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Rechtsstreit auch nach Strafprozess

Für viele Hinterbliebene der Opfer von Kaprun ist bis heute nicht nachvollziehbar, dass 155 Menschen ums Leben kommen und dann niemand schuld daran sein soll. Genau das ergab aber das Strafverfahren: Der Brand in der Standseilbahn sei durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen verursacht worden, die ein Heizlüfter verursacht hatte. Doch auch das Urteil setzte keinen Schlussstrich.

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Gut eineinhalb Jahre nach dem Feuerinferno, wurde der Prozess unter weltweitem medialen Interesse eröffnet. Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat hatte 16 Menschen verdächtigt und angeklagt, und zwar Mitarbeiter der Gletscherbahnen und der Herstellerfirmen, Beamte des Verkehrsministeriums sowie Inspektoren des Technischen Überprüfungsvereins (TÜV) Österreich.

16 Freisprüche

Nach eineinhalb Jahren sprach Einzelrichter Manfred Seiss am 63. Verhandlungstag alle 16 Angeklagten frei. Ein Produktionsfehler im Heizlüfter des talseitigen Führerstandes habe die Katastrophe ausgelöst: Nachdem die Aufhängung des Heizsterns gebrochen war, habe dieser das Gehäuse entzündet, dadurch sei eine Hydraulikleitung geborsten und Öl in die Flammen gesprüht worden. Das habe zur explosionsartigen Ausbreitung der Flammen geführt. Die Luftströmung im Tunnel habe die Brandintensität angeheizt. „Nur Menschen, aber nicht Firmen können schuldig sein“, so der Richter.

Weitere Faktoren, die zur Verkettung beigetragen haben: Die Heizlüfter sind laut Gebrauchsanweisung nicht für den Einbau in Fahrzeugen bestimmt, das Ministerium hat die Anbringung aber in der Betriebsbewilligung genehmigt, weil es keine gesetzliche Regelung dafür gab. Die Hydraulikleitungen waren an der Rückwand des Heizstrahlers angebracht worden. Außerdem fehlten im Seilbahngesetz Bestimmungen zum Brandschutz. Die im Zug verwendeten Materialien und Sicherheitseinrichtungen hatten laut Sachverständigen dem Stand der Technik entsprochen.

Schwere Vorwürfe gegen Verfahren

Die Staatsanwaltschaft berief gegen acht Freisprüche, diese wurden aber im Berufungsverfahren im September 2005 vom Oberlandesgericht Linz bestätigt. Seit Prozessende sind die Behauptungen nicht verstummt, dass im Verfahren gepfuscht, Beweismaterial nicht berücksichtigt und fehlerhaft ermittelt worden sei. Auch der Vorwurf der Vertuschung steht im Raum.

Einige Pannen im Verfahren werfen jedenfalls ein schiefes Licht auf die Arbeit der Ermittlungsbehörden: So tauchten mitten während des Prozesses Mitarbeiter der Kriminaltechnischen Zentralstelle (KTZ) des Innenministeriums mit einem ganzen Kofferraum voller Fotos, Videos und Dokumente auf, die bis dahin nicht im Akt waren. Später wurde bekannt, dass auch der Hauptgutachter Beweismittel zu Hause aufbewahrte. Dieser erschien daraufhin nicht mehr beim Prozess und schied später krankheitshalber ganz aus. Erst als nach einem halben Jahr die Polizei vor seiner Tür stand, rückte er die Gegenstände heraus.

Strafverfahren zu Ende, Prozesswelle nicht

Der Gutachterwechsel brachte auch eine Wende im Verfahren. Denn bis dahin lag das Augenmerk mehr auf dem Einbau brandgefährlicher Komponenten im Zug, wo man durchaus Fehler der Beschuldigten sehen könnte, ab dann richtete sich der Fokus auf den Heizlüfter, der sich selbst entzündet habe und als Risiko nicht erkennbar gewesen sei.

Unglück verjährt

Spätestens seit Ende März 2010 ist das Unglück von Kaprun nach Rechtsansicht des Justizministeriums auf jeden Fall verjährt.

Mit dem Ende des Strafverfahrens in Salzburg war die Kaprun-Katastrophe für die Justiz noch lange nicht abgeschlossen. Zuerst ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen den Hersteller des Heizlüfters ,und als diese Erhebungen eingestellt wurden, setzten zwei deutsche Gutachter zum Rundumschlag an. Erfolg hatten sie damit aber bisher keinen.

Deutsche entlasten Heizstrahlerhersteller

Das Landeskriminalamt Stuttgart und die Staatsanwaltschaft Heilbronn kamen - anders als die österreichische Justiz - schließlich zum Ergebnis, dass den Hersteller keine Schuld treffe. War das Salzburger Gericht von einem Produktions- und Konstruktionsfehler am Heizlüfter ausgegangen, lag für die deutschen Ermittler die Ursache in der Auswahl des für Bahnen ungeeigneten Geräts, in der bestimmungswidrigen Verwendung und im Einbau in den Führerstand. Die Gutachten in Salzburg seien „von unzutreffenden Voraussetzungen“ ausgegangen, hieß es.

Anzeigen gegen Sachverständige

Das wiederum rief den für den Heizstrahlerhersteller tätigen Stuttgarter Gutachter Hans-Joachim Keim auf den Plan, der gemeinsam mit seinem Kompagnon Bernhard Schrettenbrunner eine wahre Anzeigenflut startete und eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens in Österreich begehrte. Im April 2008 zeigten die beiden vier Sachverständige des Salzburger Kaprun-Prozesses an: Sie warfen ihnen vor, wichtige Tatsachen nicht berücksichtigt oder falsch dargestellt zu haben.

