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„Mangelhafte“ Gesetze

Wer hatte die Verantwortung für die Abschiebung der Familie Komani? Lag die Entscheidungskompetenz beim Magistrat Steyr oder mussten sich die Mitarbeiter des Steyrer Bürgermeisters Gerald Hackl der negativen Stellungnahme der oberösterreichischen Sicherheitsdirektion beugen?

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Über diese Frage wird seit Tagen gestritten. Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) hatte dem Magistrat die Ausstellung eines „mangelhaften“ Bescheids vorgeworfen. Selbst Experten können die Frage nicht eindeutig beantworten und sehen darin ein symptomatisches Zeichen für die Misslage des österreichischen Asyl- und Fremdenrechts. Während der Instanzenweg eines Asylantrags – vom Bundesasylamt zum Asylgerichtshof – klar geregelt ist, hängt die Frage, ob Bleiberecht gewährt wird, von zahlreichen Faktoren wie Einreisedatum und Ort der Antragstellung ab.

„Das humanitäre Aufenthaltsrecht ist wesentlich komplexer als das Asylrecht“, ist auch der Asyl- und Fremdenrechtsexperte Gerhard Muzak von der Universität Wien im ORF.at-Interview überzeugt. In der ersten Instanz sei der Landeshauptmann zuständig, der könne dieses Recht an die Bezirksverwaltungsbehörden – Magistrat oder Bezirkshauptmannschaft – weitergeben. Die zweite Instanz liegt direkt beim Innenministerium. Muzak: „Dazwischen kann noch eine Stellungnahme der Sicherheitsdirektion eingeschoben werden. Das muss aber nicht immer sein." Welcher Instanzenzug wie zum Tragen kommt, hänge von unterschiedlichen Faktoren ab wie dem Zeitpunkt der Einreise und in welchem Bundesland der Antrag gestellt wurde.

Eindeutig zweideutig

In dem Fall der Komanis hatte laut Muzak eher das Innenministerium recht, dass tatsächlich der Magistrat zuständig gewesen sei. "Aber es ist nicht klar geregelt, ob die Sicherheitsdirektion eingeschaltet werden muss und ob deren Meinung verbindlich ist oder nicht“, schließt Muzak eine völlig eindeutige Erklärung aus.

Der Obmann des Vereins Asyl in Not, Michael Genner, ist im Gespräch mit ORF.at überzeugt, wenn der Magistrat darauf bestanden hätte, den Aufenthalt zu bewilligen, wäre das „mit einer schweren Konfrontation mit dem Innenministerium verbunden“ gewesen.

Fekters Meinungsumschwung

Fekter hatte nicht immer diese Ansicht, dass der Magistrat allein zuständig sei. Asylanwalt Herbert Pochieser erstattete für einen pakistanischen Mandanten Anfang des Jahres Beschwerde gegen das Innenministerium. Der Wiener Magistrat 35 hatte für seinen Bescheid in diesem Fall die Sicherheitsdirektion um eine Stellungnahme ersucht, die meinte, dass der Pakistani nicht ausreichend integriert sei, und lehnte dessen Antrag auf Niederlassungsbewilligung ab – ohne die betroffene Person jemals gehört zu haben.

Die erste Beschwerde des Anwalts lehnte das Innenministerium ab. Erst als der Fall beim Verfassungsgerichtshof landete, hob Fekter den Bescheid auf, erklärte der Anwalt. Muzak: „Seit 2009 gibt es eine Regelung, die in bestimmten Fällen eine Stellungnahme der Sicherheitsdirektion vorsieht. Aber es ist nicht klar geregelt, ob das bindend ist.“ Das am Dienstag im Ministerrat beschlossene Bundesamt für Asyl und Migration, das Zuwanderer-Agenden von derzeit 113 Stellen bündeln soll, könnte die Situation vereinfachen. Allerdings hänge das von der tatsächlichen Umsetzung des Bundesamts ab, so Muzak.

Kriterien fehlen

Im Fall der Komanis ging Fekter nun jedenfalls von der gegenteiligen Ansicht aus, dass nicht die Sicherheitsdirektion, sondern der Magistrat Entscheidungskompetenz habe. Wer auch immer sich bei der Entscheidung durchsetzt, es fehlt an klaren Kriterien, bemängelt Genner. Die Wiener Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) forderte zuletzt einen verbindlichen Kriterienkatalog wie er etwa von der Wiener Magistratsabteilung 35, nicht aber von der Sicherheitsdirektion, verwendet wird – mehr in oesterreich.ORF.at.

Kritik auch im Asylrecht

Obwohl der Instanzenzug im Asylverfahren klarer geregelt ist, gibt es auch hier Kritikpunkte. Von zahlreichen NGOs wird etwa bemängelt, dass der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) seit der Einrichtung des Asylgerichtshofs 2008 nicht mehr eingeschaltet werden kann. „Der VwGH hat 2008 noch 20 Prozent der Beschwerden aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof hatte im vergangenen Jahr bei 5.000 Beschwerden nur eine Aufhebungsquote von 0,35 Prozent. Das Gericht, das genau prüft, wurde beseitigt", analysiert Pochieser.“

Fekter vs. Verwaltungsgerichtshof

Genner ortet seit längerem einen tief verwurzelten Konflikt zwischen Fekter und dem VwGH, der sich zuletzt in dem Streit über lange Verfahren entladen hatte. Unstimmigkeiten gab es etwa 2009, als der VwGH aufgrund einer Beschwerde entschied, dass man in einem Bleiberechtsverfahren solange bleiben darf, bis der Antrag bearbeitet ist. Fekter reagierte mit einer Novellierung des Gesetzes wenig später. Genner: „Nun darf man schon während des Verfahrens abgeschoben werden. Das traf auch die Komanis.“

Der VwGH hatte auch eine Regelung unter der früheren Innenministerin Liese Prokop (ÖVP) beanstandet, dass zu Beginn jedes Asylverfahrens Schubhaft verhängt werden muss. Beim Verfassungsgerichtshof wurde ein Antrag gestellt, diese Verordnung aufzuheben. Auch hier habe Fekter reagiert, erklärte Genner. Seit 1. Jänner 2010 müsse nun wieder Schubhaft verhängt werden, allerdings mit dem Zusatz „wenn es notwendig ist“. Aufgrund dieser Gesetzgebung „aus Anlassfällen“ bestehe eine große Rechtsunsicherheit, betonte Genner.

„Auslegungsprobleme schwierigster Art“

Auch VwGH-Präsident Clemens Jabloner reagierte erneut auf die Kritik Fekters am VwGH. Die Rechtsgrundlagen im Asyl- und Fremdenrecht seien von „mangelhafter legistischer Qualität“ und würden zu häufig und überstürzt geändert. Dadurch sei man immer wieder mit „Auslegungsproblemen schwierigster Art“ konfrontiert.

Durch die „einander überstürzenden gesetzlichen Maßnahmen“ im Asyl- und Fremdenrechtsbereich sei außerdem die „kaum erreichte Stabilität der Vollziehung“ immer wieder aus dem Gleichgewicht gebracht.

Simone Leonhartsberger, ORF.at

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