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„Es wäre eine große Schande“

Vom „keltischen Tiger“ zum Bittsteller in Brüssel - diese Vorstellung treibt viele Iren in die Verzweiflung und damit die Dubliner Regierung in eine Zwickmühle. Irland steckt nach der Finanzkrise in der Schuldenfalle und droht andere Sorgenkinder der Euro-Zone wie Portugal und Spanien mit in die Tiefe zu reißen.

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Hinter vorgehaltener Hand hieß es daher zuletzt in der Euro-Zone, Irland-Hilfen seien deshalb sehr wahrscheinlich. Dabei soll es um bis zu 90 Milliarden Euro gehen. Doch das einst für sein rasantes Wirtschaftswachstum gerühmte Land sträubt sich beharrlich gegen fremde Hilfe - nicht zuletzt aus Nationalstolz und politischem Kalkül.

Angst vor Denkzettel

Der in der Bevölkerung unpopuläre Ministerpräsident Brian Cowen befürchtet nämlich einen Denkzettel bei der nächsten Wahl, sollte er sich hilfesuchend an Brüssel wenden. Doch auch finanzpolitische Überlegungen halten ihn davon ab: Schließlich dürften Hilfen mit rigiden Auflagen verbunden sein, die auch die niedrige Körperschaftssteuer des Landes infrage stellen könnten. Die Rate von 12,5 Prozent ist einigen europäischen Ländern aus Wettbewerbsgründen ein Dorn im Auge. Für Weltkonzerne wie Google und Pfizer aber ist sie ein Investitionsmagnet, den die Iren nicht aufgeben wollen.

„Gentlemen’s Agreement“

„Es läuft alles auf die Körperschaftssteuer hinaus“, sagt der Ire Brian Devine, Volkswirt bei NCB Stockbrokers. „Wenn es nicht darum ginge, würde ich sagen, wir sollten sofort Hilfe von außen holen.“ Erik Nielsen, Chefökonom für Europa bei Goldman Sachs, hält in der Frage der Körperschaftssteuer eine Art „Gentlemen’s Agreement“ für möglich, womit der Steuersatz mittelfristig angehoben wird. Das ebenfalls hoch verschuldete Griechenland musste seine Umsatzsteuer binnen weniger Monate von 19 auf 23 Prozent anheben, als es sich im Frühjahr unter den Rettungsschirm von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) flüchtete.

"Ohne lange Verhandlugen

Nielsen rechnet dem bereits vor zwei Jahren auf Sparkurs eingeschwenkten Irland insgesamt gute Chancen aus, im Fall der Fälle leichter als Griechenland eine Hilfsvereinbarung mit der EU und dem IWF auszuhandeln. Wenn die Iren Unterstützung beantragten, würden sie diese zweifelsohne problemlos bekommen, so Nielsen. „Das heißt: ohne lange Verhandlungen über die Bedingungen.“

Doch Regierungschef Cowen setzt offenbar darauf, dass die noch im November vorgesehene Veröffentlichung des Vierjahressparplans und die für Anfang Dezember geplante Verabschiedung des Haushalts für 2011 die Märkte beruhigt - und Investoren überzeugt, dass Irland seine Finanz- und Bankenkrise selbst bewältigen kann. Tatsächlich verfügt die irische Regierung bis Mitte 2011 über ausreichend Kapital, so dass ihr unmittelbar keine Zahlungsunfähigkeit droht.

„Irland wird von Europa regiert“

Doch Irlands angeschlagene Banken sind bei ihrer Finanzierung von der Europäischen Zentralbank (EZB) abhängig. „Irland wird von Europa regiert“, sagt Jim Power, Chefvolkswirt bei der Investmentfirma Friends First. Die EZB halte das irische Bankensystem und die gesamte Wirtschaft am Leben. „Wir haben unsere politische Souveränität längst aufgegeben, und jeder, der das nicht erkennt, ist extrem naiv.“

Der Zeitung „Irish Independent“ zufolge prüft die Regierung in Dublin, Hilfen für die Banken aus dem EU-Rettungstopf in Anspruch zu nehmen. Dublin dementierte am Montag umgehend. Das Notpaket der Regierung für die Banken verschlingt einen großen Teil der Staatsfinanzen: Irland will 50 Milliarden Euro in den Bankensektor pumpen.

EU-Hilfsgelder, verbunden mit finanzpolitischen Auflagen, wären aber eine Demütigung für Irland, das stolz auf seinen wirtschaftlichen Aufstieg und seine hart errungene Unabhängigkeit von Großbritannien ist. „Eine Rettung würde unser Ansehen auf Jahre schädigen“, sagt ein in Dublin ansässiger Banker. „Wir haben so viel erreicht, es wäre eine große Schande, das zu verlieren.“ Nach hoher Arbeitslosenrate, der schwersten Rezession unter den Industriestaaten weltweit und zwei Jahren Sanierungskurs hat die irische Bevölkerung allerdings eher resigniert, als zu rebellieren: Sie rechnet ohnehin mit noch härteren Sparmaßnahmen. Aus Dublin oder aus Brüssel.

Carmel Crimmins, Reuters

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