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Vermarktung über den Tod hinaus

Sein Name steht für das Lebensgefühl einer Generation und für einige der bekanntesten Lieder unserer Zeit. Er steht auch für einzigartigen Erfolg, für private Verzweiflung und Verwirrung: John Lennon wurde am Mittwoch vor 30 Jahren in seiner zweiten Heimat New York von einem psychisch Kranken erschossen.

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Lennon, der als der „intellektuelle Beatle“ gilt und gemeinsam mit Paul McCartney viele Hits schrieb, war nicht nur als Mitglied des weltberühmten Quartetts kreativ. So wie er schon während der Beatles-Zeit viele Titel allein komponierte, schuf er auch danach noch Bleibendes: 1969, bereits mit der Plastic Ono Band, die Friedenshymne „Give Peace A Chance“ und 1971 das ruhige und machtvolle Lied „Imagine“.

John Lennon gibt Mark David Chapman ein Autogramm

APA/dpa

Bevor er erschossen wurde, gab John Lennon seinem Mörder ein Autogramm.

Als der erklärte Pazifist am 8. Dezember 1980 vor seiner Haustüre von einem fanatischen Anhänger erschossen wurde, löste die Nachricht auf der ganzen Welt Bestürzung und Trauer aus. Gleichzeitig entstand ein wahrer Kult um Lennons gewaltsames Ende. Es gab Selbstmorde von Fans, und ein Leichenhallen-Bediensteter ließ sich sogar dazu verleiten, den Toten insgeheim zu fotografieren - und eine Zeitung dazu, für die Bilder 100.000 Dollar zu zahlen.

Tote Künstler verkaufen sich

Vor allem aber bewahrheitete sich die zynische Weisheit: Tote Künstler verkaufen sich. Lennons letztes Album „Double Fantasy“, einen Monat vor seinem Tod erschienen, hatte nur gemischte Kritiken bekommen und anfangs wenig beeindruckende Verkaufszahlen aufzuweisen. Unmittelbar nach dem Mord fand sich das Album jedoch auf Platz 24 der Verkaufshitparade und schaffte es schließlich auf Platz eins. Die Single „(Just Like) Starting Over“ wurde zur erfolgreichsten Single in Lennons Karriere - weit erfolgreicher etwa als „Imagine“.

Postum wurde Lennon für das Album außerdem der begehrte Musikpreis Grammy verliehen. Den Preis nahm damals seine Witwe Yoko Ono für ihn entgegen. Sie hatte auch in allen Jahren nachher allein das Sagen über die Verwaltung von Lennons musikalischem Erbe.

Imagine mosaik in Strawberry Fields im Central Park, New York City

Reuters/Keith Bedford

Am Strawberry-Fields-Denkmal im New Yorker Central Park versammeln sich jedes Jahr an Lennons Todestag Hunderte Menschen.

Coverversionen von Tokio Hotel und Green Day

Die 77-Jährige Ono zog seit Lennons Tod alle Register, um Musik und Andenken ihres Mannes wachzuhalten. Für Sammler mit bibliophilem Anspruch gab sie 1998 eine „Anthology“ mit unveröffentlichten und seltenen Aufnahmen heraus, Lennons Soloalbum „Imagine“ ließ sie 2000 digitalisieren und zusammen mit dem Film „Gimme Some Truth“ veröffentlichen. Für das Darfur-Hilfsprojekt „Make Some Noise“ stellte sie 2007 Lennons Lieder für Cover-Versionen zur Verfügung, die von Dutzenden Künstlern wie Tokio Hotel, Green Day, Jack Johnson und Christina Aguilera eingespielt wurden.

Auch im Lennon-Jahr 2010 ist Ono wieder als Handlungsreisende in Sachen John Lennon unterwegs: In ihrem Produktkoffer hat sie das „Signature Box Set“ mit allen acht remasterten Studioalben und zwei weiteren CDs, einer Hitkollektion namens „Power To The People“, vier thematisch zusammengestellte CDs unter dem Titel „Gimme Some Truth“ sowie das letzte Album „Double Fantasy“ in einer „Stripped down“-Version.

121 Lieder seien neu von den Mastertapes abgemischt worden und sollen der Musik Lennons auch ein neues Publikum erschließen, sagt Ono. Bei der auf die wesentliche Instrumentierung reduzierten „Double Fantasy“-Version komme nun Lennons markante Stimme noch viel besser zur Geltung. Was sie nicht sagt: ihre auch, denn sie singt die Hälfte der Lieder.

TV-Hinweis:

3sat zeigt am 8. Dezember ab 20.15 Uhr Dokumentationen und Spielfilme über und mit John Lennon.

Radiohinweis

Ö1 sendet am 10. Dezember von 22.30 bis 2.00 Uhr unter dem Titel „Spielräume - Nachtausgabe“ Beiträge über das Phänomen Lennon. Auf Ö3 wird am 8. Dezember der „Ö3-Wecker“ über den Musiker berichten, bei FM4 sind am gleichen Tag das gesamte Programm hindurch Beiträge zu den Beatles zu hören. Auf Radio Wien diskutiert Alexander Goebel am Mittwoch von 19.00 bis 21.00 Uhr mit den Hörern über den 8. Dezember 1980.

Anti-Kriegsdemonstrationen in Hotelbetten

Doch Lennon schrieb nicht nur Musik, er veröffentlichte auch Bücher und war in Filmen zu sehen. Und er war eines der ersten Popidole, die ihre Berühmtheit offen für politische Ziele einsetzten: Legendär ist etwa die „Bed-in“-Aktion für den Weltfrieden mit Yoko Ono 1969 in Amsterdam, bei der sich der Beatle und die japanische Konzeptkünstlerin kurz nach ihrer Hochzeit eine Woche lang Tag für Tag im Bett der Präsidenten-Suite des Hilton-Hotels der Weltpresse präsentierten.

Das politische Engagement und vor allem der alle Vorstellungen des 20. Jahrhunderts sprengende Beatles-Ruhm ließen Lennon zu einer mythischen Figur werden, die weit mehr als ein „gewöhnlicher“ Star Lebenseinstellungen und -entwürfe prägte. In dem Jahr, in dem man seinen 70. Geburtstag hätte feiern wollen, muss man stattdessen an seinen Tod vor 30 Jahren denken. Doch Lennon hatte vorausgesehen, dass er als Star nicht im Bett sterben sollte: „Entweder es erwischt uns bei einem Flugzeugabsturz“, hatte er schon 1965 gesagt, „oder irgendein Irrer knallt uns ab.“

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