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Wurmloch in die Vergangenheit

Erwin Wurm läuft mit seinen Arbeiten Gefahr, als Kunstpopstar mit „One Line Jokes“ in Verruf zu geraten. Man erinnert sich an die Red Hot Chili Peppers, die in einem Video mit bunten Designobjekten herumhampelten, und an jenes Haus, das scheinbar auf das Wiener MuseumsQuartier (MQ) stürzte. Die Ernsthaftigkeit Wurms wird oft zu Unrecht übersehen. Sie lässt sich in der Schau „Private Wurm“ entdecken.

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Im Essl Museum in Klosterneuburg wird dennoch auf den ersten Blick mit einem Haus Schabernak getrieben, sogar mit demselben. 2006 beim MQ war wie heute jenes Haus Model, in dem Wurm bei seinen Eltern aufgewachsen war. Diesmal baute er es fast maßstabgetreu samt Inneneinrichtung nach. Fast: Es ist 16 Meter lang und sieben Meter hoch, aber nur 1,38 Meter breit, also ein Siebtel der Originalbreite.

Toilette im gequetschten Haus

ORF.at/Birgit Hajek

Im Inneren wird die Verzerrung durchgehalten. Das Klo ist gerade einmal ein paar Zentimeter breit, die Badewanne nicht viel länger. In der Küche kann man nur seitlich stehen, auf dem gesamten Herd hätte nur ein einziger kleiner Topf Platz. Auf dem Esstisch liegt verkleinertes Besteck. Jedes einzelne Buchcover im Bücherregal wurde maßstabgetreu gestaucht. Wurm und der Kurator der Ausstellung, Günther Oberhollenzer, arbeiteten zwei Monate lang intensiv mit der Deko- und Designfirma Winter zusammen und achteten besonders auf Details - bis hin zum verwendeten Material.

Kommentar auf Medienrealität

Das Publikum drängt sich durch das Erdgeschoß des Hauses. Gerade deshalb darf keine Kleinigkeit die Illusion des zusammengequetschten Hauses stören. Sobald der „Fehler“ gefunden würde, wäre der Effekt des Kunstwerks verpufft. Und Wurm geht es um ein Spiel mit der Realität - die von den Medien ständig verzerrt werde, wie er, vor seinem Haus stehend, sagt. Als Beispiel führt er an, dass uns überhaupt nicht mehr auffällt, dass alte Filme auf neuen Flachbildschirmen verzerrt dargestellt werden. Und weil sich die Realität oft den Medien anpasse und nicht umgekehrt - wer wisse schon, wie Häuser in Zukunft aussehen werden.

Kommentiert wird außerdem das Haus als Repräsentationsfläche, bei der das Individuum selbst keine Rolle mehr spiele. Der Mensch versteckt sich, nach außen hin schützt ihn das Haus und zeigt seinen Status, scheinbar unverrückbar. Dieses Unverrückbare hat Wurm mit seinem Kunstwerk aus den Angeln gehoben. Das Haus steht da, als wäre es mit der Leichtigkeit einer Ziehharmonika zusammengeschoben worden.

Geschlossene, xenophobe Welt

Durch die Inneneinrichtung und das leichte Gefühl der Platzangst werden auch der Mief und die Enge der 60er Jahre in Österreich gewahr. Obwohl die Ausstellung „Private Wurm“ heißt und er sein Elternhaus nachbaute, besteht Wurm darauf, dass es sich hierbei nicht um eine Abrechnung mit seiner Kindheit handelt. Was heute auch für ihn beengend wirke, sei für ihn damals okay gewesen. Rückblickend sei er in einer geschlossenen, xenophoben Welt aufgewachsen - die für ihn in seiner Kindheit und Jugend jedoch die Normalität dargestellt habe.

Karl Schranz auf dem Heldenplatz

Dass er sein Elternhaus nachbildete, sei eher praktischen Überlegungen gedankt. So wäre es schwieriger gewesen, eine Raumfolge zu erfinden, als die des Elternhauses zu übernehmen. Den einen oder anderen Besucher wird auch Nostalgie überkommen angesichts der grellbunten Badezimmertapete und der (selbstverständlich verzerrten) rosafarbenen Pantoffeln der Mutter. So lebte man damals.

Nur der Fernseher fehlt, weil der im ersten Stock war und für die Ausstellung nur das Erdgeschoß ausgebaut wurde. Wäre einer da, so Wurm im Gespräch mit ORF.at, würde wohl Jason King laufen, oder man sähe Karl Schranz auf dem Heldenplatz.

Mann unter riesiger Polizeikappe

ORF.at/Birgit Hajek

Die Tarnkappe des Polizisten

Mit dem „Private Wurm“ und mit Dimensionen spielt der Künstler auch in einem weiteren, ebenfalls extra für die Ausstellung angefertigten Objekt: einer überdimensionalen Wiener Polizeikappe, unter die man sich als Zuschauer stellen kann. Wurms Vater war Kriminalpolizist, aber die Idee komme trotzdem aus einer anderen Ecke, sagt Wurm. Er habe rund um das Jahr 2000 dem ehemaligen Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit, Michael Sika, im Zuge einer Ausschreibung eine Skulptur vorgeschlagen: eine große Polizeikappe auf drei Metallständern als Regen- und Sonnenschutz für Passanten. Sika habe ihn nur entgeistert angeblickt und abgelehnt.

Ausstellungshinweis

Private Wurm, von 20 Oktober bis 30. Jänner, Essl Museum in Klosterneuburg, dienstags bis sonntags von 10.00 bis 18.00 Uhr, mittwochs von 10.00 bis 21.00 Uhr. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im November.

Nun stellte Wurm sein Kunstwerk in abgewandelter Form doch noch fertig. Auch wenn der echte Vater als Übervater nicht gemeint ist, weil er als Kriminalpolizist gar keine Kappe trug, drängen sich dennoch Assoziationen auf: der Polizist als Amtsperson, die in der öffentlichen Wahrnehmung weit über ihre private Identität hinauswächst. Nur steht er hier nicht in den sprichwörtlich zu großen Schuhen, sondern sein Haupt verschwindet unter der zu großen Dienstkappe.

Auch Spaß muss sein

Bei allem Ernst und bei allen kunsttheoretischen und kulturkritischen Erklärmodellen: Das Werk von Wurm hat auch eine lustvolle Komponente. Man lässt sich im Quetschhaus gerne in dummer Pose fotografieren und platziert seine Begleitung für einen Schnappschuss unter der Riesenkappe. Dagegen wird Wurm aber wohl nichts haben. Um eine 70er-Jahre-Fernsehserie (nicht Jason King) zu zitieren: Auch Spaß muss sein!

Simon Hadler, ORF.at

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