Abgang Oskar Lafontaines um Akzeptanz kämpfen musste.

Auch Koch ging

Die Amtsaufgabe Köhlers Ende Mai blieb nicht der einzige Prominentenrückzug in diesem Jahr. Roland Koch gab vorzeitig als hessischer Ministerpräsident auf, Ole von Beust als Hamburger Bürgermeister. Beide Christdemokraten sahen ihre Zukunft nach jahrzehntelanger Erfahrung nicht mehr in der Politik.

Das hat auch mit Merkel zu tun, die für beide keinen Platz in ihrem Kabinett hatte und ihnen keinen Aufstieg von der Landes- in die Bundesliga ermöglichen konnte. So erfüllten sich auch die zahllosen Rücktrittsgerüchte um Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nicht.

Merkel sitzt auch nach diesem schwierigen Regierungsjahr fest im Sattel, heißt es in der CDU. Im November wurde sie auf dem Parteitag in Karlsruhe mit 90 Prozent zur Vorsitzenden wiedergewählt. Und auch der Politstar des Jahres, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), dürfte ihr erst einmal nicht gefährlich werden. Ihm werden zwar Chancen auf das Kanzleramt eingeräumt - fragt sich nur, in welchem Jahr. Denn amtsmüde ist Merkel nicht.

Kristina Dunz, dpa

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