„Wir zwei sind Königinnen“
Die Schimäre der Fair-Trade-Prostitution ist nicht umzubringen. Immer wieder gibt es Dokus über Studentinnen, die massenhaft Geld machen, indem sie ihren Körper stundenweise an ausgesuchte Nobelkunden vermieten und dabei auch noch Spaß haben. Dass der Alltag von Sexsklavinnen aus dem Osten ein anderer ist, von Kinderprostitution ganz zu schweigen, versteht sich von selbst.
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Aber auch die wenigen Studentinnen, die Freier annehmen, haben nicht die Wundermaschine zum Beamen in ein beschwerdefreies Leben voller Abenteuer und leicht verdientem Cash gefunden. Davon handelt „Tag und Nacht“, ein Spielfilm der österreichischen Regisseurin Sabine Derflinger. Sie hat ausführlich in der Szene recherchiert. Der Alltag solcher jungen Frauen wird von Freiern bestimmt, und die sind meist keine edlen Prinzen mit prallgefülltem Portemonnaie, sondern Männer mit mangelhafter Beziehungsfähigkeit sowie Machos mit ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben, die nicht selten Männlichkeit mit Brutalität verwechseln.
„Schlag meinen Lumpi“
Und man rutscht unversehens immer tiefer in das ganze Prostitutionsding hinein. Beides ist tragisch, aber vorhersehbar - und deshalb trotz der Dramatik langweilig. Das mag zum Teil sogar für das echte Leben zutreffen, wo selbst Ausnahmesituationen irgendwann zur Routine werden. Umso mehr gilt es für einen Film, der sich so sehr entlang der Realität bewegt wie „Tag und Nacht“.
Lea (Anna Rot) und Hanna (Magdalena Kronschläger) sind zwei prototypische Landmenschen (Kompliment an die Maske), die es zum Studieren nach Wien verschlägt. Sie schreiben sich in die Dienste des jungen, eher milieuuntypischen Zuhälters Mario (Philipp Hochmair) ein. Per Handy können sie sich an- und abmelden. Sind sie angemeldet, kann jederzeit eine SMS mit einer Adresse kommen - das heißt, sie haben einen Job. Und diese Jobs führen die beiden zu jeder Menge Freaks: „Schlag meinen Lumpi“, zählt da noch zu den normaleren Wünschen.
„Wir zwei Frauen oder wir zwei Huren?“
Mit der Zeit vernachlässigen die beiden immer mehr ihr Studium - vor allem Lea. Sie macht die Aufnahmeprüfung an einer Schauspielschule - wartet aber nicht einmal das Ergebnis ab und versäumt die zweite Runde des Eignungstests. Hanna fällt bei einer Kunstgeschichteprüfung durch. Gelernt hat sie mit einem Kollegen (Adrian Topol), mit dem sich eine Beziehung anbahnt.
Dialog:
Lea: „Männer kommen und gehen. Aber wir zwei sind Königinnen.“
Hanna: „Wer wir zwei? Wir zwei Frauen oder wir zwei Huren?“
Lea: Einfach wir zwei.
Derflinger, die nicht nur Regie führte, sondern gemeinsam mit Kamerafrau Eva Testor auch das Drehbuch schrieb, baut immer wieder poetische Anspielungen auf die Persönlichkeitsentwicklung von Lea und Hanna ein und markiert damit das unablässige Auseinanderdriften der beiden - und das Auseinanderdriften ihrer Persönlichkeiten in Studentin und „Hure“. Auf einer Party antwortet Lea auf die Frage nach ihrem Beruf: „Mobiler Hilfsdienst.“ Der gezeigte Sex ist angemessen ekelhaft. Die Stärke des Films ist zweifellos seine Glaubwürdigkeit, von den Dialogen und der Ausstattung bis zu der hervorragenden Leistung der Schauspieler.
Kulturtipp
Regisseurin Sabine Derflinger spricht am Mittwoch, dem 13.10., um 19.00 Uhr im Kunstraum Breitegasse 19 (1070 Wien) im Rahmen der Performance „One Night Only: Judith Baum - Susanna nach dem Bade“, bei der das Geschlechterverhältnis, wie im Film thematisiert, mit Bezügen zur Bildenden Kunst der Renaissance weitergesponnen wird.
Das Abenteuer kippt
Genau so, stellt man sich vor, läuft das in der Wirklichkeit ab. Dramaturgisch gesehen ist der allzu lineare Handlungsablauf allerdings alles andere als ein Spannungsbogen. Was am Anfang Spaß macht, kippt bald. Hannas Studentenfreund kommt hinter ihr Geheimnis, bevor sich etwas zwischen ihnen entwickeln kann. Dann gerät sie an einen besonders brutalen Freier. Lea, die schon davor moralische Bedenken hatte, fühlt sich in ihrem Lebensarrangement immer weniger wohl. Die beiden machen Pläne für die Zukunft. Das Ende hat dann doch eine Überraschung parat. Das versöhnt nach den Längen im Mittelteil.
Simon Hadler, ORF.at
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