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Die Santa-Claus-App

Das Verhältnis vieler US-Amerikaner zu Weihnachten ist ein spezielles. In TV-Komödien wird das Vorurteil der Vorstadtbewohner mit absurd geschmückten Häusern und wochenlangen Festvorbereitungen gepflegt. Wer schon jemals zur Weihnachtszeit die USA bereist hat, weiß: Die Realität überholt die Fiktion gnadenlos.

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In riesigen Weihnachtsshops kann man das ganze Jahr über Christbaumschmuck und ähnlichen Kitsch kaufen. Der Advent wird auf zwei Monate ausgedehnt. Vor allem aber ist der Weihnachtsmann allgegenwärtig. Weihnachtsmannpuppen klettern auf Häuser, Weihnachtsmänner lassen dort, wo es aus Angst vor lüsternen Pädophilen noch nicht verboten ist, Kinder für Fotos in Shoppingcentern auf ihrem Schoß sitzen.

Und Coca-Cola, die mit ihren Werbefeldzügen das Bild des Weihnachtsmannes (entscheidend geprägt 1863 vom Zeichner und Journalisten Thomas Nast) seit den 1920er Jahren weltweit verbreiten, pflastert alle Medien, vom Plakat bis zur News-Website, mit dem Konterfei des schnapsnasigen Mützenträgers zu.

Wenn der „Nordpol“ anruft

Damit Kinder trotz dieser kommerziellen Auswüchse möglichst lange an den Weihnachtsmann glauben - und das ist das unhinterfragte Ziel in vielen Familien -, muss man sich bereits einiges einfallen lassen. Die moderne Informationstechnologie liefert brauchbare Lösungen, das „Wall Street Journal“ hat sie zusammengetragen. Ein Vater berichtet, dass er im Telefonbuch seines Handys den Namen eines Freundes in „North Pole“ geändert habe. Vor Weihnachten kommt der Anruf, dem Kind wird das Display gezeigt. Der Beweis spricht dafür, dass tatsächlich Santa Claus anruft.

Eine Mutter sagt, sie hat mit Hilfe eines Fotobearbeitungsprogrammes einen kletternden Santa auf das Haus der Familie montiert, das Bild der ältesten Tochter gemailt, und die war dann dazu angehalten, es ihren kleinen Geschwistern am Weihnachtsmorgen zu zeigen. Eine andere Mutter schickte von einer „Christmas“-E-Mail-Adresse aus ein Mail an den fünfjährigen Sohn. Im Jahr darauf bestand er bereits darauf, seine Wunschliste dem Santa zu mailen.

Verwackeltes Infrarotvideo

Der Vater eines zehnjährigen Buben glaubte, sich besonders anstrengen zu müssen. Er beschloss, gemeinsam mit seiner Frau ein „Big Foot“-ähnliches Beweisvideo zu drehen, verwackelt und im Infrarotmodus. Die beiden legten sich ins Zeug, schrien vor Aufregung ins Mikro. Ein Nachbar huschte durchs körnige Bild. Direkt nach der Aufnahme wurde der Sohn geholt, auf dem Video hört man noch den Ruf nach ihm. Der Bub raste im Spiderman-Pyjama die Stiegen herunter und schaute sich das Video an. Es scheint ihn überzeugt zu haben.

Im finnischen „Santa Claus Village“

Eine wunderschöne Weihnachtsgeschichte (Empfehlung) hat Jason Wilson verfasst. Er ist Saufkolumnist der „Washington Post“ und also solcher kommt er viel in der Welt herum. In Portugal trinkt er Portwein, in Schottland verkostet er Whisky und so weiter. Das heißt, sagt er selbst, er ist ein beschissener Vater - ständig beduselt und dauernd verreist. Aus schlechtem Gewissen hat er sich entschieden, mit seinem Sohn ins finnische „Santa Claus Village“ zu reisen und ihm dort das wunderbarste Weihnachten zu bescheren, weil der Bub den „echten“ Weihnachtsmann trifft und somit alle Zweifel an dessen Existenz ausgeräumt werden.

Nach dem Treffen gab es für 30 Euro Beweisfotos mit dem Weihnachtsmann (Kind: verängstigt), für 40 Euro Bärenfleischbällchen und für noch einmal so viel Geld eine achtminütige Schlittenfahrt, von der kostspieligen Reise ganz zu schweigen. Warum tun sich Eltern so viel an wegen Santa Claus? Wilson erklärt es (neben dem schlechten Gewissen) mit der Tradition. Schon seine Eltern hätten das Familienhaus extra so bauen lassen, dass das Wohnzimmer in einer Ecke zweigeschoßig ist - nur, damit genug Platz für einen Riesenchristbaum ist.

Verräterischer Blog der Mutter

Aber es müssen ja nicht gleich das Ewige Eis und ein adaptiertes Wohnhaus sein. Es gibt eigene Onlineshops, bei denen man „Beweise“ für die Existenz des Weihnachtsmannes bestellen kann. Eine Mutter berichtet, dass sie einen Schlittenführerschein und einen Handschuh Santas vor dem Haus drapiert habe. Die neunjährige Tochter bestand darauf, die Sachen via UPS an den Santa zurückzusenden. Der Mutter gefiel das so gut, dass sie die Story auf ihrem Blog erzählte. Im Jahr darauf wollte sie es noch einmal versuchen. Die Reaktion der Tochter: „Ist schon gut, Mama, ich hab’ die Geschichte in Deinem Blog gelesen.“

Für einen anderen Webservice wurde ein Santa-Darsteller engagiert. Er posiert in 150 unterschiedlichen Stellungen. Man kann ihn dann in ein Bild der eigenen Wohnung oder des eigenen Hauses montieren. Selbstverständlich gibt es auch eine ähnliche iPhone-App, mit dem man die kindliche Illusion perfekt machen kann.

Der Weihnachtsmann im Nacktscanner

Wenn die Kinder dann irgendwann einmal doch draufkommen, dass es keinen Weihnachtsmann gibt, haben sie zumindest eine wichtige Lektion gelernt: Man kann Bildern (und Erwachsenen) heute nicht mehr trauen. Aber wer weiß. Ein Top-IT-Experte, der namentlich nicht genannt werden will, weil er Angst vor Verfolgung durch Elfen, enttäuschte Kids und erboste Eltern befürchtet, sagt: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis bei WikiLeaks ein Nacktscannerbild des Weihnachtsmannes auftaucht.“ Solange keine Protokolle von Gesprächen auftauchen, in denen er sich über gutgläubige Zwölfjährige lustig macht ...

Simon Hadler, ORF.at

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