Die Konsequenzen einer Abschaffung
Über Sinn und Unsinn der Wehrpflicht wird weiter heftig diskutiert - nicht nur von Politikern, sondern auch unter Militärexperten. Würde sie durch ein reines Berufsheer ersetzt, hätte das weitreichende Konsequenzen - nicht nur für das Bundesheer, sondern auch für rund 13.000 Zivildiener, die statt des Grundwehrdienstes Sozialdienst versehen.
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Die Frage, wer bei einer Abschaffung der Wehrpflicht die Tätigkeiten der Zivildiener übernimmt, ist ein wesentlicher Nebenaspekt der Wehrpflichtdebatte. Fällt die Wehrpflicht, fällt auch der Zivildienst in seiner derzeitigen Form, und das würde entweder gravierende Leistungseinschnitte oder gravierende Kosten bedeuten, heißt es seitens der größten Trägerorganisationen Rotes Kreuz (RK) und Arbeitersamariterbund (ASBÖ). Es gelte daher, eine sozialpolitische Debatte zu führen.
Wenige Chancen für Freiwilligendienst
Einem Freiwilligendienst räumen weder RK noch ASBÖ besonders großes Potenzial ein, zumal nicht in naher Zukunft. Die Caritas dagegen tritt im Fall einer Abschaffung der Wehrpflicht und damit auch des Zivildienstes für genau eine solche Möglichkeit eines freiwilligen sozialen Dienstes ein. Auch müssten Gelder, die durch den Wegfall des Zivildienstes frei würden, „im Sinne der Grundidee eines tatkräftigen Einsatzes für hilfebedürftige Menschen verwendet werden“ - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Experte: Wehrpflicht unsinnig
Die Aufgaben des Bundesheeres sind die Landesverteidigung, der Katastrophenschutz und die Auslandseinsätze. Letztere gewinnen stetig an Bedeutung und erhöhen auch das Renommee des Staates. Derzeit sind in zwölf Auslandsmissionen 1.200 Soldatinnen und Soldaten des Bundesheeres im Einsatz. Österreich hat mit 2,1 Milliarden Euro weltweit eines der kleinsten Verteidigungsbudgets. Im Zuge der Sanierung des Staatshaushaltes muss auch das Heer kürzer treten. Unter anderem wird an die Stilllegung von Material gedacht.
Für den Heeres- und Militärexperten Erich Reiter, ehemaliger Sektionschef im Verteidigungsministerium, ist die Wehrpflicht - militärisch und wirtschaftlich - unsinnig. Jährlich würden 26.000 eingezogen und ausgebildet, um sie dann nicht militärisch einzusetzen. Das koste etwa 40 bis 45 Prozent des Budgets und mehr als die Hälfte der Berufssoldaten und Zeitsoldaten, nur um jährlich Leute auszubilden, so Reiter im Ö1-Morgenjournal.
Heer in „prämodernem Zustand“
Reiter ist für ein Berufsheer, das nur Militäraufgaben erfüllt: „Ein Berufsheer, das das kann, was das Bundesheer in der Theorie können sollte, ist sehr teuer. Aber ein Berufsheer, das das kann, was das Bundesheer militärisch kann, ist sehr billig, weil das Bundesheer heute kaum noch einen militärischen Nutzwert hat. Das Bundesheer ist in einem prämodernen Zustand.“ Ausrüstung und Bewaffnung seien für die Landesverteidigung kaum noch einsetzbar.
Auch das Argument, die Wehrpflicht sei nötig, um Auslands- und Katastropheneinsätze aufrechtzuerhalten, lässt Reiter nicht gelten. Derzeit sind laut Reiter 450 nicht Berufssoldaten in Auslandseinsätzen. Das sei eine Größenordnung, die nicht dazu zwingt, jährlich 26.000 Mann einzuberufen und dafür etwa 20.000 Mann im Bereich der Ausbildung, der Verwaltung, Administration usw. zu beschäftigen. Für Katastropheneinsätze wie Hochwasser wäre das Geld in Versicherungen besser angelegt: „Alle Katastropheneinsätze haben die Schäden ja nicht verhindert.“
Berufsheer „flexibler und ökonomischer“
Für den Militärexperten Gerald Karner wären die Vorteile eines Berufsheeres darin zu sehen, dass es den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen in Europa besser entspreche. „Eine der Hauptaufgaben des Bundesheeres werden Beteiligungen an internationalen Friedensmissionen sein“, und das könne ein Berufsheer im Allgemeinen flexibler, ökonomischer und besser als ein Wehrpflichtigenheer. Andererseits entspreche ein Berufsheer auch besser den sogenannten neuen Bedrohungen, so Karner, der „Cyberwar“ als Beispiel nennt.
Zu den Kosten eines Berufsheeres meint Karner in der ZIB, dass ein Berufsheer kleiner sein könne – Karner spricht von 15.000 bis 20.000 Soldaten -, und dass man sich auch von Infrastruktur trennen könne, die jetzt ausschließlich für die Ausbildung von Rekruten verwendet werde. Der Experte nennt Ausgaben in einem Umfang von 250 Millionen Euro.
Offiziersgesellschaft: „Reiner Populismus“
Die aktuelle Debatte über eine Volksbefragung zur Wehrpflicht sei reiner Populismus, sagte hingegen der Präsident der Offiziersgesellschaft, Eduard Paulus, in Richtung des Wiener SPÖ-Bürgermeisters Michael Häupl. „Ich kann nicht erkennen, was die Wehrpflicht mit der Stadtverwaltung von Wien zu tun hat“, sagte Paulus im Ö1-Mittagsjournal.
Argumente für die Erhaltung der Wehrpflicht und gegen ein reines Berufsheer sind laut Paulus: „Wir sind ein Kleinstaat, wir können nicht damit rechnen, dass wir genügend einfache Soldaten freiwillig für eine Berufsarmee bekommen.“ Vielleicht würden sich Schulabbrecher oder weniger Gebildete finden, glaubt Paulus, Untersuchungen dazu gibt es aber nicht. Zudem seien Berufssoldaten teurer als Grundwehrdiener, und gewisse Aufgaben wie Katastropheneinsätze könnten gar nicht mehr wahrgenommen werden. Aber auch wenn die Offiziersgesellschaft für die Erhaltung der Wehrpflicht eintritt, Reformen im Heer hält sie für zwingend notwendig.
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