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Müllnotstand am Vesuv

Kaum zwei Jahre nach der bisher letzten Müllkrise, die die Regierung Berlusconi erst durch den Einsatz des Heeres bewältigte, erstickt der Großraum Neapel neuerlich im Abfall. Seit September ist die Müllentsorgung im gesamten Ballungsraum der Millionenstadt wieder zum Problem Nummer eins aufgerückt.

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Anrainerproteste gegen den Bau neuer Deponien sorgen für ständige Spannungen. Seit 20 Jahren ist Neapel mit der Dauerkrise konfrontiert. Im Folgenden eine Chronologie:

1990: Die Stadt Neapel überträgt fünf privaten Firmen die Aufgaben der völlig überforderten städtischen Dienste für Müllabfuhr und Stadtreinigung. Nach Bekanntwerden der Auftragsvergabe wird der für die Müllreform verantwortliche Beamte Antonio Cigliano mit Morddrohungen konfrontiert. Überfälle auf die private Müllabfuhr beginnen sich zu häufen. Die Polizei vermutet hinter diesen Aktivitäten die Camorra, die schon seit langer Zeit im Kampf um Zuschläge bei öffentlichen Ausschreibungen mitmischt. 190 Müllwagen müssen unter Polizeischutz gestellt werden.

1994: Die Regierung in Rom ernennt einen Kommissär zur Bewältigung der Probleme bei der Müllentsorgung im Großraum Neapel. Mehrere private Deponien werden konfisziert und unter Aufsicht des Instituts für Atom- und alternative Energien (ENEA) gestellt.

1998: Der Präsident der Region Kampanien, Antonio Rastrelli, schreibt einen Bewerb für die Privatisierung der Müllentsorgung im Großraum Neapel aus. Den Auftrag erhält ein Konsortium von Privatunternehmen, zu dem die italienische Baugesellschaft Impregilo und die deutsche Babcock gehören. Das Konsortium verpflichtet sich zur Errichtung zweier Müllverbrennungsanlagen und mehrerer Deponien. Die Pläne werden jedoch nicht umgesetzt. Stattdessen wird der Hausmüll, der nicht auf Deponien wandert, zu Ökoballen gepresst, die im Boden vergraben oder in Steinbrüche und stillgelegte Industrieanlagen geworfen werden.

2001: Zwei Deponien, in denen die Abfälle einer Region mit zwei Millionen Einwohnern landeten, werden gesperrt. Während die Behörden streiten, wo man die neuen Entsorgungsanlagen errichten soll, werden die Straßen zu Müllhalden. Um den Notstand zu bewältigen, werden 1.000 Tonnen Abfall pro Tag zur Entsorgung nach Norditalien sowie nach Deutschland geschickt. Ein Teil des Mülls landet auch im steirischen Frohnleiten.

2004: Die Einwohner von Ariano Irpino in Kampanien protestieren wochenlang gegen die beschlossene Wiedereröffnung einer Mülldeponie, in der sich stark umweltbelastende und krebserregende Substanzen befinden. Krawalle zwischen Demonstranten und Polizisten brechen aus. Proteste gibt es auch gegen den geplanten Bau einer Verbrennungslage in Acerra bei Neapel. Die Einwohner behaupten, dass die Gase, die durch die Verbrennung entstehen, die Umwelt stark belasten. Umweltaktivisten warnen besonders vor der Gefahr durch Dioxin.

2006: Wegen der Schließung mehrerer Deponien bricht der Müllnotstand wieder aus. Unrat türmt sich wochenlang auf den Straßen, aufgebrachte Bürger setzen die Müllberge in Brand. Im Oktober liegen 7.000 Tonnen Müll unentsorgt herum. Mehrere Schulen in Neapel bleiben wegen des Notstands gesperrt. Auch Märkte und Ämter werden geschlossen.

2008: Im Jänner eskalieren Bürgerproteste gegen die Wiedereröffnung einer Mülldeponie im westlichen Vorort Pianura. Aus Protest gegen die Nutzung der Anlage, die zwölf Jahre lang geschlossen war, bricht eine Revolte aus. Die Anrainer wollen aus Angst vor Gestank und giftigen, dioxinhaltigen Gasen eine Wiedereröffnung um jeden Preis verhindern. Zeitweise liegen in der Region Kampanien bis zu 100.000 Tonnen stinkender Müll auf den Straßen. Bilder davon gehen um die Welt. Wegen fehlender Deponien und bürokratischer Hürden wird das Problem nicht bewältigt. Im Juli setzt die Regierung Berlusconi 1.000 Soldaten zur Räumung der Straßen ein. Das Militär soll auch die Deponien vor Anrainerprotesten schützen. Die Regierung veröffentlicht eine Liste mit Standorten, an denen neue Deponien entstehen sollen.

2009: Regierungschef Silvio Berlusconi eröffnet im März eine neue Verbrennungsanlage in der Gemeinde Acerra und erklärt den Notstand für beendet. In der Anlage, die von der lombardischen Gesellschaft A2A errichtet wurde, sollen 600.000 Tonnen Müll pro Jahr verbrannt und dadurch Strom gewonnen werden.

September 2010: Der Müllstreit flammt wieder auf. Die Bewohner des 20 Kilometer südöstlich von Neapel gelegenen Terzigno protestieren seit Wochen täglich gegen die ihrer Ansicht nach beinahe überfüllte Mülldeponie. Zudem lehnen sie den Bau einer zweiten Deponie in ihrer Gemeinde unweit des geschützten Vesuv-Nationalparks ab. Mit Steinwürfen und Blockaden versuchen die Demonstranten zu verhindern, dass der Abfall aus Neapel in der Deponie in Terzigno gelagert wird. Mittlerweile türmen sich über 8.000 Tonnen Müll im Ballungsraum in der Vesuv-Stadt.

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