Ganzer Schaden noch nicht abzuschätzen
Ausländische Regierungen haben mehrheitlich empört auf die jüngsten Enthüllungen des Internetportals WikiLeaks reagiert. Weniger der Inhalt als vielmehr die Veröffentlichung teils geheimer Dokumente des US-Außenministeriums wurden verurteilt. Der italienische Außenminister Franco Frattini etwa sagte, die Veröffentlichungen seien „der 11. September für die Weltdiplomatie“.
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WikiLeaks-Gründer Julian Assange wolle „die Welt zerstören“, so Frattini weiter. Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der laut Berichten der britischen Zeitung „Guardian“ als „inkompetent, aufgeblasen und ineffektiv“ und mit einer Vorliebe für Partys beschrieben wird, nahm es offenbar mit Humor.
Er habe „gut gelacht“, meldete die italienische Nachrichtenagentur ANSA am Sonntag unter Berufung auf Vertraute Berlusconis. „Ich nehme nicht an wilden Partys teil, ich weiß nicht einmal, was diese sein sollten“, betonte Berlusconi am Rande des EU-Afrika-Gipfeltreffens am Montag in Tripolis. Die WikiLeaks-Enthüllungen würden auf Informationen von „Funktionären dritten Grades“ basieren, die schon längst von linksorientierten Medien veröffentlicht worden seien.
Schäuble: „Ganz schlimm und unappetitlich“
Viele Politiker erachteten die Enthüllungen als „widerwärtig“, so der finnische Außenminister Alexander Stubb. Als „ganz schlimm und unappetitlich“ wertete der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Enthüllungen. Weniger scharf urteilte die EU. Eine Sprecherin der EU-Außenpolitikbeauftragten Catherine Ashton sagte am Montag in Brüssel: „Wir nehmen das zur Kenntnis, aber wir haben dazu keinen Kommentar.“
Clinton: „Angriff auf internationale Gemeinschaft“
Die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton kündigte „aggressive Schritte“ gegen jene undichte Stelle im US-Regierungsapparat an, die WikiLeaks Hunderttausende vertrauliche Dokumente zuspielte. Die USA bedauerten zutiefst die entstandene Peinlichkeit, sagte Clinton am Montag in Washington. Die Veröffentlichung der Dokumente sei ein Angriff auf Amerika und die internationale Gemeinschaft.
Israel fühlt sich in Iran-Einschätzung bestätigt
Die israelische Regierung erklärte, die Veröffentlichungen zeigten, dass die arabische Welt ihre Einschätzung des iranischen Atomprogramms teile. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte: „Zum ersten Mal in der Geschichte herrscht Einigkeit in der Region (...), dass die Hauptbedrohung der Iran und seine Aufrüstung sind.“ Er bezog sich dabei auf Dokumente, nach denen mehrere arabische Länder den Iran als Gefahr bezeichneten und sogar US-Luftangriffe auf iranische Atomanlagen forderten.
Der iranische Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad seinerseits bezeichnete die veröffentlichten Dokumente als wertlos. „Diese Dokumente verfolgen bestimmte politische Ziele. Sie sind eine gewisse Art von Geheimdienstspiel und haben deshalb keine einzige legale Grundlage“, sagte Ahmadinedschad bei einer Pressekonferenz in Teheran.
Russland: „Nichts Interessantes“
Der irakische Außenminister Hoschijar Sebari wollte sich am Montag nicht zu Einzelheiten äußern, sondern bezeichnete die Veröffentlichung lediglich als unpassend und nicht hilfreich. In den Dokumenten äußerten sich US-Vertreter unter anderem besorgt über den iranischen Einfluss im Irak.
Zurückhaltend gab sich auch Russland. Der Kreml betonte am Montagnachmittag, in den WikiLeaks-Dokumenten sei „nichts Interessantes“ enthalten. „Erfundene Hollywood-Figuren verdienen kaum einen Kommentar“, sagte Natalia Timakowa, Sprecherin des russischen Präsidenten Dimitri Medwedew, laut russischer Nachrichtenagentur RIA Novosti. In den diplomatischen Depeschen wird der russische Regierungschef Wladimir Putin mit Batman und Medwedew mit Robin verglichen.
Türkei will Unterlagen prüfen
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete die Ernsthaftigkeit von WikiLeaks als fragwürdig. Seine Regierung werde die Unterlagen aber prüfen, sagte Erdogan am Montag in Istanbul. Das Urteil der US-Diplomaten über den NATO-Partner mit der zweitgrößten Bündnisarmee sei insgesamt verheerend, meldete der „Spiegel“. Die türkische Führung sei zerstritten. Außenminister Ahmet Davutoglu würde islamistischen Einfluss auf Erdogan ausüben.
Karzai-Sprecher: Kritik „nicht neu“
Afghanistan bezeichnete die Veröffentlichung zwar als „unglücklich“, gab sich aber wenig beeindruckt angesichts der Einschätzung von Präsident Hamid Karzai als „schwache Persönlichkeit“, die von „Paranoia“ getrieben werde. Derlei Kritik sei „nicht neu“, sagte Präsidentensprecher Wahid Omer. Auf die Beziehungen Kabuls zu Washington hätten die Depeschen keinen Einfluss. Pakistan beurteilte die Enthüllungen als verantwortungslos, wie ein Sprecher des pakistanischen Außenministeriums sagte.
Empörung in Frankreich
Die französische Regierung verurteilte die Veröffentlichung scharf. Das könne die Stabilität internationaler Beziehungen beeinträchtigen und die Sicherheit einzelner Personen gefährden, sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Montag in Paris. „Es handelt sich um einen Angriff auf die Souveränität der Staaten und auf ihr Korrespondenzgeheimnis“, betonte er. Die Regierung werde die Zitate französischer Politiker in den Dokumenten keinesfalls bestätigen. Regierungssprecher Francois Baroin sprach der US-Regierung die Solidarität Frankreichs aus.
Die Opposition sieht in den Depeschen, in denen etwa Präsident Nicolas Sarkozy als „empfindlich und autoritär“ eingestuft wird, keine Enthüllungen. „Es gibt kein Geheimnis, das man nicht schon kannte“, sagte Grünen-Chef Daniel Cohn-Bendit.
Schweden: „Schaden für Diplomatie weltweit“
Großbritannien kritisierte die „nicht autorisierte Veröffentlichung“ scharf. „Diese können der nationalen Sicherheit schaden, sind nicht im nationalen Interesse und können, wie von den USA angemerkt, lebensbedrohlich sein“, erklärte das Außenministerium. Premierminister David Cameron sicherte den USA weiterhin eine enge Zusammenarbeit zu. Schwedens Außenminister Carl Bildt griff WikiLeaks direkt an. Er befürchtet einen Schaden nicht nur für die US-Diplomatie, sondern für die Diplomatie weltweit.
Die schwedische Justiz lässt international nach WikiLeaks-Gründer Assange fahnden. Gegen ihn wird dort wegen des Verdachts der Vergewaltigung und sexueller Nötigung von zwei Frauen ermittelt. Die australische Polizei nahm wegen der Veröffentlichungen Ermittlungen gegen den 1971 geborenen Australier Assange auf. „Wir glauben, dass es eine Reihe von Gesetzesverstößen gegeben haben könnte“, sagte Generalstaatsanwalt Robert McClelland am Montag in Canberra. Wo sich Assange derzeit aufhält, ist nicht bekannt.
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