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Neue Hürde eingezogen

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat erstmals die Überstellung einer Asylwerberin nach Griechenland als verfassungswidrig aufgehoben. Außerdem zogen die Verfassungsrichter in ihrer am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung eine neue Hürde für derartige Abschiebungen in das wegen seines miserablen Asylwesens in der Kritik stehende EU-Land ein.

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Vor der Überstellung besonders schutzwürdiger Personen müssen die österreichischen Behörden bei den griechischen Kollegen künftig eine individuelle Betreuungszusage für die betroffenen Asylwerber einholen - andernfalls muss die Abschiebung unterbleiben.

Immer wieder Kritik von NGOs

Laut Europarecht („Dublin-Abkommen“) ist für ein Asylverfahren jenes EU-Land zuständig, in dem der Flüchtling die EU-Außengrenze überschritten hat. Griechenland steht allerdings seit Jahren in der Kritik internationaler Organisationen und Flüchtlingshelfer. Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) bezeichnet die Zustände in griechischen Flüchtlingslagern als unmenschlich und lebensgefährlich.

Ähnlich Kritik äußerten auch Amnesty International umd heimische NGOs, zuletzt vor wenigen Tagen das Rote Kreuz, immer wieder. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat angekündigt, sämtliche an ihn herangetragenen Überstellungen in das EU-Land stoppen zu wollen. Bereits zweimal verhinderte der EGMR auch Abschiebungen aus Österreich.

Mehrere EU-Länder (u. a. Großbritannien, die Niederlande, Norwegen und Dänemark) hatten Dublin-Abschiebungen nach Griechenland bereits eingestellt. Zuletzt stoppte auch ein schwedisches Gericht Abschiebungen, wodurch jetzt auch dort das Höchstgericht in der Sache entscheiden muss. Österreich überstellt trotz der bekannten Kritik weiterhin Flüchtlinge nach Griechenland.

Beschwerde afghanischer Mutter erfolgreich

Eine aus Afghanistan stammende Frau mit drei minderjährigen Kindern war mit ihrer Beschwerde gegen die Abschiebung nun aber erfolgreich. Aufgrund der unbestrittenermaßen schwierigen Betreuungssituation für Asylwerber in Griechenland hätte eine Überstellung zu einer Verletzung des in der Menschenrechtskonvention verankerten Verbots von Folter sowie unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung führen können, urteilten die Verfassungsrichter in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Erkenntnis.

Außerdem zogen die Verfassungsrichter eine zusätzliche Hürde für die Abschiebung von besonders schutzbedürftigen („vulnerablen“) Flüchtlingen nach Griechenland ein: Wollen die Behörden künftig Mütter mit Kleinkindern oder unbegleitete Minderjährige nach Griechenland überstellen, dann müssen sie in jedem Einzelfall von den griechischen Behörden eine individuelle Zusicherung einholen, mit der die Versorgung dort konkret zugesagt wird. Andernfalls ist die Abschiebung unzulässig.

Heuer 161 Abschiebungen nach Griechenland

Im Innenministerium nimmt man die Entscheidung des VfGH zu Dublin-II-Asylfällen „sehr ernst“ und wird sie „sofort umsetzen“. Österreich hat laut dem Ministerium in den ersten acht Monaten des Jahres in 161 Asylfällen eine Überstellung nach Griechenland durchgeführt.

Demgegenüber stehen laut den Angaben des Innenministerium 369 Fälle, in denen es die Zustimmung von Griechenland gegeben habe, das Asylverfahren zu übernehmen. In vielen Fällen habe Österreich aber vom „Selbsteintrittsrecht“ Gebrauch gemacht und das betreffende Verfahren übernommen. Insgesamt wurden somit bis August 2010 386 Konsultationsverfahren durchgeführt, mit denen abgeklärt wird, welches Land gemäß den Dublin-II-Richtlinien für den Fall zuständig ist.

Fekter sieht EU gefordert

Der Abschiebestopp betrifft laut Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) Hunderte Asylwerber, vorwiegend aus Afghanistan. Sie kündigte an, dass Österreich Griechenland an Ort und Stelle helfen wolle, die Situation zu entschärfen. Fekter sah allerdings primär die EU gefordert. Die Europäische Kommission müsse einerseits dafür sorgen, dass die EU-Grenze besser abgesichert werde, und andererseits dafür dass in Griechenland ein adäquates Betreuungssystem aufgebaut werde.

Fekter meinte weiters, dass der VfGH-Spruch keine generelle Abschiebesperre bedeute, sondern Abschiebungen nur dann zulässig seien, wenn Versorgung und Betreuung sichergestellt sind. Genau das wolle man jetzt tun und Griechenland dabei helfen, eine menschenrechtskonforme Asylbetreuung zu errichten. Eine Änderung beziehungsweise Vereinheitlichung des Asylrechts auf EU-Ebene lehnt Fekter weiter ab.

Kritik von FPÖ und BZÖ, Lob der Grünen

Erwartungsgemäß unterschiedlich reagierte die Opposition: Während FPÖ und BZÖ heftige Kritik an dem Spruch der Höchstrichter übten, begrüßten ihn die Grünen. FPÖ-Sicherheitssprecher Harald Vilimsky sprach von einem „Signal in die komplett falsche Richtung“. Damit könnten sich Staaten wie Griechenland ihrer Verantwortung entziehen und die anderen Staaten „zum Narren halten“.

Für BZÖ-Generalsekretär Christian Ebner ist es „ein Wahnsinn, dass das Dublin-Abkommen von Gerichten untergraben wird. Das Erkenntnis des VfGH öffnet dem Strom der Asylwerber Tür und Tor.“ Zum Schutz vor einem unkontrollierten Ansturm von Asylwerbern verlangt Ebner, die Schengen-Mitgliedschaft von Griechenland auszusetzen.

Die grüne Menschenrechtssprecherin Alev Korun findet es hingegen erfreulich, dass der VfGH den Abschiebungen nach Griechenland nun einen Riegel vorgeschoben habe. Sie forderte Fekter auf, die Abschiebungen nach Griechenland zu stoppen und sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass dort „ein menschenwürdiges Asylsystem“ aufgebaut wird.

Abschiebestopp gefordert

Die Asylkoordination, ein Zusammenschluss von Flüchtlingshilfeorganisationen, fordert nun den Stopp der Überstellung von Asylwerbern nach Griechenland. Den Spruch des VfGH begrüßte Anny Knapp von der Asylkoordination in einer Aussendung als „längst überfällig“. Sie forderte die Behörden allerdings zu einem weitergehenden Schritt auf und dazu, dem Beispiel jener Staaten zu folgen, die die Abschiebung von Flüchtlingen nach Griechenland gestoppt haben.

„Die österreichischen Asylbehörden dürfen die Aufforderung des EGMR an einige der EU-Mitgliedsstaaten nicht länger ignorieren und sollen die Dublin-Vorordnung gegenüber Griechenland nicht mehr anwenden“, forderte Knapp. Vielmehr solle Österreich von der Möglichkeit Gebrauch machen, selbst in die Asylverfahren einzutreten. Auch Amnesty International, SOS Mitmensch und Thomas Hennefeld, Landessuperintendent der evangelisch-reformierten Kirche, sprachen sich für einen sofortigen Abschiebestopp nach Griechenland aus.

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