Virtuelle Realität zum Greifen nahe
Als Nintendo vor rund vier Jahren seine Wii auf den Markt brachte, zeigte sich die Konkurrenz über den potenziellen Erfolg einer Videospielkonsole, die sich vor allem mit ausgreifenden Körperbewegungen steuern ließ, noch skeptisch. Knapp 76 Millionen ausgelieferte Wiis und viele Milliarden Euro Gewinn später wollen nun auch Microsoft und Sony ein Stück vom Kuchen.
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Am 10. November startet mit Microsofts Kinect für Xbox 360 der letzte und zugleich anspruchsvollste Herausforderer in Sachen Bewegungssteuerung auf dem europäischen Markt. Im Gegensatz zu Sonys Move, seit knapp zwei Monaten im Handel, und Nintendos Wii muss der Spieler bei Kinect keinerlei Hardware in seinen Händen halten - der Körper des Spielers selbst wird zum Controller.
Hauptbestandteil von Kinect ist ein Tiefensensor. Er besteht aus einem Infrarotprojektor, der den Raum mit einem für das menschliche Auge unsichtbaren Raster ausleuchtet, und einer Infrarotkamera, die die Bewegungen des Spielerkörpers aufnimmt. Die Daten aus dem Tiefensensor und der ebenfalls integrierten RGB-Kamera werden von einer eigens entwickelten Software verarbeitet, die damit etwa Hände und Gesicht des Gamers recht genau verfolgen kann. Zusätzlich kann der Spieler auch mit Sprachbefehlen mit Kinect kommunizieren, das System erfasst Geräusche über vier Mikrofone.

ORF.at/Nadja Igler
Der Kinect-Tiefensensor
Der ganze Körper im Bild
Kinect verfolgt mit seinen Sensoren die Bewegungen des ganzen Körpers nach, von besonderer Bedeutung sind aber Kopf und Hände. So kann das System einen bestimmten Spieler über Erfassung von dessen Gesichtszügen automatisch erkennen, was im Test auch bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen funktionierte. Die Hände dienen auch zur Steuerung, durch Winken wird etwa das Dashboard, die Schaltzentrale der Xbox 360, aktiviert. Das funktionierte im Test zu Beginn nicht immer, in den Spielen selbst gab es mit der Steuerung kaum Probleme.

Microsoft
Screenhot aus „Dance Central“
Trotzdem wünscht sich der Kinect-Anwender mitunter einen traditionellen Controller, um zum Beispiel schneller durch Menüs navigieren zu können. Zudem ist die Steuerung nicht immer präzise. Laut Microsoft Österreich lernt das System laufend dazu und gewinnt aus jeder Nutzung neue Informationen über den Spieler.
Platz schaffen zum Spielen
Voraussetzung für ein reibungsloses Funktionieren des Systems ist ein Mindestabstand von 1,8 Meter für einen und 2,5 Meter für zwei Spieler zwischen Sensor und Nutzer. Zwar akzeptiert das System mit ein wenig Tricksen auch geringere Abstände, im Spiel stößt man dann aber schnell an die Grenzen und kann manche Punkte auf dem Schirm schlicht nicht mehr erreichen.
Das Spielfeld sollte zudem auch breit genug sein, vor allem, wenn es ein direktes Duell zwischen zwei Spielern gibt. Wenn diese etwa nach links und rechts hüpfen sollen, können fünf Meter schnell zu wenig werden. Diese Bedingungen könnten in manch kuscheliger Wohnung zu gröberen Umbauarbeiten führen.
Frische Ansätze bei den Spielen
Die zum Start verfügbaren Spiele sind durchwegs unterhaltsam und bringen zum Teil neuen Schwung in das Genre der Bewegungsspiele, da, anders als bei der Wii, auch Beine und Füße des Nutzers mit erfasst und eingebunden werden. So kann man bei „Kinect Sports“ in der Wohnung gegeneinander Fußball spielen und das Boxen ohne Controller kommt der Realität ebenfalls deutlich näher. Beim Fitnessspiel „Your Shape: Fitness Evolved“ ist das Ganzkörpertracking mit den direkten Kontroll- und Feedbackmöglichkeiten auch von Vorteil.

Microsoft
Fußball in „Kinect Sports“
Einige Spiele sind allerdings bereits von der Wii und auch Sonys Move hinreichend bekannt, wie Bowling, Tischtennis und Autofahren, sie lassen sich dort aber deutlich präziser steuern. Zudem ist die Kontrolle über das System an manchen Stellen stark gewöhnungsbedürftig, vor allem dann, wenn man beim Autofahren kein Lenkrad in der Hand hält, sondern sprichwörtlich in der Luft herumkurvt.
In Zukunft alles virtuell?
Kinect beschränkt sich nicht nur auf Spiele, auch Teil des Menüs und weitere Features wie das Videomietservice Zune Video können rein über Gesten gesteuert werden. Eine Steuerung ausschließlich über Sprachbefehle ist auch möglich, diese ist vorerst aber für wenige Sprachen verfügbar. Für Österreich soll es eine eigene Version geben, Startdatum ist noch keines bekannt.
In Zukunft könnte Kinect noch ganz andere Dimensionen öffnen, vor allem in Richtung virtuelle Realität. Der Spieler wird bei dem System nicht durch Köpfe oder sonstige Interaktion mit Hardware abgelenkt, sondern kann sich vergleichsweise natürlich bewegen. Erste, sehr zaghafte Ansätze sieht man bei „Kinectimals“, bei dem der Spieler mit einem virtuellen Tier interagiert. Peter Molyneuxs virtuelles Kind „Milo“, das bei der Kinect-Präsentation gezeigt wurde, geht ebenfalls in diese Richtung.
Bis derartige Spiele und Anwendungen Realität werden, wird es aber noch etwas dauern - dafür muss nicht nur die Technologie präziser werden, auch die grundlegende Erwartung und der Anspruch an Videospiele müssen sich dafür noch ändern. Kinect sowie Wii und Move sind ein erster Ansatz in diese Richtung.
Nadja Igler, ORF.at
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