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Flughafen Wien gelassen

Vielen europäischen Flughäfen drohen in der kommenden Woche offenbar massive Engpässe bei Enteisungsmitteln. Der Schweizer Spezialchemiekonzern Clariant wird voraussichtlich vom 1. bis 4. Jänner die Produktion unterbrechen müssen, wie ein Unternehmenssprecher am Donnerstag sagte.

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Grund seien Lieferschwierigkeiten der Hersteller von Glykol, einem Grundstoff der Enteisungsmittel, Ursache sei die derzeit hohe Nachfrage. Seit Oktober 2010 produziere das Unternehmen für rund 100 Flughäfen in Europa rund um die Uhr. Allein im Dezember sei die Produktion von Enteisungsmitteln gegenüber dem Vorjahr um die Hälfte gesteigert worden, betonte Clariant.

Gelassen sah man die Situation auf dem Flughafen Wien. Man erwarte keine Probleme. „Wir haben vorgesorgt und ausreichend Enteisungsmittel zur Verfügung“, sagte Sprecher Peter Kleemann am Donnerstagnachmittag auf Anfrage der APA.

Der Produktionsstopp könne „je nach Wetterlage und Vorratsmengen der Flughäfen zu erneuten Beeinträchtigungen im europäischen Flugverkehr führen“, hieß es bei Clariant. Weiter sagte der Sprecher, dass nun in engem Kontakt mit den Flughäfen versucht werde, das „vorhandene Material bedarfsgerecht einzusetzen“. Vor allem in Deutschland - wo wegen heftiger Schneefälle zu Weihnachten bereits ein Chaos ausbrach - droht wegen der eisigen Temperaturen neuer Wirbel im Flugverkehr.

Europas Marktführer

Clariant ist nach eigenen Angaben Marktführer in Europa. Die Firma stellt Enteisungsmittel für Flugzeuge und für Landebahnen her.

Vorrang für große Flughäfen

Derzeit gebe es aber keine Erkenntnisse, dass der Flugverkehr zum Erliegen kommen werde. Wegen der aktuell strengen Witterung gebe es jedoch auch Flughäfen, die derzeit täglich drei Viertel ihrer Lagerkapazitäten an Enteisungsmitteln einsetzen müssten. In Notfällen sei aber denkbar, Aiports mit Langstreckenverkehr bevorzugt mit Einteisungsmitteln zu versorgen, sagte der Clariant-Sprecher weiter. Moderne Flughäfen verfügten darüber hinaus über eigene Recyclingsysteme. Dabei könnten bis zu 40 Prozent der zur Flugzeugenteisung eingesetzten Mittel wiederverwendet werden.

Die britische Konkurrenzfirma Kilfrost erklärte in Newcastle-upon-Tyne, ihre Produktionsanlagen liefen auf Hochtouren. Sie werde ihre angestammten Kunden bevorzugt beliefern, aber auch versuchen, auszuhelfen, wenn das möglich sei.

„Nichts mehr verfügbar“

Der Markt sei leer, sagt auch Bereichsleiter Fried Hansen vom Hamburger Chemiegroßhandel Helm AG. Er habe versucht, bei allen Chemieunternehmen im In- und Ausland die Substanz zu bekommen. „Es ist nichts mehr verfügbar. Deshalb sind wir komplett ausverkauft. Die Preise sind im Einkauf schon jetzt um 50 Prozent gestiegen. Wir rechnen erst Mitte Jänner mit einer neuen Lieferung. Bis dahin wird man mit dem vorhandenen Reserven auskommen müssen.“

Für die Flughäfen wird es vor allem darauf ankommen, wie sich das Wetter in den kommenden Wochen entwickelt. Grimmige Kälte mit zweistelligen Minusgraden allein ist nicht so schlimm, da in diesem Fall meist eine einfache Enteisung kurz vor dem Start ausreichend ist. Schneit es hingegen dauerhaft, muss die Flugzeughülle vor erneuter Eisbildung mit einer zweiten Schicht geschützt werden, die erst während des Startvorgangs abreißt. Dieses grün eingefärbte Material ist weit zäher als das dünnflüssige rote Enteisungsmittel, was zunächst gesprüht wird.

„Haben das Zeug einfach nicht runtergekriegt“

„Am schlimmsten ist nasser Schnee“, sagt Clariant-Sprecher Ulrich Nies. Wenn der noch auf extrem kaltes Metall fällt und festpappt, wird die Reinigung kompliziert und langwierig: „Wir haben das Zeug einfach nicht runtergekriegt. Eine Enteisung hat im Schnitt 53 statt 12 Minuten gedauert“, erläutert Wolfhard Gräf, Chef der Spezialfirma „N*Ice“, einer Tochter des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport von den Zuständen Ende November. Die benötigte Menge pro Reinigung habe sich unter den schlechten Bedingungen verdreifacht. Nicht wenige Flieger mussten auch noch eine zweite Enteisungsrunde drehen, weil sie die Startzeit verpassten und bis zum Ablauf der Vorhaltezeit keinen neue Startgenehmigung erhalten hatten.

Vorwarnung für Airports

Unterdessen hat der deutsch-österreichisch-schweizerische Flughafenverband ADV seinen Mitgliedern mitgeteilt, dass „ein ‚Leerlaufen‘ von mehreren Flughäfen nicht auszuschließen“ sei. Betroffen wäre davon in Österreich wegen der zahlreichen internationalen Verbindungen wohl kaum Wien Schwechat, kleinere Flughäfen in den Landeshauptstädten könnte es möglicherweise aber treffen, sollten sie nicht genügend Enteisungsmittel auf Lager haben und die Kältewelle weiter andauern.

In dem Schreiben werden die Flughäfen aufgefordert, den Verband zu informieren, wenn „in der nächsten Woche aufgrund von möglichen Versorgungslücken Betriebsschließungen bzw. Beeinträchtigungen“ zu befürchten seien. Insgesamt sprach der Verband von besorgniserregenden Nachrichten. Allerdings gehe es dem Verband „nicht um vorauseilende Meldungen, die Unsicherheit bei Passagieren und Airlines hervorrufen“.

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