Der Heizlüfter habe laut Gebrauchsanweisung überhaupt nicht in Fahrzeuge eingebaut werden dürfen. Andere Beweismittel und Ölspuren seien während des Ermittlungsverfahrens verschwunden; auch hätten die Gutachter dem Gericht „aus technischer Sicht vollkommen falsche Darstellungen über Konstruktion, Produktion und Material der Heizlüftergehäuse vorgelegt“. Diese Strafanzeige auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens wurde im November 2009 eingestellt, der Fortsetzungsantrag im Juni 2010.

Flut an weiteren Anzeigen

Im März 2009 erstatteten Keim und Schrettenbrunner „wegen des Verdachtes der Korruption und der vorsätzlichen Strafvereitelung“ Anzeige gegen die österreichischen Gutachter, einen Monat später folgte eine Anzeige wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs.

Heuer gerieten auch die Gletscherbahnen Kaprun AG, Mitglieder der OITAF-Expertenkommission, Mitarbeiter der Ministerien bis hin zu Ex-Infrastrukturministerin Monika Forstinger (FPÖ) ins Visier der beiden, die Vorwürfe reichen vom Verdacht der fahrlässigen Tötung bis zum schweren Betrug. Und der Wiener Opferanwalt Gerhard Podovsovnik zeigte Justizministerin Claudia Bandion-Ortner an, er wirft ihr mehrfachen Amtsmissbrauch sowie Verleumdung vor.

Im Mai 2010 erstatteten die beiden Deutschen neuerlich Strafanzeige gegen die Gletscherbahnen, dieses Mal warfen sie ihnen bedingt vorsätzliche Brandstiftung mit Todesfolge von mehreren Personen vor.

Streit um Schadenersatz

Für die Angehörigen der Opfer kam zu all der Trauer auch noch der Streit ums Geld. Schon wenige Tage nach dem Unglück traten in geballter Form Opferanwälte auf den Plan und stellten zum Teil hohe Millionenbeträge in Aussicht, die sie erstreiten würden, allen voran der medial zum Staranwalt avancierte Ed Fagan, dem nach jahrelangen Ankündigungen, unzähligen Anzeigen und Klagen die Luft ausging, noch ehe der erste Dollar an die Hinterbliebenen ausbezahlt worden war: Er schlitterte in die Pleite.

Als dann im Strafverfahren kein Schuldiger ausgemacht wurde, kündigten zahlreiche Angehörige der Opfer Klagen auf Schadenersatz an. Der damalige Justizminister Dieter Böhmdorfer (FPÖ) richtete daher eine Vermittlungskommission ein.

Rund 14 Millionen ausbezahlt

In Summe forderten rund 240 Kläger in 92 Anträgen Schadenersatz, Schmerzensgeld und Verdienstentgang in einer Gesamthöhe von 9,5 Millionen Euro. Diese Verfahren gegen die Gletscherbahnen Kaprun AG und die Republik wurden aber in der Folge bis zum Vorliegen des Ergebnisses der Vermittlungskommission ruhend gestellt.

Opferanwälte verdienten mit

Dass der Aufmarsch der Opferanwälte nicht nur ein uneigennütziger Dienst für die Hinterbliebenen der Katastrophe war, wurde spätestens nach Überweisung der Entschädigungen klar: Etliche Angehörige beklagten, dass mehr als die Hälfte des erhaltenen Geldes letztlich auf dem Konto ihres Advokaten landete.

Nach 20 Sitzungen konnte Kommissionsvorsitzender Klaus Liebscher am 17. Juni 2008 eine Lösung präsentieren: Den 451 Anspruchsstellern werden 13,9 Millionen Euro ausbezahlt, diese verzichten im Gegenzug auf jegliche andere juristische Schritte. Die Höhe des jeweils überwiesenen Betrages wurde nach einem Punktesystem, das sich unter anderem am Verwandtschaftsgrad orientierte, berechnet. Genaue Summen wurden nie genannt. Nur in einem Fall war schon 2007 ein außergerichtlicher Vergleich abgeschlossen worden: Ein Arzt, dessen Sohn verunglückt war, erhielt von den Gletscherbahnen 220.000 Euro.

Japanische Forderungen weiter anhängig

Japanische Antragsteller erklärten innerhalb der Frist den Rücktritt vom außergerichtlichen Vergleich. Liebscher vertrat aber die Meinung, dass dieser bereits rechtskräftig sei, und veranlasste daher die Auszahlung. Die Japaner haben ihr Geld auf einem Treuhandkonto hinterlegt. Zusätzlich zu den 13,9 Millionen Euro, die von der Gletscherbahnen Kaprun AG, der Republik sowie der Generali Versicherung aufgebracht wurden, erhielten die Hinterbliebenen noch 9,23 Mio. Euro von Versicherungen.

31 Angehörige japanischer Opfer wollen den Kommissionsvergleich immer noch anfechten und fordern von den Gletscherbahnen zusätzlich 627.500 Euro. Und in den USA haben amerikanische Angehörige mit dem Leuchtstäbe-Produzenten Omniglow (180 von ihm hergestellte Leuchtstäbe, die in der Nähe des Unglücks im Stollen gelagert waren, sollen mit zur Feuersbrunst beigetragen haben) einen Vergleich über 500.000 US-Dollar (376.705 Euro) geschlossen. Auch dort streben einige Angehörige einen weiteren Prozess an.

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