Worte sind wie „Artzney“
Lernen, indem man Wissen direkt ins Hirn schüttet - dieser Traum firmiert unter dem geflügelten Wort vom „Nürnberger Trichter“. Was kaum jemand weiß: Der Ursprung des „Trichters“ kann ganz genau festgemacht werden und die Idee dahinter war von seinem Schöpfer durchaus ernst gemeint.
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Vor 363 Jahren wurde die Idee des Trichters vom Nürnberger Barockdichter Georg Philipp Harsdörffer geboren. Sein Bändchen „Poetischer Trichter. Die Teutsche Dicht- und Reimkunst, ohne Behuf der lateinischen Sprache, in VI Stunden einzugießen“ war zwar etwas scherzhaft getitelt, aber hatte tatsächlich im Sinn, Wissen möglichst schnell und mühelos zu vermitteln.
Gut schreiben in drei Schritten
Harsdörffer kann damit als einer der Vorväter didaktischen Schreibens gelten, wie es heute in jedem Ratgeber, Leitfaden und Lehrbuch gang und gäbe ist. Auch in jeder Powerpoint-Präsentation bei Firmenmeetings steckt noch ein Stückchen Harsdörffer. Er hatte sich zur Aufgabe gemacht, eine Gebrauchsanweisung für gutes Schreiben auf die komprimierteste Form zu bringen, die möglich war.
Der Poet dampfte sein Credo auf drei Punkte ein: Erstens habe die Sprache verständlich zu sein, zweitens sich nicht um der Regelverliebtheit willen an Überkommenem festzuhalten und drittens sei die Sprache eines Textes nur dazu da, um den Inhalt zu kommunizieren. Darüber hinaus gebe es nur zwei Existenzberechtigungen für jeden geschriebenen Text: Nutzen und Belustigung.
Feldzug gegen gekünstelte Sprache
Nach Harsdörffers Überzeugung ist ein Text außerdem nur dann gut, wenn er jedem etwas bietet: die Belesenen nicht langweilt, aber auch Ungebildete nicht vor den Kopf stößt oder ausgrenzt. Für Geschriebenes gelte dasselbe wie für „Artzneyen“: Es helfe die beste Absicht nicht, wenn ein Text ungenießbar für den Empfänger sei.
Von dem Dichter stammt auch der Text zur ersten bekannten deutschsprachigen Oper „Das geistliche Waldgedicht“. Ebenso wirkt er in seinem Feldzug gegen gekünstelte Sprache fort, indem er für damals gängige Fremdworte im Alleingang deutsche Übersetzungen erfand, weil die Sprache seiner Ansicht nach allen zu gehören habe und von jedem verstanden werden solle.
Damals erfundene Wörter heute Allgemeingut
Wer also heute statt zu „observiren“ „beobachtet“, wer zum „Fernglas“ statt zum „Teleskop“ greift, wer einen „Zweikampf“ statt eines „Duells“ austrägt, wer einen „Briefwechsel“ statt einer „Korrespondenz“ führt, sollte sich bei Harsdörffer bedanken. Alle diese Eindeutschungen waren seine Erfindungen. Zum Unterschied von den vielen Dogmatikern bei diesem Thema war das für ihn jedoch keine Glaubensfrage. Der richtige Ausdruck war für ihn immer der, der sich am Ende durchsetzt.
Lukas Zimmer, ORF.at
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