„Fallen“ für Rechtsunkundige
Mitte der Woche lief die Begutachtungsfrist für die Budgetbegleitgesetze, mit denen die geplanten Einsparungen in Gesetzesform gegossen werden, ab. Dass es dabei von zahlreichen Seiten Kritik gibt, ist nicht ungewöhnlich - so geschehen auch beim Entwurf des Justizministeriums.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
So wurden etwa teils deftige Gebührenerhöhungen und auch die geplante Straffreiheit bei fahrlässiger leichter Körperverletzung kritisiert. Eine Änderung, die viele Menschen betrifft, wurde jedoch weitgehend übersehen. Der Entwurf sieht nämlich vor, dass Richter künftig keine Klagen und Rekurse mehr verfassen dürfen. Betroffen davon sind alle Zivilrechtsangelegenheiten - sozial- und arbeitsrechtliche Verfahren eingeschlossen.
Diese Maßnahmen gehe aber „zu Lasten der Unbeholfensten“, warnte der Welser Sozialrichter Martin Greifeneder gegenüber ORF.at. Bezirks- und Arbeits- und Sozialgerichte seien für viele Menschen die erste Anlaufstelle, wenn sie etwa einen Bescheid der Sozialversicherung (etwa Pension, Anm.) erhalten. Aber auch Mietrechtsangelegenheiten, Streitfälle mit Arbeitgebern u. ä. fallen darunter. Vor allem Menschen, die rechtsunkundig sind und sich keinen Anwalt leisten können, trifft demnach diese Regelung.
Derzeitige Regelung
Das Recht, direkt bei Gericht Rekurs einzulegen und Hilfe bei der Klagserstellung in Anspruch zu nehmen, ist derzeit grundsätzlich in der Zivilprozessordnung (§§434, 435 und 439 ZPO) geregelt. Die Bestimmungen wurden auch ins Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzt (§§ 35 und 39 ASGG) übernommen.
Im Entwurf verweist das Justizministerium darauf, dass es für Betroffene auch künftig genügend Anlaufstellen gebe - etwa den Konsumentenschutzverein, die Arbeiterkammer und die Mietervereinigung. Allerdings ist fraglich, ob diese die Menge an künftigen Hilfsansuchen bewältigen kann - umso mehr, als die zeitliche Frist - etwa beim Einbringen von Klagen - von drei Monaten auf vier Wochen verkürzt wird. Auf diesen Umstand hatten zuletzt in der Öffentlichkeit die Pflegeverbände hingewiesen. Betroffen sind davon aber auch Menschen mit negativen Pensionsbescheiden. Auch das OGH lehnt die Verkürzung der Frist ab, da es sich um für die Kläger existenzielle Belange handelt.
Sozialministerium: „Errungenschaft“
Das Sozialministerium wies in seiner Stellungnahme den geplanten Wegfall von Paragraf 434 der Zivilprozessordnung strikt ab: „Damit wäre es BürgerInnen nicht mehr möglich, einen Rekurs gegen einen Beschluss direkt bei Gericht zu erheben.“ Eine Rekurserhebung wäre damit künftig „nur noch schriftlich - unter Einhaltung sämtlicher formaler Voraussetzungen - möglich“.
Die Regelung sei aber eine „Errungenschaft“, die auf das 19. Jahrhundert zurückgehe. Die Abschaffung der Möglichkeit des Protokollaranbringens schaffe ein „Rechtsschutzdefizit“, im Klartext: verringert den Rechtsschutz.
„Vertrauensverlust in Justiz“
Der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), Gerhard Benn-Ibler, sieht in dem Wegfall des Rechts einen „Fehlgriff“, der zu einem „Vertrauensverlust“ in die Justiz führen werde. Den Bürgern das Erstellen von Klagen „in Eigenverantwortung zu überlassen“, führe „naturgemäß dazu, dass ein juristischer Laie wohl kaum einen fehlerfreien Schriftsatz bei Gericht einreichen kann“.
Weil gleichzeitig Richter aber auch Schriftsätze ohne nähere Begründung zurückweisen können sollen, könne Bürgern künftig „bei nur vermeintlichen ‚Unklarheiten‘ das rechtliche Gehör von vornherein willkürlich verweigert werden“. In einer Aussendung sprach Benn-Ibler von einem „fatalen Eindruck“.
Teure Sparmaßnahme?
Das Justizressort begründet das Streichen der gerichtlichen Amtshilfe bei Zivilrechtsverfahren damit, dass durch das Verfassen einer Klage durch einen Richter bisher bei der gegnerischen Partei oft der Eindruck entstanden sei, „dass das Entscheidungsorgan voreingenommen ist“. Dieser Eindruck werde damit künftig vermieden.
Allerdings steht im Hintergrund - das wird im Entwurf unter Verweis auf den Zeitaufwand für die Richter indirekt bestätigt - vor allem der Sparzwang, und dazu kommt, dass österreichweit 180 Richter fehlen. Laut Greifeneder ist das der Versuch, Zeit einzusparen und damit den Bedarf an zusätzlichem Personal zu senken.
Greifeneder, Autor des „Handbuch Pflegegeld“, ist allerdings skeptisch, dass diese Rechnung aufgehen wird. Mittellosen Betroffenen steht statt des Protokollaranbringens weiterhin die Möglichkeit zu, Verfahrenshilfe zu beantragen, also einen Anwalt und die Erstellung von Gutachten auf Kosten der Republik. Auf dadurch drohende Mehrkosten verweist in diesem Zusammenhang auch die Stadt Wien.
Greifender befürchtet zudem, dass der Arbeitsaufwand unter dem Strich für die Richter nicht weniger, sondern sogar mehr werden wird.
Erschwerung des Zugangs zum Recht
Erschwerend kommt noch hinzu, dass künftig Klagen und Rekurse nicht mehr wie bisher beim nächstgelegenen Bezirksgericht eingereicht werden können, das diese dann an das zuständige Gericht weiterleitete. In arbeits- und sozialgesetzlichen Verfahren müssen Betroffene bisher künftig selbst den Weg zum Landesgericht antreten.
Neben dem Sozialministerium kritisiert unter anderem auch das Institut für Völkerrecht an der Uni Graz den Wegfall dieser Bestimmung als „unverhältnismäßige Erschwerung des Zugangs zum Recht“. Dadurch würden vor allem Arbeitnehmer in ländlichen Gebieten und Kläger und Klägerinnen gegen Verstöße des Gleichbehandlungsrechts benachteiligt. Gerade in diesem Bereich habe aber die Europäische Kommission ohnehin bereits einen erschwerten Rechtszugang in Österreich kritisiert.
Guido Tiefenthaler, ORF.at
Links: