ACTA beinahe unterschriftsreif
Die Verhandlungsparteien des umstrittenen Anti-Produktpiraterie-Abkommens ACTA haben nach rund drei Jahren einen konsolidierten Text veröffentlicht, der den Stand der Verhandlungen nach der elften Runde der Gespräche in Tokio wiedergibt. Damit steht der Öffentlichkeit erstmals seit April 2010 eine belastbare Diskussionsgrundlage zur Verfügung.
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Konsumentenschützer und Bürgerrechtler hatten wiederholt gegen die ACTA-Verhandlungen protestiert, die überwiegend hinter verschlossenen Türen stattgefunden haben. Zu ihren Befürchtungen zählten unter anderem, dass ACTA den Handel mit Generika-Medikamenten einschränken und Internetprovider im Namen der Rechteinhaber zu Onlinezensurmaßnahmen zwingen würde.
Im Rahmen einer Hintergrundbesprechung mit Journalisten in Brüssel gab die Abteilung Handel der EU-Kommission Einblick in den Stand der Dinge. Die Besprechung wurde von einer Person aus dem Umfeld der EU-Kommission geleitet, die den Verhandlungen nahesteht, aber nicht mit ihrem Namen genannt werden möchte.
„Zu 99,5 Prozent fertig“
Die zentrale Botschaft der Kommission: „ACTA wird am bestehenden EU-Recht nichts ändern.“ In der EU gebe es bereits einen ausreichenden Schutz geistigen Eigentums, es sei bei ACTA darum gegangen, einen internationalen Standard zu definieren. Die neu publizierte konsolidierte Fassung des Abkommens sei „zu 99,5 Prozent“ fertig, es gelte nun nur noch an jenen Formulierungen zu feilen, die im Text grau unterlegt seien. Umstritten ist beispielsweise, ob alle ACTA-Mitgliedsstaaten Gesetze erlassen müssen, die das Abfilmen von Kinofilmen unter Strafe stellen - oder ob ihnen das über den Vertrag lediglich nahegelegt wird.
Eine weitere Verhandlungsrunde werde es nicht geben, die restlichen Unstimmigkeiten werde man im Lauf der kommenden Wochen über E-Mail-Kontakte ausräumen, so der Sprecher der Kommission. Als nächsten Schritt müssten nun die relevanten EU-Institutionen und die Mitgliedsstaaten das Abkommen ratifizieren. ACTA solle die bestehenden Abkommen auf Ebene der UNO-Welthandelsorganisation (WHO) ergänzen und vor allem internationale Regeln für die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte schaffen. Erstmals sei es auch gelungen, Grundregeln für den Umgang mit Urheberrechtsverletzungen im Internet zu schaffen.
Probleme mit den Definitionen
Auf einige der Einwände von Bürgerrechtlern und Konsumentenschützern sind die Verhandler eingegangen. So sind Fälle von Patentverletzungen nun nicht von den Bestimmungen zur Grenzkontrolle erfasst, wodurch potenzielle Probleme mit dem Handel mit Generika nicht entstehen. Auch wurde die Haftung von Providern für die Inhalte in ihren Netzen aus dem Internetkapitel von ACTA entfernt.
ACTA wird dazu führen, dass die Unterzeichnerstaaten „absichtliche Markenfälschungen oder Verstöße gegen das Copyright“ unter Strafe stellen werden, wenn diese, so die Formulierung, „in gewerbsmäßigem Umfang“ geschehen. Eine genaue Definition des „gewerbsmäßigen Umfangs“ liefert ACTA auch in seiner beinahe fertigen Version nicht.
Schutz für den Kopierschutz
Was das besonders heftig umstrittene Digitalkapitel von ACTA angeht, so bleiben dort die umfangreichen Bestimmungen gegen die Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen. Auch die Verwendung von Programmen, die zu Verstößen gegen das Urheberrecht genutzt werden können, soll unter Strafe gestellt werden. Das betreffe aber, so die Kommission, nur Programme, deren Hauptzweck die Entfernung des Kopierschutzes sei. In Paragraf 8 (Seite 17) stellen die ACTA-Verhandler auch klar, dass jedes Land Ausnahmen von diesen Kopierschutz-Knackverboten definieren kann. Das ist besonders für die Langzeitarchivierung von Inhalten wichtig.
ACTA enthält zahlreiche Bestimmungen, die die Unterzeichnerstaaten nicht zur Durchsetzung verpflichten, aber von den Verhandlern als „best practice“ empfohlen werden. Dazu gehört auch Abschnitt vier im Digitalkapitel, der den Unterzeichnerstaaten nahelegt, Mechanismen einzuführen, die es Rechteinhabern ermöglichen sollen, schnell und unbürokratisch die persönlichen Daten mutmaßlicher Urheberrechtsverletzer von deren Providern einzuholen.
ACTA und „Three Strikes“
„ACTA hindert auch niemanden daran, eine ‚Three Strikes‘-Regelung einzuführen“, so der Sprecher der Kommission, „Allerdings verpflichtet das Abkommen auch niemanden dazu.“ Mit „Three Strikes“ ist eine Regelung wie jene in Frankreich gemeint, mit der Internetprovider dazu gezwungen werden können, mutmaßliche Rechteverletzer nach zweimaliger Warnung vom Internet zu trennen.
Umstritten ist im Digitalkapitel auch, ob sich der Schutz von ACTA nur auf das Copyright beziehen soll, wie es die USA wünschen, oder ob davon auch eingetragene Marken erfasst sein sollen. Auf letzterem Standpunkt stellt sich die EU, die damit auch gegen Onlineauktionen vorgehen will, in deren Rahmen gefälschte Güter verkauft werden.
China bleibt außen vor
Was schließlich den umstrittenen Schutz geografischer Bezeichnungen für bestimmte Lebensmittel wie Parmesan und Champagner angeht, so scheint die EU hier gegen die USA verloren zu haben. Diese geografischen Schutzmarken sind weiterhin nur dort nachhaltig geschützt, wo sie auch als Marken eingetragen sind.
China, so der Sprecher der Kommission, habe bisher noch kein Interesse daran gezeigt, ACTA beizutreten. Die Volksrepublik ist ein wichtiges Herkunftsland von gefälschten Produkten. Es stehe aber jedem interessierten Staat offen, dem Abkommen beizutreten.
Günter Hack, ORF.at
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