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Warnung vor billigen und befristeten Jobs

Von einem kleinem Jobwunder spricht man in Deutschland: Die Arbeitslosigkeit ist im Oktober unter die Dreimillionengrenze und damit auf den niedrigsten Stand seit 1992 gesunken. Die Regierung jubelt, doch gleichzeitig tobt ein erbitterter Streit: Auch nach der Krise prägen Praktika, Leiharbeit und befristete Jobs immer mehr die Lebenssituationen junger Arbeitnehmer, meint etwa die IG Metall.

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Die deutsche Zeitarbeitsbranche verzeichnet bereits einen neuen Mitarbeiterrekord. Im August waren es laut Zeitarbeitsindex des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) 893.000 Beschäftigte, Tendenz stark steigend.

Branche im Aufwind

Der Vorkrisenrekord von 823.000 Beschäftigten Mitte 2008 ist inzwischen um 70.000 Kräfte deutlich übertroffen. Von Juli bis August 2010 wuchs das Beschäftigungsvolumen um 4,8 Prozent. Damit beschleunigte sich das Wachstumstempo: Von Juni bis Juli 2010 war die Zahl der Zeitarbeitnehmer nach IW-Einschätzung um 3,1 Prozent gestiegen. Laut IW hält der Aufwärtstrend der Branche nun bereits seit 16 Monaten an.

Vor allem die IG Metall schlägt Alarm: Der Beschäftigungsaufbau sei zum großen Teil auf schlecht bezahlte Leiharbeit zurückzuführen. „Die Wirtschaftsforschungsinstitute bestätigen: 60 Prozent des gesamten Beschäftigungsaufbaus im verarbeitenden Gewerbe ist in Leiharbeit erfolgt“, so Gewerkschaftsvize Detlef Wetzel.

„Industrielle Reservearmee“

„Mit Leiharbeit wird zunehmend Stammbeschäftigung verdrängt und eine zweite industrielle Reservearmee aufgebaut. Löhne, von denen man kaum leben kann, sind für die Betroffenen erniedrigend und für die Wirtschaft volkswirtschaftlich betrachtet eine Katastrophe“, kritisierte Wetzel.

Die Gewerkschaft forderte die Bundesregierung auf, die Leiharbeit auf ihren eigentlichen Zweck zu begrenzen und eine Lohngleichstellung zu regulären Beschäftigungsverhältnissen zu schaffen. Der Gesetzesentwurf von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zur Zeitarbeit sei dagegen eine Zumutung: „Er öffnet Tür und Tor für den ungebremsten Abbau von Stammarbeitsplätzen und die Verbreitung von Billiglöhnen.“

Arbeitgeber fürchten Lohndumping durch EU-Länder

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt wiederum forderte die Regierung auf, die Zeitarbeit ins Entsendegesetz aufzunehmen. Das soll Lohndumping durch ausländische Billigarbeitskräfte verhindern. Der Arbeitsmarkt wird am 1. Mai kommenden Jahres für Arbeitnehmer aus allen 27 EU-Ländern geöffnet.

Bisher sperrt sich die FDP noch gegen eine verbindlich vorgeschriebene Lohnuntergrenze für die Zeitarbeitsbranche. Sie will erst prüfen, wie sich die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit auswirkt. Die von den Gewerkschaften geforderte Gleichstellung mit den Stammbelegschaften lehnt Hundt ab.

Rund ein Drittel niedrigerer Lohn

Wetzel wiederum warf Hundt eine „Strategie des Lohndumpings“ vor. „Nur wenn Leiharbeiter die gleiche Bezahlung wie die Stammbelegschaften im Entleihbetrieb erhalten, ist das Prinzip von Equal Pay (gleicher Lohn für gleiche Arbeit) gewährleistet“, sagte Wetzel. Das sei nicht der Fall, wenn Leiharbeitnehmer auch künftig 30 bis 40 Prozent weniger verdienen. „Der Missbrauch der Leiharbeit wird durch die Wortklauberei von Herrn Hundt nicht verhindert.“

Jugend ohne Perspektiven?

Laut einer von der IG Metall in Auftrag gegebenen Studie arbeitet mehr als die Hälfte (54 Prozent) der Erwerbstätigen unter 25 Jahren in befristeten Jobs. Die Zahlen des Krisenjahres 2009 werden damit laut Studie um neun Prozentpunkte übertroffen. Bei den Erwerbstätigen unter 35 Jahren sind 30 Prozent befristet beschäftigt. „Die Prekarisierung der jungen Generation steigt auf hohem Niveau auch nach der Krise weiter an und wird zu einer entscheidenden strukturellen Erfahrung“, sagte Wetzel. Das zeige sich insbesondere am hohen Anteil befristeter Stellen.

Mehr als ein Viertel (28 Prozent) der jungen Erwerbstätigen gab bei der Befragung an, im bisherigen Berufsleben nur befristet beschäftigt gewesen zu sein. Ein Fünftel der Beschäftigten unter 35 arbeitet in Teilzeit, obwohl bei der Mehrheit der Wunsch nach einer Vollzeitstelle besteht. Auch der häufig in Aussicht gestellte „Klebeeffekt“, wonach Leiharbeit zur Übernahme führt, bleibt laut IG Metall eine Ausnahme und hat sich gegenüber dem Vorjahr noch verschlechtert.

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