Themenüberblick

Unzufriedenheit mit Regime steigt

Seit fast 30 Jahren ist der ägyptische Präsident Hosni Mubarak mit seiner Nationaldemokratischen Partei (NPD) an der Macht. Die Parlamentswahl am Sonntag wird daran wenig ändern. Gesundheitlich geschwächt bringt sich Mubarak dennoch schon jetzt in Stellung für die Präsidentschaftswahl im Herbst 2011. Er wolle dem Land „bis zum letzten Atemzug dienen“.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Offizielle Klärung soll der Parteitag bringen, der aber - nicht zuletzt, um Flügelkämpfe in der Partei zu verhindern - auf Ende Dezember verschoben wurde. Die Unzufriedenheit mit dem Regime Mubarak wächst jedenfalls. Die vergangenen Monate waren geprägt von Straßenprotesten - weniger wegen politischer Reformen, sondern wegen Problemen im Alltag: hohe Lebensmittelpreise, niedrige Löhne und Arbeitslosigkeit. Dass die wirtschaftlichen Reformen nicht bei allen Ägyptern angekommen seien, gestand Mubarak vor kurzem selbst ein.

Nervosität vor Präsidentschaftswahl

Entsprechend nervös reagierte das Regime vor der Wahl. Es will mit allen Mitteln verhindern, dass die Opposition nicht mehr zu kontrollieren ist. Der Widerstand gegen die größte Oppositionsgruppe, die Muslimbrüder, ist besonders stark. Einige ihrer Kandidaten wurden im letzten Moment disqualifiziert, Hunderte Anhänger wurden festgenommen. Die Muslimbruderschaft holte bei der Parlamentswahl 2005 ein Fünftel der 508 Sitze.

Muslimbruderschaft

Die Muslimbruderschaft wurde 1928 von Hassan al-Banna gegründet. Sie folgt der Devise: „Gott ist unser Ziel, der Koran ist unsere Verfassung.“ 1954 wurde die Bewegung verboten.

Da die Bruderschaft offiziell verboten ist, werden ihre Mitglieder als „Unabhängige“ gewählt. Das ermöglicht dem Regime auch, Muslimbrüder jederzeit wegen „Mitgliedschaft in einer verbotenen Vereinigung“ festzunehmen. Seit 1981 herrscht Ausnahmezustand in Ägypten. Die Notstandsgesetze räumen der Polizei weitgehende Befugnisse zur Festnahme von Personen ein und ermöglichen, diese ohne Anklage auf unbestimmte Zeit festzuhalten.

Nun beantragte die NPD bei der Generalstaatsanwaltschaft, die Kandidatur von Vertretern der Muslimbruderschaft als „Unabhängige“ für unrechtmäßig zu erklären. Denn das sei eine „unverhohlene Kampfansage“ an die Verfassung und ein „Verstoß gegen die Wahlgesetze“.

„Je unpopulärer, desto autoritärer“

„Das Regime reagiert unerklärlicherweise angespannt, obwohl es keinen wirklichen Herausforderungen gegenübersteht“, analysiert Bahaaddin Hassan, Chef des Instituts für Menschenrechtsstudien in Kairo, gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Er vermutet einen Zusammenhang mit der bevorstehenden Präsidentschaftswahl. Denn es gebe keine Garantie, dass Mubarak bei einem Antreten eine ganze Amtszeit durchhalte. „Es gibt kein minimales Übereinkommen innerhalb der Partei, wer ihm nachfolgen sollte“, so Hassan. „Das ist eine Quelle von Angst und Besorgnis.“

Ex-IAEA-Chef ElBaradei

AP/Nasser Nasser

Ex-IAEA-Chef ElBaradei

Ähnlich sieht das der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Mohammed ElBaradei: „Je unpopulärer dieses Regime wird, je mehr es merkt, wie verhasst es ist, desto autoritärer wird es“, kritisierte der ägyptische Ex-Diplomat in einem Interview mit dem „Kurier“ Ende Oktober. ElBaradei galt nach seiner Rückkehr als Hoffnungsträger der Opposition. Diese Erwartungen wurden mittlerweile enttäuscht. Seine Bemühungen, das Wahlrecht zu reformieren und mehr politische Freiheiten durchzusetzen, liefen ins Leere.

Opposition uneinig

Geschlossene Einigkeit gibt es bei der Opposition nicht. Denn während sich die Muslimbrüder der Wahl stellen wollen, wird diese von den säkularen Oppositionsgruppen rund um ElBaradei und den früheren Präsidentschaftskandidaten Aiman Nur, Vorsitzender der Ghad-Partei, boykottiert. Nur hatte bei der Präsidentschaftswahl 2005 offiziell 7,6 Prozent der Stimmen erhalten und wurde kurz darauf zu fünf Jahren Haft verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, Unterschriften für seine Registrierung gefälscht zu haben.

Das Durchbrechen des Wahlboykotts kritisiert Nur im Interview mit dem Nahost-Kenner Robert Fisk für den „Independent“. Durch die Teilnahme an der Wahl werde diese legitimiert. Nur bekräftigt die Sinnlosigkeit der Wahl mit einem Zitat Mubaraks. Demnach soll er, nachdem ihm das Ergebnis nach der Präsidentschaftswahl mit 99 Prozent der Stimmen übermittelt worden war, gesagt haben: „Das ist viel zu viel - reduziert es ein bisschen.“

„Traum der Armen“

Fraglich ist, wie lange der 82-Jährige Mubarak seine sechste Amtszeit durchhält, sollte er noch einmal antreten. Seit längerem wird über einen Machtwechsel spekuliert. Die Favoritenrolle hat Mubaraks Sohn Gamal, der als stellvertretender NDP-Chef schon länger in den innenpolitischen Prozess eingebunden ist, aber dem als ausgebildeter Investmentbanker der Rückhalt im Militär fehlt. Seit Anfang der 50er Jahre stammte jeder Präsident aus der Armee.

Trotz Kampagnen, die auf seine Person zugeschnitten sind, ist Gamal Mubarak wenig populär. Im Sommer etwa wurde er als „Traum der Armen“ auf Plakaten präsentiert - als „Versuchsballon für Gamals Popularität auf der Straße“, so ein Unterstützer. Die NPD betonte aber, nichts mit der Kampagne für den 46-Jährigen zu tun zu haben.

Keine Chance für unabhängige Kandidaten

„Ich habe wenig über einen Mann zu sagen, der keine besonderen Merkmale, kein Charisma hat. Ein Mann, der sich noch nie einer Wahl gestellt hat, der aber dennoch ein Führer, ein verfassungswidriger Entscheidungsträger ist“, kann auch Mubarak-Herausforderer Nur Mubaraks Sohn im „Independent“-Interview nichts Positives abgewinnen.

Selbst die NDP ist gespalten in ihren Positionen Gamal Mubarak gegenüber. Als mögliche Nachfolger, die für eine Zwischenperiode Mubarak nachfolgen könnten, werden auch der mächtige Chef der Geheimpolizei, Omar Suleiman, und hochrangige Militärvertreter ins Spiel gebracht. Für unabhängige Kandidaten wie etwa den ursprünglich als Hoffnungsträger nach Ägypten zurückgekehrten ElBaradei ist ein Antreten nahezu unmöglich. Sie dürfen laut den 2005 geänderten Verfassungsbestimmungen nicht kandidieren.

Links: