Zu viel von allem
Der Autor Cormac McCarthy war Kennern der US-Literatur längst ein Begriff. Mit der Verfilmung seines Buches „No Country for Old Men“ aber erreichte er das ganz große, internationale Publikum. Nun sorgt die Kinoversion seines apokalyptischen Romans „Die Straße“ unter der Regie des Australiers John Hillcoat mit Viggo Mortensen in der Hauptrolle für Schlagzeilen.
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Die Wiener Premiere fand in würdigem Rahmen statt. „The Road“ war der Eröffnungsfilm des heuer erstmals abgehaltenen Horrorfilmfestivals „Slash“ im Wiener Filmcasino. Der Saal war gesteckt voll, die Publicity für das junge und mittlerweile mit großem Erfolg beendete Stelldichein des Bösen auf der Leinwand gelungen. Und das Publikum bei der Premierenfeier wirkte gut gelaunt. Das kann daran liegen, dass Horrorfilmfans einiges gewohnt sind. Das kann aber auch an der Disney-Optik von „The Road“ liegen, dessen offizieller Kinostart in Österreich von dieser Woche auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.
Das Leben nach der Apokalypse
Denn eigentlich ist die Story höchst dramatisch. Beim Lesen des Buches herrscht ein Gefühl vor: Beklemmung. Ein Vater und sein etwa achtjähriger Sohn, großartig gespielt von Mortensen und Kodi Smit-McPhee, wandern Hunderte Kilometer durch eine postapokalyptische US-Landschaft. Niemand weiß, was passiert ist. Asche bedeckt alles. Pflanzen wachsen nicht mehr, sämtliche Tiere sind tot. Man lebt von alten Konservendosen, die immer rarer werden. Das Ziel der beiden ist die Küste. Dort könnte alles besser sein, wegen des Meeres oder wegen des Klimas. Der Weg ist nicht nur aufgrund des Nahrungsmangels oder wegen der unwirtlichen Bedingungen und des stets bedeckten Himmels beschwerlich. Marodierende Banden von Menschenfressern machen das Land zusätzlich unsicher.
Slash Filmfestival
Die erste Ausgabe des Genrefilmfestivals „Slash“ fand von 23. bis 30.10.2010 im Wiener Filmcasino statt. 3,661 Besucher, verkündete das junge Team nicht ohne Stolz, besuchten die 26 Vorstellungen. Zur Lage des Genrekinos in Österreich diskutierten während des Festivals unter anderem Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky (Regisseur von „Anatomie“), Diagonale-Leiterin Barbara Pichler und Wiener-Filmfonds-Vorsitzender Peter Zawrel. Nächstes Jahr wird es wieder ein „Slash“-Festival geben.
Der Film widerspricht dem Buch nicht. Streckenweise werden sogar Stellen aus dem Text von einem Erzähler vorgelesen. Die Dialoge entsprechen jenen im Roman. Insgesamt aber verlagert sich die Gewichtung. Im Film spielt die Vorgeschichte der Familie eine größere Rolle als im Buch. Und im Film wird die mitunter gerade durch ihre bittere Eintönigkeit so nervenzerreißende Wanderung auf ihre horrorfilmtauglichen Highlights komprimiert. Das führt, gemeinsam mit den überästhetisierten Bildern, ab einem gewissen Punkt zu einem Gefühl von „too much“.
Im Buch gelingt die Dosierung des Grauens besser. Ähnlich verhält es sich mit den moralischen Fragen, die der Plot aufwirft. Wer durch eine feindliche, lebensbedrohliche Landschaft voller Menschenfresser reist, muss sich wehren. Und wo gehobelt wird, dort fallen Späne - soll heißen, die Opfer müssen schon einmal zur Waffe greifen und selbst abdrücken. Der Bub ist strikt dagegen, immer wieder fragt er seinen Vater: „Sind wir jetzt immer noch die Guten?“ Und der Vater versichert dem Sohn: „Ja, wir haben das Feuer in uns.“ Im Buch werden solche Dialoge durch langwierige Gedankengänge abgefedert. Im Film sind sie komprimiert. Die Folge ist ein Übermaß an Pathos.
Plaudern mit Oprah
Cormac McCarthy jedenfalls ist ein gemachter Mann. Für „Die Straße“ (2006) erhielt er den Pulitzer-Preis, die Verfilmung von „No Country for Old Men“ war ein Riesenerfolg. Bis zu diesen beiden Meilensteinen seiner Karriere hatte McCarthy bereits einige Kritikererfolge gelandet, galt aber als „Mr. No Show“. Er gab keine Interviews. Das änderte sich jedoch, als er ausgerechnet zu Oprah Winfrey in die TV-Show kam, ihr ein Interview gab und „Die Straße“ noch dazu über ihren Buchclub vertreiben ließ, etwas, das etwa Jonathan Franzen für seine „Korrekturen“ entsetzt abgelehnt hatte.
McCarthy erkannte eben, dass seine Version von Thrill und Horror publikumswirksam ist, wenn man die Massen nur darauf loslässt. Regisseur John Hillcoat drückt jedoch ein wenig zu sehr aufs Gaspedal. Er drehte in der Vergangenheit Musikvideos für Bands wie Therapy?, Placebo und Muse, was einiges erklärt. Ende der 80er Jahre hatte er gemeinsam mit Nick Cave den Streifen „Ghosts ... Of the Civil Dead“ vorgelegt. Nick Cave zeichnete gemeinsam mit Warren Ellis übrigens auch für die Musik von „The Road“ verantwortlich, obwohl das nicht weiter auffällt. Ganz jedenfalls entkommt man auch in Hillcoats Version der Geschichte dem auf die Tränendrüsen drückenden Ende von McCarthys Story nicht. Da bekommt auch so mancher Horrorfilmfan kurz feuchte Augen.
Simon Hadler, ORF.at
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