Doch nicht in „Stein gemeißelt“?
Die Koalition hat ein neues Streitthema: Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) bekommt für seine Forderung nach einer Volksbefragung über die Wehrpflicht kräftigen Rückenwind aus seiner Partei. Sowohl Kanzler Werner Faymann als auch Verteidigungsminister Norbert Darabos (beide SPÖ) stellen sich hinter ihn, obwohl sich beide vor kurzem noch mehr als deutlich zur Wehrpflicht bekannt hatten.
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„Für mich ist die Wehrpflicht in Stein gemeißelt. Mit mir als Verteidigungsminister wird es kein Ende der Wehrpflicht geben“, hatte Darabos noch am 3. Juli der „Tiroler Tageszeitung“ gesagt. Und Faymann sagte beim EU-Gipfel im September, die Überlegungen der Regierung zur Bundesheer-Reform hätten mit der Abschaffung der Wehrpflicht „gar nichts zu tun“.
ÖVP erstaunt
ÖVP-Außenminister Michael Spindelegger, der mit dem Verteidigungsminister eine neue Sicherheitsstrategie verhandelt und sich erst kürzlich selbst mit Vorschlägen zur Änderung der Wehrpflicht zur Wort gemeldet hatte, zeigte sich „erstaunt“ darüber, dass Darabos plötzlich über die Wehrpflicht diskutieren wolle. Vor ein paar Wochen sei das für Darabos noch ein „Sakrileg“ gewesen.
Ähnlich äußerte sich Vizekanzler Josef Pröll (ÖVP), der Darabos bei zentralen Fragen über das Bundesheer in die Pflicht nehmen will. Die Volkspartei ärgert also vor allem die Vorgehensweise des Koalitionspartners. Ein unbedingtes Pochen auf die Beibehaltung der Wehrpflicht war nicht zu vernehmen. Pröll meinte sogar, er stehe „geplanten Änderungen im System der Wehrpflicht positiv gegenüber“. Es seien aber einige offene Fragen zu klären.
Wirbel um „Krone“-Linie
Die SPÖ argumentierte damit, dass man sich nicht für die Abschaffung der Wehrpflicht, sondern für die Einbindung der Bevölkerung einsetze. Und Darabos betonte, er sei dafür, die Wehrpflicht auch beizubehalten.
Für Aufregung sorgte zudem, dass Häupl seine Idee via „Kronen Zeitung“ verlautbart hatte. In ihrer Kampagne gegen die allgemeine Wehrpflicht hatte die Zeitung zuletzt alle Register gezogen und so starke Geschütze wie schon lange nicht mehr aufgefahren - in Artikeln, Kommentaren und Leserbriefen. Seit Jahrzehnten beklagen kritische Stimmen, dass die Politik am Gängelband der „Kronen Zeitung“ hängt und die Politik es nicht immer vermag, diesen Vorwurf zu entkräften.
Vorbild Deutschland?
Möglicherweise zeigte auch die Debatte in Deutschland Wirkung: Das Nachbarland verabschiedet sich ebenfalls gerade von der Wehrpflicht. Nach den Plänen von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) soll diese mit 1. Juli 2011 ausgesetzt werden. Die Unionsspitzen stimmten bereits zu. Im Oktober und November entscheiden die Parteitage von CDU und CSU darüber. Anschließend beginnt das parlamentarische Verfahren.
Die Wehrpflicht ist in Europa ohnehin schon länger eher die Ausnahme denn die Regel. Zuletzt hatte sich Schweden von ihr verabschiedet, wie in den Jahren zuvor auch Polen, Litauen, Bulgarien, Italien, Spanien und Frankreich. 20 der 27 EU-Staaten setzen mittlerweile auf ein Berufsheer. Auf die Wehrpflicht setzen innerhalb der EU neben Österreich (sechs Monate) noch Estland (acht Monate), Finnland (sechs Monate), Griechenland (zwölf Monate) und Zypern mit sage und schreibe 26 Monaten, was den Spannungen mit der Türkei geschuldet ist.
Die neutrale Schweiz setzt ebenfalls auf den obligatorischen Wehrdienst. Dort schwelt eine Debatte über die Zukunft der Streitkräfte, nicht zuletzt, seit sich die dortigen - an der Regierung beteiligten - Sozialdemokraten ein Berufsheer ins Parteiprogramm geschrieben haben.
Zivildienstorganisationen warnen
In Österreich würden durch eine Abschaffung der Wehrpflicht etliche weitere Fragen wie Katastropheneinsätze und Zivildienst virulent, wie Pröll meinte und auch Faymann zugab. Darauf verweisen auch die größten Trägerorganisationen des Zivildienstes, Rotes Kreuz (RK) und Arbeitersamariterbund (ASBÖ): Fällt die Wehrpflicht, fällt auch der Zivildienst in seiner derzeitigen Form, und das bedeute entweder gravierende Leistungseinschnitte oder gravierende Kosten, hieß es aus beiden Organisationen.
Würden etwa die jährlich 4.000 beim Roten Kreuz arbeitenden Zivildiener durch Berufspersonal ersetzt, würden rund 200 Millionen Euro an zusätzlichen Kosten anfallen.
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