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Spoerris bewegte Biografie

Daniel Spoerri, einer der Begründer des Nouveau Realisme, hat unlängst seinen 80. Geburtstag gefeiert. Er lebt seit 2007 in Wien. Im niederösterreichischen Hadersdorf am Kamp setzte er sich ein lebendiges Denkmal.

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Wenn man dort auf dem renovierten und herausgeputzten Hauptplatz eintrifft, fallen zwei Gebäude auf. Das ehemalige Kloster trägt ein großes, weißes Banner, auf dem in schwarzen Lettern „Ausstellungshaus“ zu lesen ist. Ein paar Häuser weiter sieht man das ehemalige Kino mit dem Hinweis „Esslokal“.

Lust- und Lebensprinzip

Eat.Art & Ab.Art nannte Spoerri seine Kombination aus Ausstellungshaus und Restaurant - und die beiden Begriffe können als Klammer um das über 50-jährige Schaffen des bildenden Künstlers gelesen werden: Essen und Kunst, für Spoerri in Kombination ein Lust- und Lebensprinzip.

Bis heute kennt man Spoerri vor allem für seine Fallenbilder. Er fixiert die Überreste eines Essens - mit Tischdecke, Speiseresten, schmutzigem Geschirr, Gläsern und Besteck - mit Klebstoff, bevor die ganze Tischplatte als Wandbild aufgehängt wird. So wild und unordentlich das Ganze aussieht, so wenig geordnet verlief auch Spoerris Weg zur bildenden Kunst.

Vor den Nazis geflohen

Er wurde 1930 als Daniel Isaac Feinstein in Galati in Rumänien geboren und musste nach dem Tod seines Vaters in einem nationalsozialistischen Vernichtungslager 1942 mit der Mutter in die Schweiz fliehen. Dort adoptierte ihn sein Onkel, dessen Namen er annahm.

Nach Jobs als Buchhändler, Obstverkäufer und Fotograf wurde der ungestüme Spoerri in einem Basler „Existenzialistenkeller“ entdeckt - als begnadeter Tänzer. In der Folge studierte er Tanz an der Zürcher Oper und inszenierte anschließend Avantgardestücke von Eugene Ionesco bis Pablo Picasso in Bern.

Die ersten „Fallen“

1957 ging er nach Deutschland, ans Landestheater Darmstadt. Dort bildete sich um ihn ein Kreis konkreter Dichter. Nur zwei Jahre später zog es Spoerri nach Paris, wo er erstmals mit Gleichgesinnten wie dem Schweizer Objektkünstler und Kinetiker Jean Tinguely und dem französischen Maler und Theoretiker Yves Klein zusammentraf, die sein Interesse für die bildende Kunst weckten.

Ende der 50er Jahre entwickelte Spoerri schließlich seine eigene Objektkunst - die bereits erwähnten Fallenbilder, auf denen er versucht, wie in einer Falle ein Stück Alltagswirklichkeit einzufangen. „Topografien des Zufalls“ nannte er diese Werke später einmal. „Die Verherrlichung des Zufalls“, schwärmte ein Kritiker. Bereits 1960 wurde Spoerris Fallenbild „Das Frühstück des Kichka I“ im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt.

Als Künstlerkoch eröffnete Spoerri Ende der 60er Jahre in Düsseldorf sein erstes Restaurant und servierte ungewöhnliche Speisen wie Elefantenrüssel, Ameisen, Tigerfilet.

Spoerris Wegbegleiter

1970 folgte die Eat Art Gallery - ebenfalls in Düsseldorf, wo Spoerri Bankette und Happenings organisierte. Einen Namen machte sich der Künstler Anfang der 60er Jahre, als er mit Tinguely, Christo, Niki de Saint Phalle und anderen die Bewegung des Nouveau Realisme ins Leben rief, die sich einer neuen Annäherung der Wahrnehmungsfähigkeit an das Reale verschrieben hatte.

Doch bei Spoerri blieb die Vielfältigkeit Programm. Dazu gehörten Tanz, Film, Theater und die konkrete und visuelle Poesie ebenso wie seine verlegerische Arbeit: Ende der 1950er Jahre gründete er in Paris die Edition MAT (Multiplication d’art transformable) und vertrieb zum Einheitspreis von nur 200 Francs vervielfältigte Werke von Man Ray und Marcel Duchamp.

Lehrer und Museumsgründer

Spoerri betätigte sich aber auch als Lehrer und Museumsgründer. Ende der 1970er Jahre sammelte er in Köln zusammen mit Studierenden der Fachhochschule für Kunst und Design Objekte und Relikte der Stadtgeschichte und realisierte damit das „Musee Sentimental“.

Zwanzig Jahre später schenkte er sein Archiv der Schweizerischen Landesbibliothek (heute Nationalbibliothek) und legte in Seggiano in der Toskana den Grundstein für seinen eigenen Skulpturengarten, „Il Giardino di Daniel Spoerri“, an dem er bis heute weiterarbeitet.

Ausflug für alle Sinne

„Am Essen fasziniert mich der Zyklus von Tod und Wiederauferstehung“, sagte Spoerri vor einigen Jahren in Wien. Menschen würden töten, um zu essen. Aus den Ausscheidungen entstehe wiederum neues Leben. „Scheiße als Moment des Übergangs, der Kippe ist für mich künstlerisch interessant.“

Zunächst aber muss einmal gegessen werden. Und das kann man in Hadersdorf am Kamp vorzüglich. Inmitten von Kunstwerken werden im Eat.Art unprätentiöse Menüs serviert. Gegenüber, im Ab.Art, sind Spoerris Arbeiten, von Skulpturen bis zu Fallenbildern, und Werke anderer Künstler zu sehen; ein Ausflug für alle Sinne.

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